AKUT

Eine junge Frau steht in einem weiß blühenden Strauch

Frühlingserwachen – Bei mir bist du safe

Manfred Sax

Nach der Großen Isolation. Tinder und Co sind passé, die Orte der Begegnung wieder offen. Aber wie kriegst du dein Girl? Sie muss sich safe mit dir fühlen. Das ist Bedingung Nummer 1 und keine einfache Sache. Es ist nicht mehr so leicht, sie zu überzeugen, dass du kein Arschloch bist.

Text: Manfred Sax / Foto Header: Adobe Stock

Es ist ein anderer Frühling als üblich. Heuer ist niemand frühjahrsmüde. Der Körper hat keine Probleme mit der Umstellung auf mehr Wärme und mehr Licht. Der alljährliche kleine Neustart vom Melatonin-schwangeren Winterschlaf in den Seratonin-seligen Frühling bringt nicht die bleierne Mattheit, die jeden zweiten Menschen zu dieser Zeit traditionell bedient. Warum? Weil es ein anderer Winter war als üblich. Wir waren nicht in den Bars, wo wir die Nacht zum Tag machten, sie waren geschlossen. Wir waren nicht real, wir waren virtuell unterwegs, bei Laptop am Netzwerk und Tinder am Handy. Tatsächlich fühlte es sich an wie ein mehrjähriger Winterschlaf. Der vergangene Sommer war kein Sommer der Liebe, da wurde nur kompliziertes Covid-gefügiges Post-Vacc-Dating offeriert. (1) Die vergangenen Jahre gab es keine Lebenslust, es gab nur Pandemie. Die gibt es noch immer, nur ist die Angst nicht mehr Sieger.

Der alljährliche Neustart fühlt sich wie ein großer an, die Masken fallen, die Orte der Begegnung sind geöffnet, die Bars in deinem Grätzel gerammelt voll. Du kannst die entfachte Lust am Leben spüren, du kannst wieder atmen, es sei denn, du scheißt dich lieber weiterhin an und bleibst krampfhaft bei der Maske, die dir mittlerweile diese seltsamen roten Flecken im Gesicht beschert. Die Frage wäre: Wozu Angst vor dem Tod haben, wenn du dich weigerst zu leben? Wie schon einmal erwähnt: Du kannst 100 Jahre alt werden, wenn du alle Dinge aufgibst, die dich wünschen lassen, 100 Jahre alt zu werden. (1)
Dementi: Dies ist kein Aufruf zur Rücksichtslosigkeit gegenüber Mitmenschen, es ist eine Verneigung vor der menschlichen Natur. Der Mensch will menscheln, und zwei Jahre der verordneten Depression sind genug. Jetzt ist Frühling.

Immerhin: Die lange Phase der Isolation und des sozialen Nicht­lebens sollte das Bewusstsein in Sachen fehlende Erfüllung und aktuelle Sehnsüchte geschärft ­haben. Wir wissen, was wir vermissen. Und wir haben vergessen; wie geht eigentlich reale Beziehung ohne Zoom, ohne Tinder-Manierismen, ohne Fakery bei der Selbstdarstellung? Wie kriegst du dein Girl bzw. deine „Person of Interest“, jenes Wesen, mit dem du gern Trouble hättest? Was ist die wichtigste Qualität bei ersehnter Zweisamkeit, die Bedingung, ohne die es nicht geht? Das ist simpel, wenn auch nicht banal: Sie muss sich safe fühlen. Wenn du „bei mir bist du safe“ zu dieser Person sagst, muss sie ausreichend Gründe finden, um dir zu glauben. „Bei mir bist du safe“ ist stärker als jeder Liebesschwur, letzterer ist allzu abgenützt, man denke an den Tinderschwindler. Emotionale Safety ist die Basis einer Beziehung, die es wert ist; das Gefühl, das wahre Ich präsentieren zu können, ohne begleitendes Unbehagen, dafür letztlich mittelgefingert zu werden. Keine Versuchung, ihr zu sagen, was sie gern hört, nur weil sie es gern hört; keine Love-you-Games ohne Basis. Feeling Safe ist das Maß aller Beziehungsdinge.

Das hat nun ebenso Vor- wie Nachteile. Letztere haben sich in der jüngeren Vergangenheit angesammelt. Du kannst es Arschloch­faktor nennen, die Verhaltensökonomen sagen dazu „kognitive Bias“ – in etwa ein aus persönlichen Erfahrungen bzw. geistig inhalierten Daten geformtes Vorurteil, das Objektivität behindert und Offenheit erschwert. Aber bleiben wir beim Arschlochfaktor, zu viele Aspekte haben das Image des Mannes ramponiert, es ist nicht leicht, sich mit ihm safe zu fühlen. Es passierte #metoo (Arschloch Mann), es häufen sich Akte der Gewalt gegen Frauen (Superarschloch Mann). Kaum eine Frau fühlt sich nachts auf der Straße safe, wenn ihr ein Mann begegnet (sicher ein Arschloch). Dazu die Pandemie, per se eine Anleitung, sich nicht safe zu fühlen. Nie war Vertrauen zu gewinnen so schwer wie heute.

Andererseits sind die Vorteile des Safety-Postulats beim Wunsch nach Beziehungsleben nicht zu verachten. Im Neustart sind die Karten neu gemischt, die traditionellen Troubles des Mannes bei der Suche nach Zweisamkeit sind nichtig. Die üblichen Problemheadliner wie Peniskomplexe (warum ist er nicht so wie der von Pornhub´s James Deen) oder Erektionsängste (krieg ich im Fall des Falles einen hoch) oder Bodyself-shaming sind zu vergessen, die tangieren die ”Person of Interest“ null, detto die öden Selbstdarstellungen auf Tinder & Co. Du musst dir keine Katze zulegen, nur weil sie Katzen liebt.

Neustart also, es geht darum, emotionale Safety zu schaffen, und die Ingredienzen dazu kommen rüber wie ein alter Knigge über Manieren. Es geht um Empathie, also um ein Verständnis, dass sie, das Subjekt deiner Sehnsucht, im Fokus steht, also du, der Zweisamkeit ersehnende, ein guter Zuhörer bist. Es geht um Transparenz, ein Stärken ihres Vertrauens, dass bei dir keine der sprichwörtlichen Leichen im Keller liegen. Es geht darum, sie ­wider alle laufenden Vorurteile davon zu überzeugen, dass du kein Arschloch bist. Keine leichte Aufgabe, aber sie ist es wert. Es ist Frühling und das Leben dazu da, es zu genießen. Bei mir bist du safe, Göttin, let us dance.

(1) wiener-online.at/2021/05/31/hedon-ist