AKUT

Manfred Rebhandl: SIT-IN AM GÜRTEL

Christian Jandrisits

Nachrichten in unkorrekter Sprache: Manfred Rebhandl und seine Kolumne in jeder WIENER-Ausgabe; … dieses Mal „Rock Rockenschaub und die Klimakleber“ ….

Alle drei Monate packte ich Lemmy in meinen Datsun und fuhr mit ihm Schulden eintreiben. Er hatte einen versauten Zettel voll mit Bierflecken und anderen Flecken, auf den er die Namen derer gekritzelt hatte, die ihm Geld schuldeten. Früher noch waren es gefinkelte Buchstaben- und Ziffernfolgen (Xy1, Xy2 … ), die er seinen Schuldnern zuordnete, aber irgendwann wußte er selbst nicht mehr, wer Xy1 war. Also ging er dazu über, jedem Schuldner einen Namen, eine Eigenschaft, eine Herkunft oder sonst einen Scheiß zuzuordnen, an dem er sich orientieren würde: 

„Der Böhme, 3.400 Euro? Wo wohnt der?“

„Hm. Mal überlegen. Im Zehnten?“

„Bei den Ziegelböhmen? Ja, okay. Aber wo genau?“

„Keine Ahnung.“

Dann also weiter auf der Liste, während ich auf den Gürtel hinausbog und Richtung Lugner hinunter ruckelte. An der ersten Ampel zündete ich mir einen Joint an und deutete auf Nummer 2:

„Arschloch? 25.000 Euro? Oida! Das ist ur viel Geld! Wo soll ich hinfahren?“

„Arschloch? Hm. Mal überlegen …“ 

Unter diesem Pseudonym, stellte sich heraus, hatte er gleich mehrere Schuldner eingetragen, denn jeder war für Lemmy  ein Arschloch, der ihn nicht bezahlte. Also sammelte er die ganzen Schulden der  Einzelnen unter dieser recht allgemein gehaltenen Zuordnung. Wo genau die einzelnen Arschlöcher wohnten, konnte er im Detail nicht sagen. So hatten sich 25 Riesen Außenstände angesammelt, ohne dass er einen Plan gehabt hätte, wo wir uns den Schotter holen könnten.

Also weiter: „Fritz?“

„Ah, den kenn ich! Das ist der Fred von den Wiener Linien, der den früheren J-Wagen lenkt.“

„Fritz ist Fred? Na gut, immerhin! Und wo wohnt er?“

„Im J-Wagen? Ich hab keine Ahnung! Wir müssen an der Haltestelle Haberlgasse auf ihn warten, dort hab ich ihm das Zeug immer hingebracht.“

„Und wenn er heute Nachtschicht fährt?“

„Ja, keine Ahnung!“

Manfred Rebhandl/Foto: Max Lottmann

Manfred Rebhandl

Autor in Wien. Kürzlich erschien von ihm
„Erster Mai: Rockenschaub löst auf alle Fälle alle Fälle“

(Haymon Verlag 2022)

Bei der Luci unten vor der Ampel staute es sich bereits, und weiter vorne hörten wir vereinzelt ungeduldiges Hupen. Als die Ampel auf Grün schaltete, schob sich die Blechkolonne nur zögernd weiter. Bis zum Urban-Loritz-Platz brauchten wir schon zehn Minunten, und danach, auf Höhe des Sexshops, ging überhaupt nichts mehr.

„Edeltraud? Kein Betrag?“

„Ja, Edeltraud halt …“

Edeltraud aus der Roten Beete also, die Vollökobraut mit leichtem Hang zur Sacktitte, die nur unwesentlich hässlicher war als der Krieg in Russland. Trotzdem war Lemmy in sie verliebt gewesen, als er sein Geschäft am Brunnenmarkt etablierte und sie ihren Rote Beete Laden, und er wollte ihr ein Kind anhängen, aber sie wollte nicht, was ihn dazu brachte, sich auch noch
Tabletten einzuwerfen gegen die grauen Vorhänge, die sich als ­Depression vor sein Gesichtsfeld gezogen hatten. 

„Trotzdem hast du sie weiter beliefert?“

„Naja, ich wußte ja nicht, ob sie ihre Meinung nicht doch noch ändert.“

„Sie muss heute 65 sein! Und warum steht hier kein Betrag?“

Er zuckte die Schultern. 

Das Hupen weiter vorne war zu einem ordentlichen Konzert angewachsen, ein Lärm, wie er auf der Westtribüne im Rapid Stadion schon lange nicht mehr zu hören war. Die ersten stiegen aus und gingen nach vorne, und irgendwann stiegen auch wir aus und gingen nach vorne, um zu schauen, was da los war.

Bei der Kreuzung Gürtel/Felber hatten sich ein paar Jungökobräute auf die Straße gesetzt und sich mit Sekundenkleber … naja, angeklebt. Die ersten Bezinbrüder wollten die jungen Girls, die alle viel besser aussahen als Edeltraut, mit Bagger und Walze entfernen. „Gsindel, gschissenes!“, war das häufigste, das wir hörten, die Tiraden wurden immer lauter und immer gehässiger. Als wir „verlaust!“ hörten und „Scheiß Umweltschützer!“, wussten wir, dass wir eingreifen mussten, bevor etwas passierte.

Lemmy holte sein Anfüt­te­rungs­säckchen mit fetten Joints heraus und verteilte sie unter den Benzinbrüdern, ich gab ihnen Feuer. Über der ungarischen Pampa stieg die Sonne immer weiter in den Himmel über Wien, ein Musiklehrer, der seine Gitarre mit hatte, holte sie aus dem Wagen und setzte sich zu den Ökogirls. Er fing an „We are the world“ zu spielen, und bald setzten wir uns alle dazu und sangen mit. Der Zustrom riss gar nicht mehr ab mit Männern im Anzug und Frauen im Kostüm auf dem Weg ins Büro, und sogar Politiker waren darunter, die bei Lemmy Gras kauften und sich entspannten. Er kam gar nicht mehr nach mit dem Gekritzel auf seiner Liste, auf der er jedem, der bei ihm auf Pump kaufte, einen Namen zuordnete: 

„Der Fettärschige“

„Das Schaaasauge.“

„Die Drecksau aus dem Bundeskanzleramt.“

Vor allem letzterer würde schwer zuordnenbar sein, wenn wir ­wieder mal Schulden eintreiben fuhren.

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