AKUT

Archiv 2001 – Hallo Süsse!

Christian Jandrisits

DER URLAUB IST EINE SELTSAME SACHE. VON FLUG BIS HOTEL WIRD ALLES GEPLANT. NUR DER FLIRT WIRD DEM ZUFALL ÜBERLASSEN. EIN MANKO, DAS DER WIENER MIT FOLGENDEM KNIGGE SOFORT BEHEBT.

Text: Manfred Sax

Es passiert nicht oft, aber es kommt vor: Du lauschst unter der Urlaubssonne unweit der dritten Palme links den Meereswellen. Du gibst dir das Panorama der Insel mit den weißen Häusern, den Eseln und den kleinen Teerpatzen im Sand. Plötzlich steht da diese nette Brünette, mit Augen so blank wie die Donauinsel im Februar, Titten fester als der Händedruck des Wiener Bürgermeisters und einem Mini, zu dem man bei etwas mehr Stoff schon Rock sagen könnte. „Hallo“, sagt sie, „bist du nicht der Bruder von Leo DiCaprio?“ Einen Gag nennt man so was. GAG wie: Größter Anzunehmender Glücksfall – und, klar, in der Folge kommt, was kommen muss, nämlich Leos neuer Bruder. Der Rest steht ein paar Tage später auf einer Ansichtskarte mit Nivea-Smiley auf nacktem Weichteil: „Hallo, Jungs! Blauer Himmel, weißer Strand, heiße Miezen, coole Drinks. Herzlichst, DiC…“

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Wie gesagt, es soll vorkommen. Das Problem ist leider, dass es immer nur den anderen passiert. Die anderen spulen links und rechts ihre One-Night-Stands ab, du selbst bleibst am Sand und stehst im Abseits, trotz sommerlicher Fußballpause, trotz Gucci-Brille, Prada-Hose und Jeep for rent. Natürlich, ab und zu kommt eine verlockende Miss Holiday in Reichweite und du hast sogar den richtigen Sager auf Lager. Nur fällt er dir erst ein, wenn die Chance vorbei ist. Yes Mister, selbst ein Urlaub hat seine stressigen Seiten.

Schräge Sache, so ein Urlaub. Zuerst kommt das Aufatmen: endlich Pause vom Alltag, endlich relaxen und in einem anderen Land mit anderen Leuten auf andere Gedanken kommen. Aber dann stellst du im Hotel die Koffer ab, dein Blick huscht unabsichtlich über den Arsch der Rezeptionistin und schon sind deine Gedanken wieder überhaupt nicht anders. Sie kommen immer noch ziemlich eindimensional daher. Ohne Bandbreite, vom Arsch abgesehen.

Mit Plan hat das nichts zu tun. Eigentlich paradox, denn an sich ist im Urlaub sonst alles Monate im Voraus gebongt, vom Reiseland über den Flug bis zum Bett für den Body. Sogar die Telefonnummer vom Restaurant Durchfall mit Aussicht steht im Personal Organizer. Aber beim Thema Urlaubsflirt muss das Prinzip Hoffnung erhalten bleiben. Schräg. Aber bitte, es soll Fischer geben, die ohne Netz und Köder angeln. Dumm nur, dass die paar Wochen im Süden immer schneller vergehen, als dir lieb ist. Dass sie Geschichte sein könnten, noch ehe was war. Dass unter jungen Singles jene zeitlose Bubenwahrheit für Druck sorgt: Wenn es im Urlaub nicht passiert, dann wird es nie passieren. Was ein älterer Genusstramper ist, der reserviert sich dann auch lieber in Hotels wie dem „Malaysia“ in Bangkok die Suite, wo der Hotelpage bereits mit seinen zwei berühmten Hedonisten-Menüs wartet, das eine für die verbotenen Genüsse, das andere für die nicht erlaubten. Der Rest ist eine Frage des Preises. Von Flirten keine Spur.

Aber zurück zum Lifestyle Europas, wo das französische Wort „fleurette“ (= nicht notwendigerweise peinliche Anmache) einen Weg ins Ausland fand und dort seither als „Flirt“ im amourösen Annäherungsverkehr aktiv ist. Leider kann man einen guten Flirt noch immer nicht kaufen. Aber routinierte WIENER-Leser wissen, dass guter Rat lächerlich wenig kostet. Ein paar Minuten Zeit für den Walk zum Kiosk, ein paar Zerquetschte, und aus. Soll heißen: Nach ausführlicher Recherche bei Psychologen, Reisebüros und anderen Besserwissern ist Ihr Männermagazin an folgenden Knigge für die spontane zwischenmenschliche Annäherung geraten. Mit erstaunlichem Fazit: Der gute Flirt ist wenig mehr als ein Kinderspiel. Planet Flirt. Der Flirt, so sah es in amerikanischer Denkweise, ist ein „ein Job-Interview, das eine ganze Nacht dauert.“

Man ahnt, was er meinte. Er hat entfernt mit Sex zu tun, und da sind die Geschlechter anfangs doch recht unterschiedlich drauf, vor allem die Frauen. Frauen denken ja beim Sex immer gleich ans Küssen, und ehe es zum Schmusen kommt, muss noch eine ganze Menge Süßholz den Redefluss hinunter. Jedenfalls glaubst du das. Allerdings glaubst du da falsch.

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Tatsache ist: Ein gut geplanter Flirt erspart dir mehr als tausend Worte. Eine halbwegs sensible Antenne für das humane Umfeld, ein Auge für besondere Umstände, der bewusste Verzicht auf das Befahren von Sackgassen und ein Minimum an täglicher Routine können so manchen Redeschwall ersetzen. Mit etwas Glück ist nicht einmal auszuschließen, dass sich deine Wortspenden auf Namensnennung und die Gewissensfrage („your place or mine?“) beschränken. Aber betrachten wir zunächst mal die Wettersituation. Die Klimazone. Indizien legen nahe, dass Mann und Frau füreinander gemacht wurden. So wie auch Muhammad Ali und Joe Frazier. Sie hätten jederzeit ohneeinander gekonnt, aber es wäre weniger spektakulär gewesen. Als Sündenbock für die geschlechtlichen Differenzen hält das Y-Chromosom her. Das Y ist schuld, dass Mann ständig in Testosteron badet, jenem Hormon, ohne das beim Sex nichts läuft. Das fehlende Y ist schuld, dass Frau so oft so vergleichsweise langsam auf Touren kommt.

Allerdings gibt es Ausnahmen. Die Sommersonne etwa, zumal im Süden, kreiert so einen Ausnahmezustand. Unter der Sommersonne denkt auch das abgebrühteste Weib öfter an Sex als sonst. Psychologen behaupten sogar, dass starkes Sonnenlicht sie weniger misstrauisch macht. Auch kein Fehler.

Flirtnotiz: Witterungsmäßig gesehen ist der Sommerurlaub die ideale Flirtzeit. Für einschlägige männliche Unsicherheit gibt es eigentlich keinen vernünftigen Grund. Das Nord-Süd-Gefälle: Der Süden gilt als guter Nährboden für überschäumendes Temperament. Die kühle, lichtarme Wetterlage im Norden hingegen begünstigt einen Menschenschlag mit Hang zur Untertriebung. Das verliebte „eigentlich finde ich dich nicht abstoßend“ der Schottin und das karge „du bist ein Geschenk des Himmels“ der Italienerin signalisieren ein und dasselbe. Für Grimassen wie derum gilt das Gegenteil. Während das typische Ich-war-Vierte-bei-der-Misswahl-Lächeln des deutschen Girls eine grundsätzliche Bereitschaft zum Pferdestehlen andeutet, will dir die Spanierin damit flüstern, dass sie deine Spanierwitze (z.B.: Warum tragen spanische Männer einen Schnurrbart? – Damit sie so aussehen wie ihre Mutter!) erstens schon kennt und zweitens satt hat. Flirtnotiz: Vernünftige Männer klären als erstes die Herkunft des Gegenübers. Das hilft bei der Interpretation der Signale.

Die schlechte Idee: Im Prinzip ist ein Flirt der zivilisierte Weg des Single-Mannes, im Bett hin und wieder auf seine Kosten zu kommen. Allerdings ist nicht jeder Mann ein Single. Und weil die wenigsten gebundenen Männer ohne Partnerin in den Urlaub fahren, wird nicht selten in einer Sangria-schwangeren Nacht folgende Idee geboren: Machen wir Urlaub von der Monogamie. Let’s swing. Und keine zwei Tage später bumsen deine Holde irgendwelche Playboy die Dollarnoten aus den Augen, du sitzt mit schweren Depressionen in einer Taverne, und der blaue Himmel ist plötzlich wolken schwer und überhaupt. Andererseits ist nicht voll und ganz auszuschließen, dass dich in einer müßigen Stunde, nach einem Blick auf deine Gattin, eine unvermutete Erkenntnis übermannt: Moment mal, denkt es in dir, es gibt heute mindestens zwanzig Kilo, die ich nie geheiratet habe. In so einem Fall kann Swingen gelingen. Flirtnotiz: Das Urlaubs-Swingen ist ein Gesellschaftsspiel, bei dem die Lebenspartnerin alle Trümpfe in der Hand hat. Nur abgebrühte Masochisten werden dabei glücklich.

Die ganz schlechte Idee: Selbst in den modernsten Reiseländern des Südens existieren noch immer so veraltete Konzepte wie die Blutrache. Flirtriotiz: Einheimische Girls sind Frauen, von denen man im Urlaub besser die Finger lässt.

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Die hormonelle Frau: Die prominente Rolle des Alkohols beim Brechen des Eises ist wohldokumentiert. Bereits nach zwei Achteln Wein sind bei der Frau die Sexhormone gewaltig locker. 0,4 bis 1,0 Promille Alkohol im Blut bewirken bei Frauen eine imposante Zufuhr von Testosteron. In Verbindung mit der o.a. Wirkung der Sommersonne ist es da ganz gut möglich, dass das Objekt der Begierde auf dein harmloses „Hallo, wie geht’s“ unerwartet explosiv („Fuck me, big boy“) reagiert. Der Haken: Vor allem an ihren fruchtbaren Tagen ist die Hormonzufuhr enorm. Am liebsten will sie daher dann ins Bett, wenn sie was davon hat, nämlich eine gute Chance auf Schwangerschaft. Was nicht heißt, dass sie sich dessen bewusst ist. Flirtriotiz: Der strategische Einsatz von Alkohol beim Flirt ist ebenso wirksam wie moralisch verwerflich.

Das persönliche Vorspiel: Ob du nun ein junger, blitzblanker Dude oder der notorische Dirty Old Man bist – wie die meisten Wesentlichkeiten des Lebens ist auch der gute Flirt von einer soliden Vorbereitung abhängig. Mit körperlicher Fitness hat das wenig zu tun. Eher mit einer ständigen, dennoch erwartungslosen Bereitschaft, auf Chancen zu reagieren. Allerdings müssen zuvor noch ein paar Unvermeidlichkeiten endgelagert werden.

Der unvermeidliche Schnellschuss: Mit dem ersten Schnuppern von Meeresluft weicht dein Wissen der Unrast des frischen Ankömmlings. Du magst noch kein Girl gesehen haben, aber du kannst sie schon riechen. Und du ergreifst den Unsinn zur Methode, stürzt dich ins Nachtleben, als gäbe es kein Morgen. Natürlich sind die Girls verdammt rüde. Dein Minnesang („Lass mich Rachmaninow auf deinem Kitzler spielen“) stößt auf satte Abfuhr („Du Trottel findest eine Klitoris nicht einmal mit Landkarte“), du ersinnst Strategien gegen Abfuhren („Willst du ein Kind mit mir zeugen?“ – „Nein.“ – „Auch nicht, wenn wir aufpassen?“). Nach einer spezialschweren Nacht hast du neben dem Kater auch noch den Blues. Am liebsten würdest du eine Panflöte kaufen, die Einsamkeit suchen und mit Pflanzen sprechen. Flirtnotiz: Keine schlechte Idee. Denn jeder Organismus muss sich zuerst an die fremde Umwelt gewöhnen. Die Akklimatisation. Der sinnvolle Flirt basiert auf der gleichen Wellenlänge der Beteiligten, und das ist ein Level, der sich frühestens nach drei Tagen vor Ort einstellt. Der Alltag braucht seine Zeit, um sich vom Gehirn zu verabschieden. Flirtnotiz: Da hilft nur abwarten und Daumen drehen.

Die Libido-Masche: Mancher Mann laboriert nach Kontakt mit einer Frau an einem seltsamen Phänomen der Ebene „Catch 22“. Er denkt „wär das schön, wenn du geil wärst“, die andere Variante – „wär das geil, wenn du schön wärst“ – macht ihn auch nicht glücklicher. Das Problem: Sein Gehirn glaubt zwar zu wissen, was ihm gefällt. Aber wenn es um Sex geht, spricht sich sein Geschmack höchst selten bis unter den Nabel durch. Flirtnotiz: Überlass bei der Wahl der Gespielin die Entscheidung dem Schwanz. Der ist die einzige kompetente Instanz.

Der geheime Verbündete: Bei weiblichen Schimpansen, weiß der Wiener Hormonspezialist Dr. Johannes Huber, wird der Eintritt der Pubertät durch väterliche Duftstoffe – die Pheromone – ausgelöst. Auch bei der zwischenmenschlichen Kommunikation spielen die männlichen Pheromone – die sich via Achselschweiß unsichtbar in den Flirt mischen – als sexuelle Stimulanz eine nicht zu unterschätzende Rolle. Flirtriotiz: Hygiene ist wichtig. Dennoch ist von der Verwendung eines Deodorants im Achselbereich dringend abzuraten.

Und schon sind wir beim Nahkampf. Ob am Strand, am Dancefloor oder in der Bar – die Flirtchance ist immer und überall. Befleißige dich also einer ständigen Wachsamkeit. Denn die Frau, weiß der Psychologe, entscheidet in den ersten drei Minuten, ob du ihr gefällst. Lass dir nie anmerken, dass du es nötig hast. Der Bankbeamte gibt dir ja auch keinen Kredit, wenn er merkt, dass du den Kredit nötig hast. Wer punkten will, muss schnell sein. Der erste Augenblick. Die Uhr beginnt zu ticken, sobald sie dich gesehen hat. Um den Eindruck des „Starrens“ zu vermeiden, haben deine Augen nun wenig mehr als drei Sekunden, um ihre Präsenz zu notieren. Nicht viel Zeit, aber sie reicht für eine Rundfahrt von Kopf bis Fuß und retour. Flirtnotiz: Der Verführer im Mann hält ihren Blick um die berühmte Sekunde „zu lang“. Das kreiert jenen entscheidenden „Moment der Intimität“, der ihr verdeutlicht, dass sein Interesse nicht nur von Höflichkeit diktiert wird.

Das Zwinkern: Ein gut platziertes Zwinkern kann Wunder wirken. Zum Beispiel, dass sie zurückzwinkert. Flirtnotiz: Obacht, wenn’s nicht sofort klappt, Wiederholungszwinkerer vermitteln ihr den Eindruck, dass der arme Kerl an einem Nervenleiden laboriert.

Das erste Kompliment: Eine heikle Sache. Frauen hassen es, wenn ein Kompliment zu platt ausfällt, und weil es ehrlich klingen soll, muss der Mann ein guter Heuchler sein. Auch zu dick aufgetragener Schleim („Hast du dich verletzt, als du vom Himmel fielst?“) kann den ersten Schritt in die Niederlage bedeuten. Flirtnotiz: Keine Sorge: Irgendwo zwischen Ohrring und Schuh findet sich ein Detail, das der Erwähnung lohnt.

Die Konversation: Die weise Devise ist simpel: Je weniger er sagt, umso besser ist sie drauf. Man muss sie nur auf ihr Lieblingsthema bringen, und das ist logischerweise sie selbst. Flirtnotiz: In der Folge sollte es genügen, ihre gelegentlichen Atempausen mit interessierten Fragen – selbstverständlich stets zu ihrer Person – zu überbrücken.

Die erste Berührung: Sie sollte weder ein Grapschen noch ein Streicheln sein, sondern ein sachtes Berühren, etwa ihres Armes. Was folgt, sollte die Weichen für den Rest der Nacht stellen. Geht sie nicht auf Distanz, haben Sonne, Alkohol und Flirt ihre Schuldigkeit getan, und es liegt am Mann, dafür zu sorgen, dass sich die Story ein paar Wochen später am heimischen Stammtisch gut erzählt. Flirtnotiz: Von deinem „Allerweil-ich-wär-schon-geduscht-und-könnt-drüber-reden“ darf sie nichts merken.

Müßig zu erwähnen, dass jedem Urlaubsflirt sein natürliches Ende widerfährt. Die Vernunft suggeriert, dass dies am Morgen danach passiert. Letztlich sollte ein Urlaub ja der Erholung dienen. Möglich, dass die Gespielin dies anders sieht und eine sachte Verdeutlichung der Lage sich nicht verhindern lässt. Unter Beachtung von obigem Punkt „Nord-Süd-Gefälle“ ist jedoch ein sanfter Weg der Verständigung leicht machbar. Südländerinnen verstehen die Botschaft, wenn seinen Lippen ein „Deine Liebe ist zu kostbar, um sie täglich zu ertragen“ entfährt. Und den Girls aus dem Norden können schon während der acht im Bett ein paar vorbeugende Lorbeeren gestreut werden: „Hab ich dir weh getan?“ – „Nein, wieso?“ – „Weil du dich bewegt hast.“

Nicht wirklich die feine Art, aber gut für den Stammtisch. ◄