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Bob Dylan et al. – Halbgötter & Baby Groupies

Manfred Sax

Immer wenn ein alter Star falsche Schlagzeilen macht, fällt auch auf die berühmte Sexuelle Revolution der 60er und 70er Jahre ein trügerisches Licht. Warum waren bei Männern, deren Musik wir vergöttern, pubertäre Mädchen so en vogue?

Text: Manfred Sax / Foto Header: Getty Images

Es war nicht so, dass sie es verschwiegen, im Gegenteil, sie verpackten es in Hits. Young Girl von The Union Gap erzählt über ein viel zu junges Girl, das sie nicht in Ruhe ließ, war weltweit Nummer 1, ein Dauerbrenner auch im hiesigen Radio, ­irgendwo zwischen Schlagergirls, die einen „Cowboy als Mann“ wollten. Hau lieber ab, sang Frontmann Gary Puckett, ehe was passiert. Oder: „She was just seventeen / You know what I mean“ – die Beatles (I Saw Her Standing There). Für Chuck Berry war „Sweet Little Sixteen“ unwiderstehlich, wenn auch zu alt für Iggy Pop: „I slept with ­Sable when she was 13 / She walked her way around L.A. / Till a New York Doll carried her away.“ Der New York Doll, den Iggy da in „Look Away“ (1996) nostalgisch ­outete, war Johnny Thunder. Sable, Familienname Starr, war da immerhin bereits 16.

Miss Starr (1957–2009) war in den frühen 1970er Jahren ein berühmtes Groupie in Los Angeles. Wenn sie aus ihrem Leben plauderte, fielen Namen wie Rod Stewart, David Bowie und Marc Bolan, mit Jimmy Page (Led Zeppelin) war sie Jahre unterwegs. Wenn heute ein Altstar wie Bob Dylan dubios geoutet wird, rauscht es in den Social Media. Heimische Influenzer entstauben ihre „Unschuldsvermutung und Unmutsverschuldung“-Sprüche, alte Fans fragen sich, ob sie ihren Lieblingsliedern noch lauschen dürfen. Rockstars in ihren Zwanzigern mit pubertären Teens – was war da los? Nun, die Sexuelle Revolution war los. Es gab Dinge, die heute ein Skandal wären. „Minderjährige verführen?“, titelte das damalige Zeitgeist-Blatt Twen, „Wen denn sonst!“

Pille und Generationskonflikt (Slogan: Trau keinem über 30!) und der Drang nach Befreiung machten es möglich. Die Elterngeneration hatte ohnehin keinen Tau. Nach dem ersten Konzert der Rolling Stones in Wien (1965) waren die Tagblätter ratlos („Mick Jagger, Schrecken aller Teenager-Mütter und Ruin aller Friseure von Wien bis Liverpool, hechelt in sein Mikrofon, die Texte sind blöd bis ordinär.“). Die Texte? „Es gibt nichts, das du nicht tun kannst“, hieß es bei den Beatles, „alles, was du brauchst, ist Liebe.“ Sex, bis dahin nur eine eheliche Pflicht zum Zwecke der Fortpflanzung, wurde zur Endstation Sehnsucht. Rockstars waren die neuen Halbgötter, denen wurde getraut.

Wer ein Rocker war, hätte in den Sixties und Seventies mit allen jungen Frauen ins Bett gehen können, warum also pubertäre Girls? Es hatte unter anderem mit den Befreiungs-Philosophien des frühen 20. Jahrhunderts zu tun. Mit einer von Intellektuellen dynamisierten sexuellen Revolution der ersten Stunde, die nach der Spanischen Grippe-Pandemie (1918-22) ins Rollen kam. Mit der Anthropologin Margaret Mead, die nach einem Besuch der pazifischen Insel Samoa glaubte, dass sexuelle Aktivität für Jugendliche nicht eine Zeit von „Sturm und Stress“ war, sondern den Übergang zur Erwachsenheit erleichterte. Mit Sigmund Freud, der von den psychischen Schäden sprach, die sexuelle Repression verursache. Mit dem Psychoanalytiker Wilhelm Reich, der den Begriff „sexuelle Revolution“ prägte. Ansätze, die insbesondere von französischen Intellektuellen wie Jean-Paul Sartre und Michel Foucault enthusiastisch adoptiert wurden. Letzterer machte sich dafür stark, den Kindern die Reife zuzumuten, über ihre sexuellen Aktivitäten zu entscheiden. Ihnen die Entscheidung abzunehmen, bezeichnete er als Missbrauch. Er wollte, dass das behördliche „Schutz­alter“ von 14 Jahren nach unten erweitert wird. Eine entsprechende Petition wurde 1977 von Sartre, Simone de Beauvoir und etlichen intellektuellen Schwergewichten unterzeichnet. Das war der theoretische Überbau der sexuellen Revolution. Sex, die unbekannte Inter­aktion, war etwas, das es zu erforschen galt, am besten so früh wie möglich, damit die Jugend von den prüden Alten nicht ruiniert werde. Und niemand kannte die Grenzen der Befreiung.

Es war nicht so, dass die Stars ihre Affären an die große Glocke hingen. Informativ waren nur die sogenannten Baby Groupies wie Sable Starr und deren Freundin Lori Mattix, die davon erzählte, dass sie 1973, vierzehnjährig, mit David Bowie ihre Jungfräulichkeit verlor. Ob sie sich missbraucht gefühlt hatte, wurde die nunmehrige Betreiberin der Glam Boutique mal gefragt. „Bist du verrückt?“, erwiderte sie, „Der erste Sex mit dem größten Star der Welt, was könnte einem Girl Besseres widerfahren?“

Von den einschlägig aktiven Musikgrößen war nur der international populäre englische DJ John Peel (1939-2004), der auch im ORF-­Radio einen kleinen Slot hatte, mit seltsamer Naivität bereit, in der Sendung „Home Truths“, die er bis zu seinem Tod betreute, auf die Epoche ein Licht zu werfen. Anno Sixties war er in den USA im Einsatz und offenbar einigermaßen übermannt. Die 13-Jährigen? Verblüffend sagt er: „Sie wollten nur, dass ich sie sexuell missbrauche, und wer war ich, da nein zu sagen? Es war der Glamour des Jobs. Leider hatten die US-Mädchen jener Epoche die seltsame Vorstellung, ihre Jungfräulichkeit mit dem zukünftigen Gatten in der Hochzeitsnacht zu verlieren. Sie machten ­alles, nur bumsen wollten sie dich nicht.“ 1965 heiratete er daher in Dallas die damals 15-jährige Shirley Ann Milburn, von der er sich 1967 trennte. Peel war ein bekennender Schoolgirl-Freak, der lange Jahre einen „Schoolgirl of the Year“-Wettbewerb unterhielt.

Aber: Wo war bei Sex die Grenze? Für Frank Zappa etwa war es die berüchtigte „Mud Shark“-Affäre, da kam selbst er nicht mehr mit und schrieb daher das gleichnamige Lied. Wer wissen will, was da passierte, höre sich auf YouTube den Song an. Hier nur soviel: Man nehme einen Mud Shark (Dornhai), ein Hotel, Mitglieder der Rockbands Vanilla Fudge und Led Zeppelin, ein Groupie – und verknüpfe die Punkte. Genug gesagt.

Die berühmte Sexuelle Revolution. Die rockenden Halbgötter und ihre blutjungen Fans. Deren „consent“ nicht zur Debatte stand, alle wollten mitmachen. Aber wo endet Sex als gemeinsame, weitgehend nonverbale Interaktion, wo beginnt Missbrauch? Die „freie Liebe“ der Sixties war erst im Aufbruch, als auch schon das Wort „Sexismus“ geprägt wurde. Meinte die frühe Feministin Robin Morgan anno „Summer of Love“ (1967) in San Francisco. „Die Bewegung hatte „free every-thing“ als Basis. Alles gratis. Gratis essen, gratis trinken, gratis wohnen… und: gratis Frauen. Und ja, es gab einen Konsens unter Frauen, dass man da mitmachen müsse. Ansonsten rollten wir ja nur die Joints. Es gab viele Fälle von Nötigung.“ Und als sich Aktivisten wie Malcolm X mit Brandreden für „Black Power“ stark machten, hingen außerdem an den Wänden der Veranstaltungsorte Transparente mit der Aufschrift „Beschützt euren wertvollsten Besitz – die Frauen“. Das männliche Bewusstsein blieb archaisch, hat sich bis heute kaum emanzipiert. Sex und Drogen und Rock’n’Roll, sang einst Ian Dury, ist alles, was mein Gehirn und mein Körper brauchen. Das Gehirn blieb halt irgendwo auf der Strecke.

„Young girl, get out of my mind
My love for you is way out of line
Better run, girl, you’re much too young, girl“
(Union Gap, 1968)