Buch

Der Mann auf der Couch

Ein Mann schreibt ein Buch. Über sein Leben. Na und? Abertausende tun das. Es ist uns freilich nicht egal, wenn es ein Mann tut, der einst den „Wiener“ mit erdacht hat. Der mehr ist als nur ein Zeitzeuge. Und der – vielleicht prototypisch, eventuell auch nur ein Einzelschicksal – zum Ver­lorenen wurde zwischen den Jahrzehnten, Ländern und Stationen einer ­Journalisten-Karriere.

Text: Walter Gröbchen / Foto Header: Michael Hopp

Ex und Hopp. Die üblichen Insignien des Literaturgeschäfts sind hier müßig. Wir wohnen einer radikalen Selbstentblössung bei, einer öffentlichen psychotherapeutischen Sitzung, vielleicht sogar einer milden Form von Exorzismus. Die Geister, die vertrieben werden sollen, sind Legion: Alkoholismus, Geldmangel, Sexsucht, Ich-Fixiertheit. Und, ja, der Zeitgeist ist auch darunter. Er trägt nur nicht mehr das kantige, fesch-forsche Gesicht der achtziger Jahre (des vorigen Jahrhunderts, nein: Jahrtausends, ist man geneigt zu schreiben, wenn man Distanz nehmen will), sondern das verbrauchte Antlitz eines Greises.

Tatsächlich bin ich erschrocken, als ich Michael Hopp nach vielen Jahren wiederbegegnet bin. Nicht persönlich, sondern auf einem Foto. Denn Hopp – einst Chef­redakteur des „Wiener“ in seiner legendären Anfangsphase – war immer eine juvenile, dauerpubertierende Erscheinung. Ein groß gewachsener Bub. Nun blickte mich ein alter Mann an. Nicht vom Cover des Buches, das hier zum Ankerpunkt aller Überlegungen werden soll – es trägt den Titel „Mann auf der Couch“, Hopps Antlitz ist darauf nur verschwommen erkennbar –, sondern in der Realität. Fotos können, wenn sie wirklich sind, grausam sein. Ein heutiges Foto des Autors erzählt von einem jahrzehntelangen, von vielen seiner ehemaligen Kollegen, Mitarbeitern, Freunden unbemerkten Kampf gegen Dämonen.

Hopp ist der Mann auf der Couch. Er breitet – zunächst vor zwei Psychoanalytikerinnen, dann vor uns – sein Leben aus. Sie können es unter der ISBN-Nummer 9783864852428 direkt beim Verlag, einer kleinen Berliner Klitsche, bestellen. Neben all den Erzähl- und Zeitebenen enthält das Buch einiges an Originalmaterial, Familienbilder, frühe und spätere journalistische Texte, Zeitdokumente, ein Märchen und sechs Träume. Es ist hart, es zu lesen. Aber man liest es in einem Rutsch: 655 Seiten. Ich habe es getan. Freunde haben mich gefragt, wie es mir gefallen hätte. Meine Antwort fiel lakonisch aus: ich hätte glatt dreihundert Seiten gestrichen, quälender Redundanz wegen. Aber der Rest sei durchwegs erbaulich. Wenn man die eigene Erschütterung einkalkuliert.

Ich kann nicht aus dem Buch zitieren. Denn: ich habe es verborgt. An einen Freund, der quasi nebenan wohnt. Der selbst Zeitzeuge war. Und auch in und mit dem „Wiener“ groß geworden ist, was für fast jeden namhaften Journalisten unserer Generation gilt. Denn wenn man auch nicht selbst für das Zentral­organ der achtziger Jahre-Moden gearbeitet, geschrieben, fotografiert hat (ich z.B. hab’ nur zwei, drei nebbiche Artikel verfasst, kaum der Rede wert), so kam man doch kaum vorbei an dem dröhnenden Selbstbewusstsein, der rotzfrechen Bild- und Text-Sprache und der aufreizenden Überzeugungskraft des späteren „Tempo“-Journalismus. Der, ja, in Wien zwar nicht erfunden wurde (da seien Hunter S. Thompson und „The Face“ vor!), aber im deutschsprachigen Raum so tun konnte. Ganz ohne Genierer.

Der Freund, der nun das Hopp-Buch – kann man derlei, eventuell vorschnell, Memoiren nennen? – liest, hat sich nicht weiter geäußert. Vielleicht, weil er selbst ein ähnliches Buch schreiben könnte. Schreiben sollte. Voller Enthusiasmus, Drive und Berauschung am eigenen Erfolg in der Frühphase, voller trügerischer Verlockungen, falscher Abzweigungen und fataler Fehlentscheidungen in späteren Jahren. Alkoholismus, Geldmangel, Drogen- und Sexsucht, Ich-Fixiertheit inklusive. Haben wir nicht alle solche Biografien? Zumindest in gröberen Bruchstücken oder auch nur von zunehmender Verspießbürgerung gemilderten Ansätzen? Sind wir nicht alle ein wenig Hopp und Ex?

Foto: Michael Hopp

Die Geschichte ist in wenigen Sätzen erzählt: Ein Kind wächst zerrissen zwischen einer schönen, aber labilen Mutter und einem herzlos-sorgsamen Vater auf, entdeckt früh den Kommunis- und den Journalismus, ausgerechnet im Umfeld des frühen „Politwurschtels“ (Bruno Kreisky), „Forum“-Herausgebers und späteren „Krone“-Kolumnisten DDr. Günther Nenning, und entflieht mit kecken Artikeln seiner ­eigenen Unsicherheit zwischen ­Pubertät, Bisexualität und Klassenkampf. Gemeinsam mit dem Schülerzeitungs-Gewerkschafter und bürgerlichen Jungrevolutionär ­Markus Peichl, Sohn des gleich­namigen Architekten, erfindet er den „Wiener“ neu, den andere ­Leute schon vor ihm erfunden, aber legér an die Wand gefahren hatten. Die Rezeptur: sich einfach nix scheißen. Damit konnte man im Wien der New Wave-Ära (hierzulande idealtypisch repräsentiert durch den Pop-Heroen Falco) tatsächlich weltberühmt werden. Was dazu führte, dass das Magazin „Wiener“ rasant zur Steilvorlage für deutsche Verlagsanstalten wurde und in Hamburg und München gleich zwei Derivate entstanden, beide relativ kurzlebig. Aber legendär. Hopp wurde als Zampano, Textschmied á la mode und Chefredakteur für andere Verlagsobjekte eingesackt, wobei sich TV-Illustrierte mit Millionenauflage zwar als lukrative Betätigungsfelder erwiesen, aber zugleich als intellektuelle Sackgasse. Um seinen Alkoholismus zu verbergen, lässt der Chef sogar eine Zwischenwand zu seinem Büro hochziehen. Heute ist Hopp Vater von fünf Kindern und betreibt mit seiner dritten Frau (wenn ich’s recht gezählt habe) eine kleine Medienagentur in Hamburg. Update: die Frau lässt sich gerade scheiden. Oder so. Außerdem fühlt sich der Protagonist seit Jahrzehnten der Psychotherapie verpflichtet, frägt sich aber zunehmend dringlicher, warum und wozu.

Kann ich ihm auch nicht sagen. Wirklich ertappt gefühlt habe ich mich aber, wenn Hopp über seine bevorzugte Kultur- und Konsummarotte berichtet: die High End- und Vinyl-Sucht. Also den Drang, möglichst viele möglichst gute Schallplatten auf möglichst guten und möglicherweise noch besseren HiFi-Geräten zu hören. Das klingt harmlos, geht aber ziemlich ins Geld. Und kennt kein Limit. Denn irgendwo und irgendwie lässt sich immer noch eine obskurere, aber eventuell authentischer klingende Scheibe von Bob Dylan, Van Morrison oder Prefab Sprout (um partout nicht die Beatles zu bemühen) auftreiben. Wenn man das nötige Kleingeld hat (und leider macht es einem das Internet heute zu leicht, es auch auszugeben). Und so eine audiophile Verheißung oder rare Erstpressung kann mindestens so wirken wie Koks. Dopamin, Baby! Unleugbar hat Hopp immer wieder den Kick gesucht. Im Fall der Vinylsucht hat er mein volles Verständnis.

Andere Facetten der Hopp-Biografie sind weniger sympathisch. Aber heischt der Autor überhaupt nach Mitgefühl, Verständnis, Empathie? Jein. Manchmal liest sich „Mann auf der Couch“ auch, und ich bin jetzt ein wenig gemein, wie ein exaltiert gezirkeltes Bewerbungsschreiben für lukrative Agentur-Aufträge. So zweimal um die Mitgefühls-Ecke herum. Wobei ich die Angst vor Altersarmut nicht für einen guten Motivator auf Kundenseite halte. Letztlich hat der ehemalige Zeitgeist-Profi, und es ist eine nüchterne Beobachtung, im 21. Jahrhundert kein wirkliches Talent für die Generation TikTok, der selbst Facebook, Twitter, Instagram & Co. schon altvatterisch erscheinen. Die Follower und Likes unter den Einträgen verkünden mildes Desinteresse. Am besten gehen, was das Business anno 2021 betrifft, wohl Magazin-Workshops und Feedback-Runden, wo die noch vorhandene Print-Branche sich beim alten Meister Lob und Tadel abholt. Und sich vielleicht anschließend das Buch signieren lässt. Aber wer bin ich, das Tagwerk einer Legende zu beurteilen?

Und eine Legende ist Hopp zweifellos. Nicht eine wie Rudolf Augstein oder Hans Dichand, auch keine wie Robert Hochner oder Hans Hölzel (wobei es schon Kids geben soll, die nicht mehr wissen, wer Hans Hölzel war). Aber für ein paar schnelle Jahre war der Mann auf der Couch der Mann, der mit entschied – oder jedenfalls überzeugend so tat –, welche Farbe und Form diese Couch unbedingt haben sollte. Und welcher Marke sie zu sein hätte. Und wer darauf mit wem wie zu liegen kommen würde.

Das Alter steht Legenden dieses Formats schlecht. Das Buch ist, wie gesagt, harter Tobak. Es zerstört auch die (seit jeher leicht dämliche) Verklärung der Heydays des „Wiener“. Vielleicht ist es Schicksal, das ausgerechnet in einer immer noch existenten Zeitschrift gleichen Namens lesen zu müssen. Vielleicht ist es auch eine Gnade. Ich überlege, was Hopp selbst vor fast vierzig Jahren zur heutigen Mutation des Magazins oder, warum nicht?, zu einem Papierziegel wie „Mann auf der Couch“ eingefallen wäre, in einer Projektion wie in Kubricks „2001“, wo der junge Raumfahrer auf sein eigenes greisenhaftes Alter Ego trifft. Abscheu? Affirmation? Aha-Aha? Ich werde diese Frage dem einzigen Mann stellen, der sie beantworten kann. Öffentlich. Denn natürlich muss der „Wiener“ den Exil-Wiener einladen, uns allen sein Leben vorzulesen. Und das eine oder andere Detail näher zu erklären. Im Altersheim der Erinnerungen (mit der weichen Couch). Vienna waits for you.

Foto: Textem

Der autobiografische 656 (!) Seiten-Wälzer „Mann auf der Couch“ erschien bei Textem. Infos und bestellungen unter www.michael-hopp-texte.de