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Dirk Stermann: Dienstältester WIENER
Vor 24 Jahren begann Dirk Stermann (damals noch gemeinsam mit Christoph Grissemann) für den WIENER zu schreiben. Seit 226 Ausgaben ist seine Kolumne fixer Bestandteil des Magazins. Damit ist der gebürtige Duisburger dienstältester Mitarbeiter und WIENER des Monats.
Text: Franz J. Sauer
Die Ausgabe 226 erschien im März 1998 und ist in mehrerer Hinsicht erwähnenswert: Zum einen stellte der WIENER mit dieser Ausgabe von Rückendrahtheftung auf Klebebindung um, ein Meilenstein in qualitativer Hinsicht. Und zweitens erschien auf Seite 30 das erste Mal eine Kolumne der Herren Stermann und Grissemann. Der Titel: Anschläge (siehe weiter unten – das Original zum Nachlesen)
Aus heutiger Sicht ginge einiges in dieser spaßigen, mit dem Subtitel „Anschläge“ versehenen Glosse (von den Autoren selbst als „Kolümnchen“ bezeichnet) nicht mehr konform mit den Regeln der PC. Es waren andere Zeiten. Fast zehn Jahre lang erschien die Kolumne von beiden gemeinsam verfasst, es war sozusagen der Beitrag des komödiantischen Kollektivs Grissemann und Stermann im WIENER. Bis Christoph Grissemann sich aus persönlichen Gründen zurückzog und die Kolumne seinem Partner Stermann überließ. Der gottlob die Gelegenheit, ebenfalls abzuspringen, nicht nutzte. Im Gegenteil, wie er zu Protokoll gibt: „Wir haben ja bis dahin immer vierhändig geschrieben, auf nur einer Tastatur. Und nun konnte ich aber endlich zweihändig schreiben. Wie angenehm.“
Nicht nur stilistisch änderte sich seither einiges. Generell befand sich die Kolumne seither in ständigem Wandel. Wurde weniger spöttisch, weniger dem klar erkennbaren Schmäh verpflichtet, nahm den Zeitgeist eher in der zweiten Reihe aufs Korn. Nicht ohne dabei mindestens so scharf zu schießen wie bis dahin. Und ab und an verpasste sie einem einen regelrechten Schlag in die Magengrube, inhaltlich, sprachlich, thematisch.
Dirk Stermanns Kolumne ist stets der allerallererste Beitrag, der abgegeben wird, was den anderen Autoren und Schreibern, die sich branchenüblich schleppend Zeit lassen und erst nach mehreren Ermahnungen abgeben, stets vorgehalten wird (Stermann dazu: „Sechs Mal im Jahr eine Kolumne? Das schafft selbst der Faulste!“). Sie kommt stets in bester Qualität ausformuliert, von vorne bis hinten durchdacht, schlüssig in einem Guss und eigentlich mehr Kurzgeschichte als Kolumne, vielleicht mit ein paar Tippslern oder Rechtschreibfehlern versehen, damit man in der Redaktion nicht glaubt, ein Roboter schreibe sie. Stermann schreibt Kolumnen in einem Stück runter, wie jüngst in einem Interview mit dem Meister im „Standard“ zu lesen war. Wörtlich sagt Stermann da: „Mir taugt es, wenn Texte schnell entstehen, da habe ich fast ein erotisches Verhältnis dazu.“
Überhaupt ist der schreiberische Output des 57-Jährigen, der stets trocken angibt, beruflich „ein Deutscher in Österreich“ zu sein, beachtlich, und da meinen wir jetzt, zusätzlich zur belastenden Aufgabe von sechs WIENER-Kolumnen pro Jahr: Auf seinen ersten Roman „Sechs Österreicher unter den ersten fünf“ (2010) folgten die Romane „Stoß im Himmel“, „Der Junge bekommt das Gute zuletzt“ und „Der Hammer“, letzterer ein Historienroman, für den Stermann drei Jahre recherchierte. Bei seinem frischesten Werk, „Maksym“ (eben bei Rowohlt erschienen, der WIENER berichtete), machte er es sich leichter, handelt der Roman schließlich davon, wie ein Vater namens Dirk Stermann nach einer Babysitterin sucht und mit dem bulligen, bärbeißigen Osteuropäer Maksym den geeigneten Kandidaten findet. Seit 35 Jahren lebt Dirk Stermann in Wien, seit 15 heißt er wöchentlich Österreich willkommen und eben wurde er dienstältester WIENER-Mitarbeiter: 2022 scheint das Jahr der Jubiläen zu sein. Wir gratulieren jedenfalls heftigst. Und freuen uns auf die nächsten 261 Kolumnen, im WIENER
und freilich auch anderswo.
Stermann & Grissemann: ANSCHLÄGE (März 1998)
Der WIENER proudly presents: die Großmeister des gehobenen Schwachsinns, Halbgötter des transzendenten Trashs, Zweifaltigkeit der staubtrockenen Pointe. Stermann & Grissemann, bekannt aus Funk und Fernsehen, schreiben hier ab sofort jeden Monat, was ihnen am Herzen liegt. Oder einen Stock tiefer.
In diesem Boulevardblatt hier sind schon Tausende und Abertausende schlechte Artikelehen und Kolümnchen erschienen, so wie Geister erscheinen. Auf einen schlechten mehr wird’s wohl nicht ankommen. Guten Tag. Ist Ihnen im ersten Satz unser lächerlicher Hang zu Verniedlichungsformen aufgefallen? ,,Artikelehen“ und, spektakulärer: ,,Kolümnchen“. Sagen Sie das mal ganz schnell zehnmal hintereinander. Das ist der ungeübten Zunge fast unmöglich. Lassen Sie’s also gleich wieder, das brächte uns nämlich gar nichts. Oder warten Sie mal, versuchen Sie’s jetzt mit … ach, lassen Sie es sein!
Der Grund, in der heutigen Zeit in Boulevardblättern Kolümnchen zu verfassen (haben Sie es gemerkt: ,,Kolümnchen“! Großartig!), kann wohl nur den Grund haben (haben Sie das gemerkt? Zweimal „Grund“ in einem Satz. Besser wäre es gewesen, zweimal ,,Gründchen“ zu schreiben. Aber das wäre die hohe Schule gewesen, die Sie F-Schicht-Leser und uns B-Schicht-Schreiber wohl überfordert hätte), der mit G beginnt und mit eld endet, um das häßliche Wort Geld zu vermeiden. Wir nehmen also Geld für dieses Kolümnchen, allerdings handelt es sich um so wenig Geld, daß wir intern von? – richtig: ,,Geldchen“ sprechen.
Damit Sie an dieser Stelle noch mehr Einblick in die harte Realität auf dem brutalen Zeitgeistzeitungs-Markt erhalten, möchten wir Ihnen, kurz bevor wir mit unserem interessanten „Kolümnchen“ beginnen, schnell die knappen Worte wiederholen, die unser Chef uns an den Kopf warf: ,,4000 Anschläge, aber dalli!“-4000 Anschläge, was für die IRA wie ein Weihnachtsgeschenk klingt, bedeutet für uns harte Arbeit. Wir müssen 4000mal auf die Tastatur einer Schreibmaschine klopfen, mit unseren zarten Fingerchen (!)
Eine Zumutung eigentlich, wenn man bedenkt, daß wir für Kleinkunstauftritte den Veranstaltern oft das Zehnfache unserer Gage hier aus dem Täschchen ziehen, ohne mit unseren Zeigefingerchen auf irgendwas klopfen zu müssen, außer manchmal auf die Stirn, wenn die Zuschauer „buh“ machen und ihr Geld zurückwollen. Wohl verrückt geworden, selbst schuld, wer Kleinkunstbühnen besucht. Wir sind Kleinkünstler, weil’s die einzige Möglichkeit ist, Millionär zu werden in diesem Land, egal, wie schlecht man ist. Das Genre selbst, die „Kleinkunst“, hassen und verachten wir selbstverständlich. Nicht so sehr wie das Genre „Ausdruckstanz“ oder das Genre „Musical“, aber eigentlich doch genauso. All diese Bühnen sind gepflastert mit Brettern, die uns die dritte Welt bedeuten.
Michael J. Fox leidet am Parkinson Syndrom. Als Therapie schreibt er Gedichte: Schüttelreime
Stermann & Grissemann
„Mein Gott, klingen die beiden negativ und verbittert!“ hören wir Sie schon sagen. Manche von Ihnen wollen schon gar nicht mehr weiterlesen, stimmt’s? Sie müssen uns verstehen. Unsere Frauen sind im Krieg gefallen, wir sind ganz allein auf der Welt, und in diesen Friedenswirren sollten gerade wir Übriggebliebenen dicht zusammenstehen und lesen und schreiben. Sie lesen, und wir schreiben, alles klar? Wir wollen diesbezüglich kein Wort mehr hören. Falls Sie sich bei unserem Chef beschweren wollen, können wir sehr pampig werden. Etwa so wie Saddam Hussein, der ja 1999 zum Jahr des Terrors ausgerufen hat. Interessant ist, daß gleichzeitig die UNO 1999 zum Jahr der Senioren ausgerufen hat. Wir fragen Sie: Ist das nicht das gleiche?
Sie müssen schon auch in Zusammenhängen denken, um irgendwann einmal ein H-Schicht-Leser zu werden. Nostradamus zum Beispiel hat den Weltuntergang für Herbst ’99 vorausgesagt. Nun, im September ’99 kommt Vera Russwurm aus der Babypause zurück zum ORF .
Dürfte also was dran sein an der Prophezeiung.
Und da wollen Sie Ihre Zeit vergeuden mit „Ausdruckstänzchen“ und „Musicalchen“? Wie Sie meinen.
Gott, zittern uns jetzt gerade die Hände vor lauter in die Schreibmaschine klopfen. Wir schreiben vierhändig, wie Marek und Vacek. Das aber nur am Rande, und damit kommen wir zu einem ernsten Thema. Nämlich dem Parkinsonschen Syndrom und dem damit einhergehenden, relativ albern aussehenden Händezittern. Der zwergwüchsige „Schauspieler“ Michael J. Fox ist ja angeblich ganz fix und foxi ob seines Parkinsonschen Syndrömchens. Um sich selbst zu therapieren, schreibt er jetzt Gedichte – Schüttelreime. Außerdem spielt er die Hauptrolle der Verfilmung Das Leben des Muhammad Ali. Fox lernt bereits boxen, alles andere kann er schon. Ansonsten ist Michael oft traurig. Es ist so schön, wenn Menschen noch über sich selbst weinen können.
Falls Sie selbst auch nah am Wasser gebaut sind und weinen, weil Sie Spaß, Sex und Literatur in unserem Kolümnchen vermissen, wollen wir Sie zum Schluß mit einem spaßigen Sex-Gedicht erbauen. Es handelt sich um ein erotisches Fischgedicht:
Im Karpfenteich der flotte Hecht
Bumst alle Karpfen durch – nicht schlecht.
Damit war in dieser Kolumne alles drin. Wenn Sie uns fragen