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Archiv 2000 – Liebes Luder

Christian Jandrisits

SIE TRÄGT EINEN GROSSEN NAMEN UND GILT TROTZEM ALS GRÖSSTES TALENT DES NEUEN DEUTSCHEN FILMS. MAVIE HEISST DAS MÄDEL. MAVIE HÖRBIGER.

Text: Eberhard Lauth Fotos: Sepp Gallauer

Es ist trüb und eiskalt draußen, Wien um halb neun morgens halt, in einer Stimmung, die derzeit jeder hier kennt und die jedem aufs Gemüt drückt. Jedem? Ein kleiner Blondschopf leistet unerbittlich Widerstand. In Jeans und schwarzem Rolli stürmt sie die Treppen hinunter. „Hallo, Mavie Hörbiger“, sprudelt es aus den großen Augen, die graugrün leuchten.

20 Jahre ist das Energiebündel, ihre Hauptbeschäftigung ist Antworten, auch wenn es gar keine Frage gibt. Erfrischend. Nur der Taxler ist ein harter Brocken. „Tschiii…“, lächelt sie ihm zu. Keine Reaktion. Mavie ist nicht irgendeine Schauspielerin. Sie ist Skorpion, wie betont, und eine der wenigen ihrer Gilde, die derzeit vermutlich schnell berühmt werden. Und, ja, verwandt. Mit Großvater Paul, Vater Thomas, Tante Christiane und Österreichs Schauspiel-Übereltern Attila Hörbiger und Paula Wessely. Was diese klingenden Namen nicht nur rund um die Burg bedeuten, zeigt etwa „All About Eve“, ein Hollywood-Klassiker mit der Diva der Divas, Bette Davis, in der Hauptrolle: Darin referiert ein Theaterkritiker als Erzähler im Off über die drei Sternstunden, die er im Theater schon erlebt hat. Die dritte ist die Wessely.

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Mavies Stammbaum zwingt einen förmlich vor die Filmkamera. „Für mich war das immer klar. Natürlich haben alle gemeint, ich soll’s mir gut überlegen. Aber dabei kam auch nichts anderes raus.“ Geboren in Wien, pendelt sie nun zwischen München und Berlin, um beachtlich viele Drehtermine halbwegs unter einen Hut zu kriegen.

Zu sehen war sie schon ziemlich oft: in einer „kleinen aber wichtigen“ Rolle neben Götz George in „Solo für Klarinette“, in der Komödie „Das merkwürdige Verhalten geschlechtsreifer Großstädter zur Paarungszeit“ und im TV. Die richtigen Mavie-Festspiele bringt der Februar (siehe Kasten Seite 72). Wirklich am Herzen aber liegt ihr „Liebesluder“, ihre erste Hauptrolle in einem Kinofilm, Start im Frühsommer.

„Ahh, Jamiroquai“, kräht sie und dreht im Studio den Fernseher lauter, wo dieser gerade im Renaissance-Gewand durch „King Of A Day“ schlendert. „Den würd’ ich blind heiraten.“

„Wo waren wir? Ach ja, ‘Liebesluder‘. Endlich eine trashige Rolle“, sagt sie. Mavie spielt das Liebesluder, das die Männerwelt einer deutschen Kleinstadt aufmischt, erzählt sie. Es passiert ein Mord und auch sonst noch einiges. Was Mavie fasziniert, sind „diese heilen Dorfgemeinschaften, in denen sich die Dinge abspielen“. Im Film werden die nicht zuletzt durch ihre Anwesenheit ausgelöst.

„Ich habe keinen Lieblings-Onkel und keine Lieblings-Tante. Also habe ich auch keinen Lieblings-Hörbiger-Schauspieler. Für mich ist sie die Audrey Hepburn mit blonden Haaren“, erklärt Regisseur Detlef Buck seine Wahl. „Frühstück bei Tiffany’s“ war sein Vorbild, und wie Audrey Hepburn als Holly Golightly schläft das Liebesluder in Männerhemden und schaut trotz aller Verruchtheit drein, als könnte sie keine Fliege erschlagen. „Irrsinnig lang“ habe Buck für die Rolle gecastet, sagt Mavie. Dann traf er sie, fragte: „Bist du schon geschlechtsreif?“, sie sagte ja, und er schrieb das Drehbuch um. Ursprünglich war der Part für eine großbusige Blondine angelegt. Aber damit kann Mavie beim besten Willen nicht dienen.

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„Früher war ich nur das liebe Mädel“, klagt sie.

Früher, das ist von ’95 bis heute. Solange spielt sie schon. Ein Jahr Schauspielschule, der Rest kam mit der Erfahrung und autodidaktisch.

„Auch meine Lehrer haben mir nie böse Rollen zugetraut“, sagt sie. Ebensowenig Franz Antel, der sie verzweifelt „verschneit“ haben wollte. Deshalb ist sie auch für „Almrausch und Pul-Detlef so dankbar: „Der war der erste, der sagte: Schaut hin, das ist doch eine richtige Frau.“

„Sting! Oh Gott!“, Mavie kreischt, als sein Video auf MTV läuft. „Der war mal sooo sexy. Das kommt davon, wenn man zu viel meditiert.“ Aber es gibt auch Leute, die sie für Vorbilder hält. Und zwar „viele: Corinna Harfouch, Meret Becker“. Und Christiane. „Wir haben uns nur vor zehn Jahren mal flüchtig getroffen, da sollte ich bald ein Treffen in Angriff nehmen.“ Es sei halt nicht so, dass sich alle Hörbigers jedes Jahr zu Weihnachten treffen. Und überhaupt sei der Name nicht nur ein Segen: „Er öffnet dir alle Türen, aber dann zählt nur noch deine Arbeit. Motto: Darf die Schauspielerin stolz auf ihre Arbeit sein?“

Aber das robuste Sonnenscheinchen lässt sich von so was nicht aufhalten. Es läuft gut mit der Karriere, auf der TV-/Spielfilm-Website ist sie zum „Star 2000“ nominiert, und auch der deutsche Boulevard hat sie entdeckt. Vor allem seit sie mit dem Pop-Literaten Benjamin von Stuckrad-Barre beobachtet wurde, als sie am Berliner Gendarmenmarkt öffentliches Eigentum in Form von Christbaumkugeln abmontierte, gibt die „Bild“ nicht auf, ihnen ein Verhältnis anzuhängen. „Deutschland ist ein komisches Land. Statt uns festzunehmen, steht’s in der ‚Bild‘.“ Natürlich hat sie einen Freund, einen „ganz tollen“ deutschen Freund, dessen Namen sie — „Nein!“ – nicht verrät. „Schreib lieber über meinen Flipper-Automaten. Dann hab ich Ruhe.“

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Dabei huscht Nachdenklichkeit über ihr Gesicht. „Ich weiß, ich bin ein wunderbarer Mensch, aber ich weiß nicht, was es ist, die sie da quält. „Ich frage mich, ob ich glücklich bin oder ob ich eigentlich traurig bin.“ Ihre Augen verdüstern sich kurz. „Alle sind so normal, jeder hat Kinder. Da kriege ich Angst, die Einzige zu sein.“

„Ich wälze mich schon gelegentlich in Selbstmitleid. Da kommt dann so eine Überzeugungskraft in mir hoch. Ich denke, ich kann alles erreichen.“ Ihre Augen leuchten wieder. „Ich kann doch mit 50 noch spielen werden. Vielleicht werde ich auch mit 50 noch so neugierig auf mich.“

„Das Schlimmste, was passieren kann, ist, seine Erwartung nicht zu erfüllen.“

Beim Fotoshooting ist von Ängsten nichts zu merken: Sie versprüht den Charme horizontal, saugt lasziv an ihrer Zigarette, tanzt zu Garbage’s „I Think I’m Paranoid“, dass Shirley Manson vor Neid gelb werden würde. Dann spielt Mavie die Mavie, die sie immer gern sein wollte. Mavie Filmstar. Nach der sich die Leute umdrehen, wenn sie ihre langen Arme aufgeregt durch die Gegend wirbelt, auf der Suche nach einer Pose, die dann doch wieder nicht die richtige ist. Die, die kühl wirkt, weil sie bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises auf dem glatten Boden ausgerutscht und Mario Adorf vor die Füße geknallt ist.

In solchen Augenblicken wird alles gut, was sie anfasst. Im Moment leider nur der Flipperautomat im Studio, dem sie nach drei, vier Tapsen auf die roten Knöpfe eine Bonusrunde abknöpft. Dann haucht sie ihr „tschüü“. Und diesmal hätte sogar der Taxler reagiert.