AKUT
Ist das wirklich alles Zeitgeist und wenn ja, wieviel? TEIL 1
Drei Menschen, drei Generationen, drei Sichtweisen darauf, was Zeitgeist ist und ausmacht. – TEIL 1 – Ein Beitrag von Chefredakteur Franz J. Sauer.
Nix wie weg! Mit viiieel Schnaps im Gepäck!
Text: Franz J. Sauer
Zeitschrift für Zeitgeist. Als Gert Winkler und seine Mitstreiter diesen Satz quasi als Vorspann über oder unter das Logo ihres größenwahsinnigen, neuen Zeitungsprojektes schrieben, da hatte das etwas Aufregendes, Spannendes, Tolles, Einzigartiges. Zeitgeist, wow, what a word. Und dann noch die Möglichkeit, den Zeitgeist zu definieren, festzuhalten, in Worte und Bilder fassen zu können, nach eigenen, höchstpersönlichen Ansichten, ohne dafür multimedial ans Kreuz genagelt zu werden, wenn das, was man findet, meint, oder spürt, nicht dem Geschmack der „Blase“ entspricht. Eine Abo-Werbung für den WIENER zeigte damals einen jungen Mann, der sich gerade aufgehängt hatte. Darunter platzierte Lo Breier den markigen Spruch: „Don‘t hang around, read WIENER.“ Ha! Mach das mal heute …
Drei Wünsche an die gute Fee?
Franz J. Sauer
Ich hab nur mehr einen: Eine Zeitmaschine.
Mit der ich vergnügt und sorgenlos in
die 1970er Jahre zurückreisen kann.
Vorzugsweise ins Jahr 1979.
Heute könnte sich einer wie Mark Zuckerberg „Medium für Zeitgeist“ unter sein blaues Logo malen. Schließlich liefert er mit Facebook – nebst Twitter, Tiktok, Insta und wie sie alle heißen – die Plattform, auf der Zeitgeist definiert wird. Vom Mob, von der großen, weiten Masse. Die eine Aufmerksamkeitsspanne hat, kürzer als jene eines Goldfisches (die kennen Sie nicht? Ach, gugln Sie sie doch einfach …). Einer Blase, die es Dir unreflektiert glaubt, wenn Du ein Foto von einem Butter-Packerl postest und darunter schreibst, es sei 1978 eingefroren worden. Du wolltest halt einen dieser Facebook-Schmähs reißen – etwas, was man früher niemals getan hätte und womit man heute mehrmals täglich seine Zeit wegprokrastiniert – nur weil sich das Logo seither kaum verändert hat. Output: Ein Missverständnis, 150 likes, still counting und ein paar gute Tipps, was man beim Verzehr beachten sollte.
Aber poste mal etwas, das Dir am Herzen liegt, über die Gesellschaft, die Menschen, das Leben, die Liebe, Deine Nächsten, Deine Sicht der Dinge. Dann ist Schluss mit Spaß und Likes. Dann wirst Du entweder zerlegt oder wegignoriert. Weil es entweder nicht ins Blasenweltbild passt, was Du zu sagen hast, oder weil es den Menschen zu anstrengend ist, verstehen zu wollen, was Du Dir so denkst.
Und wenn Du richtigen Scheiß postest, richtig unwahren Mist, um damit irgendwas oder irgendwen irgendwie zu beeinflussen, auf Linie oder aber dagegen zu bringen, dann hat Mr. Z. schon überhaupt gar nix dagegen. Hauptsache keine Titten. Oder sonst etwas, das dem Algorithmus nicht passt, etwa die einzige Textzeile des Pink Floyd-Songs „One of These Days“, den Du in einen Thread gepostet hast, der nach Deiner Lieblings-Textzeile aller Pink Floyd-Songs gefragt hatte: „One of these Days I‘m going to cut you into little pieces“ heißt es da, gekrächzt von Nick Mason. Na sowas geht natürlich gar nicht! Dann gibt’s Strafe. Und wie sieht die aus? Früher wurdest Du gesperrt. Heute wird Deine Reichweite eingeschränkt, Deine Blase sieht dann nicht mehr ganz so alles, was Du ihr den lieben Tage lang erzählen möchtest. Und das schlimmste daran: Man kann uns gläubige Facebook-Jünger damit tatsächlich ärgern …
Aber gut, schließlich gibt es ja noch die richtigen Medien. Die für die korrekte Interpretation der stündlich auf uns hereinprasselnden Informationsflut sorgen. Welche die Deutungshoheit nicht Susi Sorglos oder Max Mustermann und deren Twitter-Account überlassen, sondern wohlausgebildeten, gut bezahlten Journalisten wollen und sollen. Die dann aber wiederum Susis oder Maxens letzten Tweet, Facebook-Post oder TikTok-Auswurf tatsächlich zur nennenswerten Meldung hochjazzen. Einer der fünf gleichzeitigen Live-Ticker muss schließlich gefüllt werden. Besonders dann, wenn schon ein Konkurrenz-Medium mit der vermeintlichen Meldung draußen ist: Dann muss man bloß noch die Headline in ihrem Vernichtungspotential nachschärfen und schon kommt der Klick geflogen.
ZEITGEIST Teil 1
Gut, Kriege gab es schon immer. Besonders das Jahr 1979 tut sich da ungut hervor: der Iran wird zum Islamischen Staat und die Sowjetunion marschiert in Afghanistan ein. Was letztlich zu einem zähen, sieglosen Abnützungskrieg wird, weil die Gegner der Russen von den USA fleißig mit Waffen beliefert werden, deren Restbestände sie dann ein paar Jahrzehnte später gegen die ebendort ebenso sieglosen Amerikaner einsetzen werden. Der Unterschied zu heute: Weder wusste man, was ein Abnützungskrieg ist, noch wurde man über jede einzelne Panzergranate, die an den Hindukusch geliefert wurde, derart penetrant, detailiert und sogar ein bisserl verliebt informiert, wie heute bei der Ukraine. Begrüßen Sie live in Kiew: Premier Sowieso aus Dortunddort mit 14 Panzern im Gepäck, Außenminister Niemalsnicht aus Hierundjetzt mit 14 Düsenjägern hintendran. Wenn sich Genosse Wladimir, das Monster mit den 12 Eiern, überhaupt noch einen Geheimdienst hält, dann nur noch aus reiner Nostalgie. Weil woher und wann die Waffen kommen, erfährt er aus der ZiB.
Als Strafe wird Deine FB-Reichweite eingeschränkt, Deine Blase sieht dann nicht mehr alles, was Du ihr zeigen magst. Und das schlimmste daran: Man kann Dich wirklich damit ärgern.
Franz J. Sauer
Aber klar: Wenn Putin Propaganda macht, talentiert wie einst Joseph G. persönlich, dann darf der Westen da nicht hintanstehen. Merke, Nachrichtenhörer: Von den Russen kommt nie was Gutes, von Herrn Selensky nie was Schlechtes. „Feindsender“ RT wird zur Sicherheit auch gleich verboten, allerdings nicht wie weiland, weil man sich davor fürchtete, dass sich die Bürger überhaupt irgendwie informieren können, sondern weil man ihnen schlichtweg nicht mehr zutraut, das Richtige vom Falschen zu unterscheiden. Dieses völlig zurecht, übrigens.
Diskutiert wurden Pro und Contras (hach, welch Wortspiel!) vor 44 Jahren noch im Club 2 oder im Cafe Central. Wo dann gelegentlich auch die Fetzen flogen, manchmal laut (Skinheads), manchmal leise (Edward Teller und seine Begeisterung für die Neutronenbombe, die eine Schweizer Friedensforscherin zum Weinen brachte). Heute finden Debatten nur mehr auf Social Media statt. Das Wissen liefert statt der Experten im Fernsehen Wikipedia. Und das Schlusswort kommt nicht so versöhnlich wie möglich von Adolf Holl oder Rudolf Nagiller, während die Diskutanten nachher in der ORF-Kantine auf einen Drink oder drei gehen. Versöhnt wird heute schlichtweg gar nicht mehr. Irgendwer wird geblockt oder zum Nazi ernannt, und wenn nicht ganz so schlimm, dann wenigstens zum OWM (Sie wissen nicht? Gugln …). Let‘s agree to disagree? Ist leider aus. Lieferdatum unbekannt.
Tageszeitungen waren angesehen, respektiert, mit Glaubwürdigkeit und geschätztem Personal ausgestattet, dem man vertraute, dass es seinen Job ordentlich macht. Magazine gab es dagegen wenige, fast so wenige wie heute. Der Unterschied: Damals waren sie noch nicht mal gegründet, heute wurden sie schon wieder längst eingestellt. Wozu auch? Informiert wird sich am Handy, was heute in der Zeitung steht, stand gestern schon am hauseigenen Online-Portal, hinter, vor oder neben der Paywall. Galt früher der Stehsatz, es gibt nichts Älteres als die Zeitung von gestern, so gilt dieser heute schon für die heutige. Und wer wissen will, welche Menschen dieser Tage noch Fernsehen schauen, muss sich einfach nur zusammennehmen (ich weiß, es ist eine Herausforderung!) und den Werbeblock aufmerksam inhalieren: Neben dem nervenden Lutz gibt es da nur noch Medikamenten-Empfehlungen für trockene oder auslaufende Mumus, fehlende oder, wenn doch noch da, dann eben tropfende Ständer, kaputte Knie und Schlafstörungen, sprich, körperliche Einschränkungen, die üblicherweise bei Menschen ab 50 auftreten. Die Jugend-Quote erfüllen da bloß noch der fürs Nervensystem tödliche Richter Nase oder die schrille Kleine von Bronchostop, verkühlen tun sich schließlich alle. „Geiz ist geil“ und all der trottolöse Rest haben sich längst ins Internet vertschüsst. Auf Youtube, da wo heutzutage halt die Jungen zu finden sind.
Vielleicht ist das ja auch der Grund dafür, dass sich die Werbebranche generell und insgesamt von der einstmals als eigene Kunstrichtung verstandenen Kreativitäten-Gebärmutter zu einer lächerlichen Gulaschkanone für Infantilitäten gewandelt hat. Liest man etwa in den Nachschlagewerken von CCA und Konsorten nach, was sich da früher getraut wurde und wieviel Hirnschmalz in Slogans, Plakate und Kampagnen floss, kommen einem heute nurmehr die Tränen. Wenn es überhaupt noch eine Werbemessage gibt, dann lautet diese: „Komm, Trottelkonsument, kauf gefälligst und verrecke hernach“, mundgerecht verpackt in die bereits oben erguglte Aufmerksamkeitsspanne des Goldfisches, weil nach fünf Sekunden klickt der Youtube-Konsument eh schon weg, wenn man ihn lässt.
Jetzt darf mal sie was sie will und es was es will und she/her wie we/them wollen. Und was
Franz J. Sauer
wollen die alle?
Nix als sich genauso gschissen aufführen wie die bösen
Männer dereinst.
Da sind wir Magazine mit den schönen Hochglanz-Werbungen, bei deren Kreation die Zeit wohltuend stehengeblieben zu sein scheint, eh noch glücklich dran. Was man vor allem daran merkt, dass die hochgeschätzten Jungspund-Markerter, die für die Vergabe von Werbegeldern zumeist zuständig sind, nurmehr „Internet“ buchen wollen (weil das schön messbar und dementsprechend billig ist, weil sie ausserdem nix anderes kennen), für ihre PR-Euros dann aber schon gefälligst im hochwertig gedruckten Magazin erscheinen wollen, weil der Geschäftsführer beim Golfen was zum herzeigen braucht. Wer das alles bezahlen soll? Nicht ihr Problem. Und leider, das Budget ist heuer so klein wie noch nie – eh klar. Fein! Irgendwann werde Ihr Euch auf diese Weise selbst wegrationalisieren, weil „Programmatic“ kann ein Computer viel, viel besser als Ihr mit Eurer verdammten „Work-Life-Balance“. Ihr habt es nur noch nicht bemerkt.
ZEITGEIST Teil 1
Weniger Kriege, mehr Wohlstand und überhaupt ein besseres Leben als je zuvor gäbe es heute auf der Welt, sagt uns die Statistik. Möglicherweise Fakten, die uns das omnipräsente mediale Getöse gekonnt vernebelt. Und vermeintliche Gerechtigkeit gibt es auch endlich, endlich, endlich für die bislang unterdrückten Geschlechtsgenossinnen mit Doppel-Y-Chromosom. Jeder zweite Tatort handelt heute schließlich davon, dass irgendein Super-Girl a la „Kleo“ (gugln …) höchst grausig in der Gegend herummordet, trotzdem alle Sympathien hat, weil sie wurde schließlich in ihrer Jugend von toxischen Männern bedrängt, unterdrückt, belästigt oder einfach nicht nett behandelt und darf sich daher jetzt auch mal ordentlich was herausnehmen – weshalb sie dann am Ende des Krimis vielleicht sogar ungeschoren davonkommt, Applaus Applaus. Überhaupt ist jetzt mal Schluß mit Mann: Lange genug hat er dürfen wie er wollte. Jetzt darf einmal sie wie sie will und es wie es will und she/her wie we/them wollen. Und was wollen die alle? Letztlich nix anderes als sich genauso gschissen aufführen wie die bösen Männer dereinst.
Haben Sie meinen Rant bis hierher verfolgt? Kompliment. Und jetzt halten Sie mich wahrscheinlich für einen OWM, im besten Falle. Sehen Sie, das nehme ich dem Zeitgeist am meisten übel. Dass man sich immer öfter dabei ertappt, Standpunkte von Politikern oder anderen sinistren Gestalten gar nicht mal so falsch zu finden, für die man früher nichts als gepflegte Verachtung übriggehabt hätte.
Zeitgeist 2023 – Schwarz-Weiß-Denken vom feinsten als oberstes Gebot der Stunde. Da kann ich eigentlich gleich in die 1960er-Jahre zurückreisen, wenn die Zeitmaschine schon da ist.
LAUT MUSS ES SEIN.
Zeitgeist? Ganz einfach: Jetzt, wo es jeder, wirklich jederjederjeder schaffen kann, sich ganz von allein und herrlich selbsttätig zu einer Berühmtheit oder sowas ähnlichem hochzujazzen, sind die Dämme der Sinnhaftigkeit in Wortmeldungen oder sonstigen Statements endgültig gebrochen. Ach was heißt: Weggemacht, als wären sie nie da gewesen. Hat früher ein schlaues Ventil namens Medien (gut, da waren auch nicht immer alle schlau, aber doch die meisten) dafür gesorgt, dass die großen Wassermassen der allgemeinen Dummheit Meinung halbwegs kanalisiert zu echter Öffentlichkeit kommen. Dann wurde diskutiert, analysiert und irgendwann kam vielleicht sogar was Schlaues dabei heraus, das die Menschheit wirklich weiterbrachte.
Den einen Volltrottel, der immer lauter sein wollte als alle anderen, gab es immer schon. Das Problem: Social Media und Co haben ihm neuerdings ein Megaphon überreicht. Und nun zählt nicht mehr, wer das schlauste sagt, sondern wer es am lautesten schreit, Inhalt zweitrangig. Diskutieren? Gibts nicht mehr. Der Leisere wird vom Lauteren gecancelt. Ob das unlauter ist? Sagen Sie es mir. Ich mag es jedenfalls nicht.
ZEITGEIST TEIL 1 – ZEITGEIST TEIL 1 – ZEITGEIST TEIL 1 – ZEITGEIST TEIL 1 – ENDE