Interview

Thomas Maurer spricht mit Manfred Rebhandl

Thomas Maurer: Illustrator auf Abwegen

Manfred Rebhandl

Thomas Maurer hat, wie er selbst sagt, „ein Pratzerl“. Er könnte auch als Zeichner und Illustrator erfolgreich sein, aber dann verschlug es den gelernten Buchhändler auf die Bühne. Zum Zeitpunkt des Interviews bereitet er sein 20. Programm vor, es heißt „Zeitgenosse aus Leidenschaft“. Ab sofort ist Thomas Maurer damit auf Tour durch Österreich unterwegs. Der Illustrator auf Abwegen hat Kreuzschmerzen, als er zum Interview kommt.

Interview: Manfred Rebhandl, Fotos: Eryk Kepski
Ort des Interviews: Café Schopenhauer, 1180 Wien, Zeit: 08. 11. 21 um 13 Uhr

WIENER: Herr Maurer, wir treffen uns hier im Café Schopenhauer …
MAURER: … wo wir uns wirklich lange bemüht haben, dass der alte Eigentümer überlebt, wir haben hier Kafka und so was gelesen, der Josef Hader ist auch drei Mal aufgetreten, Benefizveranstaltungen Ende nie, aber dann ist er doch in Konkurs gegangen.

Jetzt spielt man hier tagsüber Musik.
Was bei einem klassischen Alt Wiener Café eigentlich wirklich nicht sein muss! Wie da noch drei Billardtische gestanden sind und eine Ruhe war, war es mir offen gestanden lieber, aber G’schäft war’s wahrscheinlich auch keines.

Man versucht es mit Büchern, die hier liebevoll beim Eingang angeboten werden. Gehen Sie als gelernter Buchhändler, der Sie sind, mittlerweile auch verschämt an Büchern vorbei, weil Sie nichts mehr lesen, oder genehmigen Sie sich hin und wieder Stunden konzentrierter Lektüre?
Ich lese immer noch sehr brav, oder sagen wir: Wieder. Eine Zeitlang bin ich natürlich auch ins Serienschauen reingekippt, aber das Pendel hat wieder zurückgeschlagen, und meine Wohnungswände sind nach wie vor gut mit Büchern isoliert. Was dazu gekommen ist: Ich bin jetzt auch ein bisserl am E-reader Leser geworden, englische und amerikanische Autoren lese ich im Original, weil da hat der E-reader den Vorteil, dass, wenn ich mal eine ­Vokabel nicht kenne, ich einfach drauf drücke und das Dictionary aufgeht, wohingegen ich früher keine Lust hatte, mit dem Wörterbuch zum Buch dazu herumzulaufen. Der Reader ist tatsächlich eine technologische Verbesserung, die ich für eine solche halte.

Dann haben Sie sich also bereits den neuen 800-Seiter von Jonathan Frantzen reingezogen?
Na, bei dem haben mich jetzt ein bisserl vom Lesen abgehalten die im Vorfeld bekannt gewordenen, wirklich sehr schlechten Sexszenen, die er da eingebaut hat, es gibt ja da immer so einen „Die schlechteste Sexszene in einem Buch“-Award, und da hat er fest abgeräumt bzw. beim Schreiben ganz stark in den Gatsch gegriffen. Kann sein, dass das restliche Buch ganz gut ist, aber davor brauch ich ein bisserl Abstand.

Sexszenen in der Literatur gelten als hohe Kunst, wenn man sie beherrscht, öfter wird es aber richtig peinlich. Wie ist das auf der Bühne mit der Beschreibung oder Darstellung von gelungenen bzw. wohl eher weniger
gelungenen Sexerlebnissen?
Es gibt ja vor allem in Amerika dieses Subgenre mit sehr erfolgreichen Comedians, männliche und weibliche, die ausschließlich über Sex reden, Amy Schumer oder Iliza Shlesinger. Bei mir meine ich mich immerhin erinnern zu können, dass das Wort „Pudern“ schon mal vorgekommen ist, und ein Lied über einen misslungenen ONS hab ich auch gemacht. Aber vor allem, wenn man solo auf der Bühne steht, kann man das ja nur anekdotisch abhandeln. Bei uns gab es da eine Zeitlang den sexualtherapeutischen Ansatz auf der Bühne, da gab es scheinbar Nachholbedarf, der sich auch wieder gelegt hat.

Verfolgen Sie Comedy anderer Nationen bzw. hier ­zuhause?
Nicht mit vollem Einsatz, aber die, die mir gefallen, verfolge ich schon, um ein bisserl eine Einschätzung zu haben. In Deutschland gibt es ja immer noch diesen Unterschied zwischen Comedy und klassischem, tagespolitischen Kabarett, beiden fühle ich mich nicht wirklich zugehörig, letzterem noch eher, vor allem mit den Staatskünstlern. Meine Solos sind aber irgendwo dazwischen angesiedelt, Komik ist da mehr Mittel als Zweck. Was in Deutschland als fernsehtauglich gilt, das ist alles eher der Tradition des späten Dieter Hallervoorden verpflichtet.

Der nur schlecht war?
Naja! Ich war mal in einem Alter, da hat mir ABBA gefallen, aber das liegt auch schon länger hinter mir.

Die neue LP haben Sie schon gehört?
Eine Single mal zufällig im Radio. Sie klang wie ABBA.

Sie haben es trotz aller Erfolge in Österreich nie wirklich über Bayern hinaus bis Norddeutschland geschafft.
Ich glaube, da müsste man irgendwann, wenn man jung ist, total die Ochsentour gehen, wo Du nicht einmal fix eine Gage kriegst, sondern immer nur am Abend die Beteiligung, wo du also gar nie weißt, mit wie vielen Euros du am Ende heim fährst, und dafür bin ich mit meinem Kreuz zu alt.

Sie kommen gerade vom Kreuzdoktor, wann und wo tut es weh?
Wenn, dann immer links unten. Wenn es dort einschnagglt, dann geh ich ein paar Mal im Kreis.

Eine Impfung gegen Kreuzschmerzen würden Sie sich sofort reinhauen lassen, oder würden Sie zuerst auf valide Daten warten?
Sofort rein damit! Ich würde mir aber auch eine Impfung geben lassen, die mich zum Beispiel gut Latein sprechen lassen würde. Alles, was das Leben besser macht, begrüße ich.

Hinter uns liegen zwanzig Monate mit vielen Gs, in dieser Zeit ist auch Ihr Vater an Covid verstorben, was Sie damals sogar öffentlich gemacht haben.
Da gab’s noch keine Impfung, bzw. gab’s die Imfpung sogar schon, aber die Bundesländer in diesem Land waren zu deppert, sie auszugeben, und der Gesundheitsminister war zu feige, um von seinen Kompetenzen
Gebrauch zu machen. Das war auch der einzige Grund, warum ich das in die Öffentlichkeit gezerrt habe, weil mein Vater ein typisches Opfer dieses trottelhaften Föderalismus war. Dass es jetzt immer noch so ausschaut, dass Leute, die die Impfung längst haben könnten, sie wegen Blödheit verweigern, das geht langsam ein bisserl über meinen Verständnishorizont hinaus.

Wie geht’s Ihnen dann, wenn Sie hören: Ja, aber die Freiheit …
Ja, die Freiheit! Meinetwegen sollen die Trotteln sich ihren Lungenkrebs mit Kristallen auspendeln lassen, weil da werden sie dann wenigstens nur selber dran sterben. Aber bei Infektionskrankheiten dünnt mein Geduldsfaden aus. Bei mir geht’s ja nicht nur darum, dass ich vielleicht wieder niemanden treffen kann, da geht’s ja auch ums Finanzielle. Die Theater laufen wahnsinnig schleppend an, wenn du so wie ich im Stadtsaal die Hälfte füllst, dann hast du fast schon einen Zulauf. Vielleicht ist ja jetzt 2 G die Lösung, weil möglicherweise auch Leute daheim geblieben sind, die nicht unbedingt neben ungeimpften Querdenkern sitzen wollten. Vielleicht hat sich aber auch einfach eine allgemeine Depression ausgebreitet, ich weiß es nicht.

Sie werden noch nicht von Freunden angerufen, die Sie frühmorgens um einen Joke bitten, damit sie der Depression entkommen?
Nein, noch nicht.

Nun gibt’s bald ein ­neues Programm, wie viel davon haben Sie fertig?
Normalerweise nehm ich mir immer genug Zeit zum Schreiben, aber diesmal hat es mich ein bisserl versetzt, weil eines meiner Kinder mir als Überraschung einen anderen Virus als den von Covid mit aus der Schule gebracht hat, was mir ein bisserl den Stecker gezogen und mich in der Planung zwei Wochen zurück gehaut hat. Aber bis zur Premiere soll der Rückstand aufgeholt sein.

Was ist zuerst da? Die Figur? Das Thema?
Es gab Premieren, wo ich zunächst die Struktur hatte, Premieren, wo ich zunächst eine Idee hatte, die ich weiter verfolgte, Premieren, auf die ich zugegangen bin mit der Haltung: Irgendwann muss mir was einfallen! Beim letzten Programm bin ich tatsächlich ohne Verwertungsabsicht über das Buch von Kaneman gestoßen, das ich auch einfach so als Lektüre empfehlen kann, das aber auch eine super Grundlage für mein Programm war. Wenn du dieses Buch gelesen hast, dann denkst du über dich und über die Welt anders, und da gibt es gar nicht so viele Bücher, von denen man das behaupten kann. Diesmal bin ich so ziemlich ins Blaue hineingestartet und hab bis jetzt ein dickes Notizbuch.

Immerhin den Titel haben Sie schon: „Zeitgenosse aus Leidenschaft“. Was sind Sie für ein Zeitgenosse?
Ich bin nach wie vor nicht extra darum bemüht, als Arschloch durch die Welt zu gehen.

Sie beschäftigen sich auch mit den großen Themen wie dem Klimawandel und damit, dass ein Kabarettist viel im Auto herum fährt?
Naja klar, darum wird sich in Zukunft alles drehen, aber es ist schon erstaunlich, wie wenig weiter geht, im Großen und im Kleinen. Wenn man verkünden würde, dass bei zwei Grad Plus das WLAN zusammenbrechen würde, dann würde man sofort Action sehen.

Wo ist Ihre Action? Fahren Sie weniger Auto?
Ich bin ja eher als Auto­verächter groß geworden, nachdem ich erst mit 35 den Führerschein gemacht habe, mein erstes Auto war dann eins, das ich geerbt habe. Jetzt hab ich das dritte, glaub ich, und das einzige, was ich beim Autofahren wirklich mag, ist, mit einem untermotorisierten Auto auf schlechten Bergstraßen zu fahren, weil da wird dir nicht fad. Das hab ich mal in Rumänien gemacht und mal in Kuba, wo du schauen musst, ob die Straße eh noch da ist. Die Äcker Rumäniens waren damals nach der Wende, was Biodiversität anging, ein Wahnsinn, weil sie sich noch kein Gift leisten konnten, aber dann sind eh bald die westlichen Agrarakonzerne gekommen und sind mit dem Gift reingefahren. Sonst ist Autofahren irrsinnig fad. Einmal hatte ich die „Anna Karenina“ vom Tolstoi am Beifahrersitz liegen, und da war ich die ganze Zeit versucht, das Buch zu nehmen und neben dem Fahren weiter zu lesen.

Und haben Sie sie dann mal fertig gelesen?
Ja, und ich fand sie sogar sehr kurzweilig! Wer mich ewig gefuchst hat, das war zum Beispiel der Thomas Mann, der ist mir immer am Nerv gegangen, die Buddenbrooks hab ich fünf Mal angefangen und wieder weggelegt, bis ich auf eine Hörbuchfassung gestoßen bin. Ich war begeistert und hab gar nicht verstanden, warum ich das nicht derlesen habe. Eigentlich ist jedes Kapitel wie eine Kurzgeschichte, natürlich wird der Plot über die Langstrecke getragen. Eine effektvolle Szene nach der anderen.

Wie schauts mit weniger Fleisch aus bei Ihnen?
Mein Fleischkonsum hat sich im Vergleich zu meinen Jugendjahren auf jeden Fall halbiert, jedes Mal eine Leberkassemmel, wenn ich bei einer vorbei komme, spielt es nicht mehr. Ich bin ja mit Österreichischer Küche aufgewachsen, genauer gesagt: Mit den Innereien der Österreichischen Küche, unsere Kinder kennen ja heute gar keine Leber mehr. In einer Fleischhackervitrine sind damals aber das Hirn und die Nierndl einfach drin gelegen, so was musst heute vorbestellen.

Sie hätten auch Star­illustrator werden können.
Zeichnen und Illustrieren wäre vielleicht mein auffallendstes Talent gewesen, ich hab eine gute Pratze gehabt, zeichnen kannst du, oder du kannst es nicht. Aber dann hat es mich halt zu meiner Überraschung auf die Bühne verschlagen, es magerlt mich bis heute ein bisserl, dass ich mein Talent verschwendet habe, Zeichnen ist eine ungerechte Gabe. Klavier spielen kannst du lernen, aber Zeichnen nicht. Wenn du es kannst, dann schaust du dir wie der Deix zu, was deine Hand Großartiges anstellt. Ich bin heute so gut wie mit 18, und das ist schad, weil Zeichnen ist ein Kilometergeschäft, je mehr Kilometer du machst, desto besser und sicherer wirst du.

Kaufen Sie Comics und Graphic Novels?
Das kommt in Wellen. In den 90ern hab ich ganz viel gekauft, wie so die britischen Intellektuellen die amerikanischen Comics übernommen haben, Dark Horse Verlag und Watchmen, was so die Leitpublikation der Zeit war, das ist wie mit der Musik: Manchmal hör ich sehr viel kontemporäres, und dann wieder Klassik. Klassik ist ein langer Prozess, weil ich damit überhaupt nicht aufgewachsen bin, das hab ich mir erst aneignen müssen.

Aber jetzt haben Sie ­alles durch?
Alles würd ich nicht sagen. Mit der Zweiten Wiener Moderne zum Beispiel fremdle ich immer noch ein bisserl, dass ich mir zum Kochen einen Webern auflege, das kommt selten vor.

Am Wochenende lief wieder mal „Wetten, dass…“ im Fernsehen. Gibt es irgendetwas aus Ihrem TV-Schaffen, das Sie gerne wieder aufnehmen würden?
Da gibt es einiges! Ich finde, „Die 4 da“ war echt ein cooles Format, das nach zwei Staffeln geendet hat, warum weiß niemand. „Die Staatskünstler“ sind wahrscheinlich wegen Vermeidung von Zores langsam ausgedürrt, dabei gibt es momentan eh gar nichts in Richtung Satire. Aber ich hab da kein Netzwerk, auf das ich mich verlassen könnte.

Werden die Zeiten härter für einen älteren weißen Mann?
Na, die Jammerei der älteren weißen Männer find ich ein bisserl albern. Ich erinnere mich an eine amerikanische Standup Comedy Frau, der jemand gesagt hat, sie wäre nur erfolgreich, weil sie eine Frau, lesbisch und Latina ist, und sie hat gesagt: Ja, genau. Seit Bestehen der Welt war das die Topkombination, wenn du was werden wolltest! Diese Cancel Culture ist ja bei uns noch weitgehend fiktional, bei uns scheint es nach wie vor so zu sein, dass du auch als Angehöriger der klassischen Eliten deine Chance hast (lacht).

Wo wird Ihr neues Programm sich einreihen? Haben Sie all Ihre Programme nach wie vor im Kopf?
Wichtig war 1995 für mich das Programm „Dschungel“, das war halt sehr radikal und verbunden mit der Frage, ob ich Kabarett überhaupt machen will oder nicht, ob es geht oder nicht. Einflussreicher und wirksamer waren natürlich Programme wie „Zwei echte Österreicher“ mit dem Scheuba, womit wir politisches Kabarett wieder auf den Spielplan gesetzt haben. Ich wollte jedes Mal was anderes machen, und dass mir die Programme nicht durcheinander rinnen, das halte ich schon für eine Leistung.

Wenn Sie in der Nacht aufwachen, können Sie sofort, sagen wir, ins dritte Programm einsteigen?
Ins dritte vielleicht nicht, weil das war von der Struktur her ein bisserl kompliziert. Aber ich mag es, wenn ich selbst gefordert bin. Ich bin mit der Zeit immer theatraler geworden, obwohl ich nie eine Ausbildung hatte.

Und wie finden Sie sich als Schauspieler?
Ganz okay. Also ich finde, ich könnte ruhig öfter gebucht werden für Drehtage.

In der Setcard steht ja: „Er kann auch Boxen!“
Das hab ich mal relativ gut gekonnt, jetzt mit dem Alter wird der ja hochkomplexe Ablauf jeder Bewegung beim Boxen natürlich immer schwieriger, weil wenn da was zwickt, dann geht’s dort nimmer weiter.

Das Kreuz.
Richtig.

Vielleicht auch mal ein eigenes Programm wert?
Vielleicht!


 Thomas Maurer
wurde am 27. Juni 1967 in Wien geboren, entwickelte früh Talente als Illustrator und wurde zum Buchhändler ausgebildet. Ab 1988 ist er allerdings beruflich als Kabarettist zugange, betätigte sich bisweilen als Autor und als Schauspieler und bringt mit „Zeitgenosse aus Leidenschaft“ demnächst sein bereits 20. Kabarettprogramm auf die Bühne