GENUSS

Perlen-Reihe

Roland Graf

Der Stör ist fast ausgestorben, Trüffel gibt es nur einmal jährlich. Was aber macht Champagner, das Hedonisten-Getränk par ex­cellence, so teuer? Eine WIENER-­Spurensuche in Reims.

Text: Roland Graf / Foto Header: Martin Bruno-Vendanges

1,4 Milliarden Flaschen Cham­pagner lagern aktuell in den ­Kellern rund um Frankreichs Schaumweinzentren Reims und Épernay – und jährlich gehen rund 310 Millionen davon in den Verkauf. An der Seltenheit kann es also nicht liegen, dass die besten Flaschen um 150 Euro aufwärts in den Handel kommen. Als ungefähr so viel kosten wie 15 bis 20 Flaschen ordentlicher Grüner Veltliner. Doch der Vergleich ist schwierig bis unzulässig. Denn praktisch alle großen Weine, insbesondere die Jahrgangschampagner (auch als „Millésimé“ oder „Vintage“ bekannt) sind in der Regel Cuvées. Und das bedingt, dass alle drei kombinierten Sorten ideale Reife erlangen.

Foto: Jenny Zarins

Womit man schon mitten in der komplexen Erstellung eines Champagners ist, die sich grundlegend von den heimischen Weinen unterscheidet. Und zwar ­bereits in den Weingärten. Während in der Regel ein österrei­chischer Winzer seine eigenen Weingärten besitzt und allenfalls ab einer gewissen Größe Trauben zukauft, liegt die Grundqualität in der Champagne in den Händen der 15.800 Weinbauern. Sie ­versekten entweder selbst, doch entscheidender – vor allem im Export – sind die 150 Genossenschaften und 300 Champagner-Häuser. Diese „grandes maisons“ stellen mehr als zwei Drittel aller Abfüllungen her und sind vor ­allem die Exporteure des fran­zösischen Sprudels, während die Genossenschaften vor allem den Inlandsmarkt bedienen.

Der ist stark, denn knapp die Hälfte aller Champagner trinken die Franzosen selbst – was pro Jahr mehr als zwei Flaschen für jeden der 65 Millionen Einwohner sind. Die Trauben dafür besitzen aber in den wenigsten Fällen die klingenden Namen auf den Etiketten. Sondern eben die „vignerons“, die Weinbauern, die sich alljährlich die Kilopreise und etwaige Prämien für Qualität oder Bearbeitungsweise (wie Biolandwirtschaft) mit den ­Abnehmern aushandeln. Dieses System der gegenseitigen Abhängigkeit ist durchaus fragil und steht immer wieder an der Kippe. Zuletzt rumorte es im Vorjahr, als die Winzer für fairere Preise demonstrierten. Denn die Keller waren durch die Corona-bedingten Gastro-Schließungen auch vor der Ernte 2020 voll. Der Verweis auf das Jahr 1911 fehlt dabei meist nicht. Damals musste die Armee die „Révolution champenoise“, den Aufstand der kleinen Winzer, zerschlagen.

Aus österreichischer Sicht, wo man aufpassen muss, dass der Traubenpreis nicht unter einen Euro pro Kilo rutscht, haben die französischen Kollegen aber ohnehin nicht zu klagen: Zwischen 5,85 und 6,70 Euro erlöste man in der Champagne 2019. Also Preise, die hierzulande schon für eine komplette Flasche Wein reichen. Hat man sich aber vertraglich auf einen Erntepreis geeinigt, dann steht dem Verkauf des Leseguts an eines der Champagnerhäuser nichts im Wege. Vorausgesetzt, die Qualität passt. Denn der Klimawandel setzt vor allem dem wichtigsten Element des Champagners zu: seiner Frische.

Foto: Eric et Julie Michael-Ferire

„Seine Zitrusfrucht-Noten sind sehr dominant“, gibt Julie Cavil zumindest für den Pinot Meunier, den „Schwarzriesling“ (und dennoch eine rote Traube!) des Jahrgangs 2020, Entwarnung. Die Kellermeisterin des Hauses Krug steht dabei in der „bibliothèque“, einem ziemlich einzigartigen Flaschenlager mit Jahrgängen, die bis zu 15 Jahre alt sind. Es sind die „vins de réserve“, die einer der Gründe des Champagner-Preises sind. Nimmt man etwa die aktuelle „Grande Cuvée“ her, „dann stecken 146 Weine aus elf Jahrgängen darin“, so Cavil. Die aktuelle Abfüllung ist Nummer 169, seit der Mainzer Johann-Joseph Krug seine erste eigene Flasche präsentierte.
Der zum Franzosen mutierte Joseph Krug legte den Grundstein für das üppige Zurücklegen von Weinen. So lassen sich ­mangelnde Frische, Frucht oder Struktur durch strukturierte „Assemblage“, wie das Ver­mischen klangvoll französisch heißt, ausgleichen. Der eigentliche Lese-Jahrgang der „Grande Cuvée“, die sechs Jahre Flaschengärung erfährt, war 2013. „Das macht gut 60 PROZENT in der ­finalen Assemblage aus“ rechnet Chef de cave Julie Cavil vor. Mit den ergänzenden zehn älteren Jahrgängen stammen somit 40 Prozent des Weins aus der „bibliothèque“. Erhöht hat man bei der Maison Krug auch leicht den Anteil des Pinot Meuniers – er macht gegenüber anderen Edi­tionen des 190 Euro teuren Schaumweins 22 statt 19 Prozent aus. Neben seinen Verschnittpartnern Pinot Noir und Chardonnay mag die Sorte weniger bekannt sein, doch sie fungiert vor allem als „Strukturgeber“ des Champagners.

Das bedeutet aber, dass in einem aktuellen Spitzenchampagner Wein zu finden ist, der im Jahr 2000 gelesen wurde. Viel gebundenes Kapital also, das ebenfalls die Preise erhöht. Und dabei haben wir mit Madame Cavil noch nicht einmal über die Jahrgangschampagner gesprochen, die weitaus seltener möglich sind. Denn dann fallen Reserveanteile weg – dafür tragen diese Weine dann auch stolz eine Jahrgangsangabe, was bei weitaus häufi­geren so genannten Prestige-­Cuvées der Champagne nie der Fall ist. Doch die Jahre, in denen alle drei Hauptsorten (zu den übrigen siehe Kasten!) perfekt reifen, sind selten. 2008 wurde der letzte „Vintage“ bei Krug gelesen, „er kommt heuer im Herbst auf den Markt“.

Der WIENER kostete dennoch schon vor, und der Geschmack zeigt, dass sich hier in der alle drei Sorten verewigt haben: Reife Brombeeren am Gaumen sind Komponenten, die man den roten Rebsorten zuordnen kann. Der zitrusfruchtige Ausklang wieder verweist auf den Chardonnay-­Anteil. Angetan ist Julie Cavil aber von unseren Bemerkungen zum Duft dieses Jahrgangschampagners: Zarter Rauch, röstige Noten und Kokosnuss. „Das sind die Toastbrot-Noten unserer Reifung“, ist sie glücklich, dass ein weiterer preisrelevanter Schritt der ­Produktion erkannt wurde. Denn Krug vergärt seine ­Grundweine nach wie vor in ­Eichenholz-Fässern, was selten ­gewor­den ist. Der James-Bond-Champagner Bollinger wäre eine zweite „maison“, die das tut. Aber das erwähnen wir lieber jetzt nicht.

Foto: Jenny Zarins

Wichtiger ist, dass auch dieses Verfahren aufwändiger als die Arbeit mit großen Edelstahltanks ist. Aber man kann diese Noten dann eben auch sechs Jahre oder ein Jahrzehnt später schmecken. Sofern man die Geduld hat, auf diese Weine zu warten. Und das entsprechende Kleingeld hat. Die Basis muss halt stimmen, auch wenn Olivier das weitaus schöner formuliert: „Beim Champagner geht es immer um Präzision. Dann kannst du den aromatischen Reichtum drum herum organisieren“! Der Urururenkel leitet das Haus, das zum großen Schampus-Reich Louis Vuittons gehört, wie auch Dom Pérignon, Ruinart, Veuve Cliquot oder Moët & Chandon, das „M“ im Holding-Namen LVMH.

Mit einer halben Million ­Flaschen, die Krugs Schriftzug tragen ist man innerhalb des 66 Millionen Flaschen starken Outputs der Gruppe eine kleine Nummer. Doch bekanntlich zählt beim Champagner ja nicht die Quantität. Bien sur!


Champagner-Paradox
Raritäten, die durchaus leistbar sind
Nicht jeder Winzer in der Champagne verkauft seine Trauben an die großen Häuser. Die „Winzer-Champagner“ sind nicht leicht zu finden (vor allem außerhalb Frankreichs), tragen aber ein Kürzel, an dem man sie erkennt: RM für „récoltant manipulant”.

Mit 90 Etiketten stellt Friso Schoppers „Dosage“ dafür eine gute Adresse in Wien dar, www.dosage.at
Mit wenigen Ausnahmen wie den familiengeführten Häusern Drappier oder Duval-Leroy sind es auch die Champagner-Winzer, die eine echte Rarität schützen: Die kaum bekannten Rebsorten, die man in der Region die „Alten“ („cépages anciens“) nennt: Arba(n)ne, Petit Meslier, Pinot Blanc und Pinot Gris teilen sich 120 Hektar in der Champagne. Das klingt mehr, als es ist: Wir sprechen von 0,3 Prozent der Gesamtfläche. Zudem macht der Pinot blanc allein 100 Hektar aus.

Für Schampus-Freunde ist der durchaus niedrige Preis dieser Sorten vor Ort interessant. In Österreich wird’s etwas teurer, dafür sind es rare, um nicht zu sagen: hedonistische, Champagner:
1. Piollots „Colas Robin“ ist als reinsortiger Pinot Blanc um 50 Euro zu haben, www.zerodosage.at
2. Champagner-Treff „Le Cru“ führt den „BAM!“ – Abkürzung für (Pinot) Blanc, Arbane, Meslier – von Tarlant für 147 Euro, https://lecru.at
3. Drappiers „Quattuor“ aus allen vier weißen Sorten kommt auf 65 Euro, www.millesima.at

Foto: Dappier