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PUNK-ROCK-BOOM
(Aus dem WIENER Archiv/Nummer 10/Oktober 1980 – PUNK-ROCK-BOOM) DIE UPPER-CLASS-POPPERS POLIEREN IHRE ROLEX, DIE MIDDLE-CLASS-MODS VERSAMMELN IHRE VESPAS AM DONNERBRUNNEN UND DIE PROLO-CLASS-PUNKS HÄMMERN FRISCHEN DAMPF IN DIE ALTEN KELLER. WÄHREND DIE MUSIKKONZERNE LANGWIERIGE RÜCKZUGSGEFECHTE FÜHREN UND ÜBER EINE WELTWEITE REZESSION KLAGEN, WUCHERN IN WIEN DIE JUNGEN LIVE-BANDS, DIE FÜR EIN JUNGES PUBLIKUM SPIELEN. WO IMMER SIE KÖNNEN UND DÜRFEN.
von SIGGI SOUND
In London feiert der alte Heavy Metal, der laute aggressive Rock der späten sechziger und frühen siebziger Jahre ein ohrenbetäubendes Comeback. Die alten Guitar-Heroes eines Ted Nugent oder eines lan Gillian stehen wieder auf. Der musikalische Protest der frühen Sex Pistols, der frühen Clash gegen die ausgelaugten Techniker, die fett gewordenen Superstars der sechziger Jahre ist vorüber. Man spielt wieder gut Gitarre und man spielt sie knochenzerbrechend laut für die tausend Headbangers, die allabendlich die Heavy Metal Discos von Camden oder Kingsbury füllen. Die Fans imitieren headbangend die unerreichbaren Götter auf Kartongitarren und lassen sich willenlos von übermenschlichen 40.000 Watt im Sound von Black Sabbath, Deep Purple und AC/DC schütteln.
Daneben klingt New Wave wie Rock’N’Roll über Polizeifunk. Vorbei ist die Zeit der Energetiker, die nach dem Erlernen von drei Akkorden bereits auf der Bühne stehen und mit Kraft wettmachen, was ihnen an Technik fehlt. Vorbei in London. Nicht so in Wien.
Mit dem üblichen Verzögerungsfaktor erreicht uns 1980, was 1977 in London war und das Jahr darauf in Berlin und Hamburg. Punk is OK-Bands nennen sich Nudlaug oder Chuzpe, Suicide verwandeln sich in Cups, treten auf als die Kranken Mönche, Mordbuben AG, Notruf 133, Böslinge, Pöbel. Sie spielen schnelle aggressive Musik und überzeugen durch restlosen Einsatz ein Publikum, das sich mit den Musikern voll identifiziert, den energetischen Tanz der Punks, den Pogo tanzt und eine gute Zeit erlebt, solange das Konzert dauert. Good times. Der Aggressionsstau des täglichen Frustes wird abgebaut in den nachlässig eingerichteten Discos, in den Kulturtreffs und Zentren der Subkultur. Nur wenige der Bands streben zielbewußt in Richtung Plattenvertrag, großes Geld. Die meisten existieren in ständiger Auflösung. Manche überraschen ihr Publikum immer wieder mit letzten Auftritten. Ausrüstung und Technik sind mangelhaft – aber das alles macht nichts. Denn das aktive Publikum liebt seine Bands und akklamiert deren körperlichen und stimmlichen Einsatz durch körperlichen und stimmlichen Einsatz.
Wer je bei einem der Konzerte war, der hat entweder seine Freude daran gehabt. Oder er ist einfach schon zu alt, um nach der ZIB 1 noch Ausgang zu bekommen.
Damit ist ein neues Kapitel in der lokalen Musikgeschichte angebrochen, das sicher fröhlicher und spontaner anfängt als die orientierungslosen Jahre der Jazzrocker, der Pseudo-Jaggers und nebenberuflichen Hardrocker, die ihre Jahre in Probekellern trainierend verbrachten, an Verstärkern bastelnd, auf Supergitarren sparend. Nur wenige schafften seltene Auftritte, einige der besseren gingen ab nach Atlanta, New York City oder Frankfurt. Inzwischen gewann wieder das gute neue Chanson an Boden und überdeckte die Phase der Rock-Kabarettisten und Rock-Theater-Gruppen namens Drahdiwaberl, Erste Allgemeine Verunsicherung und Hallucination Company.
Als Watt-Giganten wie Genesis und Yes den Maßstab setzten, konnte ein junger Wiener auf seinem Klapp-Sitz in der Stadthalle nur in Ehrfurcht versinken. So würde er nie klingen.
Als aber die kleinen schmutzigen Bands gegen den Willen der Musikgewaltigen in die Charts kletterten, da war es schon leichter, Mut zu fassen und eine Gitarre. Das Ergebnis ist der Boom des Jahres 1980, bei dem erstmals auch Frauen Schulter an Schulter mit den Männern der Szene, integriert in die Band, mitspielen.
Nicht als sexistisches Schauobjekt eines Rock-Kabaretts („und mach das auf geil!“), sondern als schlichter Drummer wie Ulli Krawulli oder als Energiekern wie Uschi Paranoia in ihren unvergeßlichen Auftritten mit den Kranken Mönchen.
Alle Bands kämpfen mit ähnlichen Schwierigkeiten, so da sind: Wo ist ein günstiges, lärmdichtes Probelokal? Wo ist ein ehrlicher und fähiger Veranstalter? Wo sind die Clubs, in denen sich die musikalische Szene formen kann? Fand die vorige Musiker-Generation der siebziger Jahre im Hernalser Tanzlokal Metropol einen Kristallisationskern, so behilft man sich heute mit der Restarena im Inlands-Schlachthof. Hofft auf den Ausbau des Atrium-Dancings beim Schwarzenbergplatz zum Rock-Club und liefert im randvollen Amerlinghaus Auftritte für achtzig Fans.
Noch ehe der Verein Wiener Szene, in dem sich ein unterschiedliches Konglomerat verschiedenster Gruppen und Gruppierungen gefunden hat, das Rockhaus im alten Fabriksgebäude der Austria Email im 16. Bezirk bekommt, haben der Zufall und die Polizeistunde eingegriffen.
Die In-Disco dieses Sommers, das U4 im Parkshop Meidling, war gezwungen, lebende Musik zu kaufen, weil das Amtskappel sonst Sperrstunde gemacht hätte. Also gibt es dort ab sofort nahezu täglich alles zu hören, was in Wien eine Gitarre und ein Mikro halten kann.
Also fetzen Tom Petting’s Herzattacken, die Sprays und Standard Oil im Keller, während oben die Bullen falsch geparkte Autos notieren und auch sonst ein wachsames Auge auf den Fremdkörper im stillen Meidling haben. Sollte dort dicht gemacht werden, bietet nur noch das Schutzhaus zur Zukunft auf der Schmelz Hoffnung und eventuell der neue Club Commune in der Schönlaterngasse.
Auch die beiden Wiener Banken buhlen auf der Punk- und New Wave-Welle um die Gunst der jungen Geschäftsfreunde. Z-Club und Club Eins werden sicher den Herbst mit lustigen Veranstaltungen aufzuckern und dann kommt ja auch noch das von Stadtrat Zilk versprochene Überbrückungsfestival, das die Zeit bis zur Eröffnung des Rockhauses verkürzen soll. Zwei Tage lang hiesige Bands, aufgefettet durch internationale Zugpferde wie die Fabulous Poodles, auf der Neuen Welle geigen.
Während die jungen Bands noch für Gagen zwischen 500 und 1.500 Schilling oder gratis spielen, produziert die Wiener Polygram bereits die Sahne auf dem Kuchen der New Wave. Sie fliegt den Zappa-Schützling Peter Wolf ein, engagiert Studiomusiker und kauft Noten von Pauli Fickel zu den Texten des Burgtheater-Mimen Franz Morak, der Mitte der Dreißig seine Liebe zum Rock’n’Roll neu entdeckt und gleich auch selber den Sänger mimt. Die Platte „Morak“ ist mit ungewöhnlichem finanziellen Aufwand dieser Tage gestartet worden und katapultiert das Produkt Morak sicher in die Verkaufszahlen.