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Archiv 1989: Top 10 der Werbung

Jakob Stantejsky

Sie machen den Traum zur Wirklichkeit und die Wirklichkeit zum Traum: Österreichs Werbeagenturen pushen Ladenhüter zu Verkaufs-Hits und basteln Reklame-Texte, die zu Ohrwürmern werden. Der WIENER sah sich in der Werbeszene um und verrät, wer die Leute sind, die uns zum Konsum verführen.

Text: Wolfgang Simonitsch

Kein Mazda, ein Werbemensch müsste man sein! Diese fromme Abwandlung des Soft-Slogans und denkwürdigen Sagers, lieber in Gestalt japanischen Autoblechs lustwandeln zu wollen („Ein Mazda müsste man sein.“), drängt sich dem Beobachter auf: denn keine andere Branche wächst seit Jahren derart rasant, zahlt so üppige Gehälter, logiert dermaßen stilvoll und umgibt ihre gern rolex- und burberrytragenden und geländeautofahrenden Angehörigen mit so viel Unwiderstehlichkeit wie das Werbe-Business.

„Das ist echt geil“, plaudern auch Creative-Directoren wie Wolfgang Hering (von der wieder aufgestrebten Agentur Lintas) stilgerecht aus dem Geschäft.

Neue Ideen, Kampagnen und Slogans zu erfinden – die uns eventuell als TV-Eyecatcher oder Ohrwurm im Wohnzimmerfauteuil becircen, sei „wie eine Droge, ‚wie eine Frau, die man nicht kriegen kann‘. Gelegentlich buhle man eine ganze Nacht darum. Wie damals im Wiener Nobelbeisl Oswald & Kalb, als Hering, wenige Stunden vor dem Termin beim Kunden, in einem Anflug von Galgenhumor „das Leben ist ein Fest auf einen Bierdeckel kritzelte. Dieser Spruch (siehe Foto auf Seite 116) unterlegt seither die neue Werbelinie für Kuner-Mayonnaise, freut sich Hering, der auch auf Lintas-Büro („alles Plexi, Leichtmetall und rote Lackfolie“) mächtig stolz ist, obwohl „das Flippige gar nicht so unsere Welt ist“.

Gute 10,4 (1987: 9,3) Milliarden Schilling haben Österreichs Firmen 1988 den 223 Werbeagenturen des Landes für den von ihnen veranstalteten Werberummel mittels diverser Medien (Zeitungen, TV, Radio, Plakate) überlassen. „Ein bisschen mehr als eine Million“ davon, „natürlich netto“, hat ein anderer Creative-Director, nämlich Edmund Petri (von Young & Rubicam), verdient. Der Co-Geschäftsführer des österreichischen Ablegers von Y & R (der kürzlich die Etats von Dames, Gazelle, Cosy … gewinnen konnte) und der Erfinder des wohl-bekannten Slogans „Oh! It’s a feh“ hat dafür nicht nur Humphrey Bogart, sondern beim Ideensuchen vor allem den Papierkorb immer wieder strapaziert: „Neunzig Prozent sind Transpiration, zehn Prozent Inspiration“, berichtet er aus dem „gewöhnlich schwierigen Leben“ eines Kreativen, der schreibt, schreibt, schreibt und dann „weghaut, weghaut, weghaut… bis es endlich hinhaut.

Fast die Hälfte des Werbekuchens wird von den Top Ten (siehe Tabelle auf Seite 118) verschlungen, die 50 größten Agenturen streifen etwa 80 Prozent aller Werbeschillinge ein. Dementsprechend hart geht es auch im Hinterfeld der vielen kleinen Werbefirmen zu, die häufig und mit allen Methoden, „auch politischen Untergriffen“, vorwiegend bei unbezahlten Präsentationen um Kunden raufen, wie der professionelle Branchenbeobachter, der Wiener Verleger Hans-Jörgen Manstein, weiß. Die Großen hingegen bieten ihre Werbeideen in neun von zehn Fällen bloß gegen bare Münze feil.

Wenn überhaupt: so schwört Jan Mariusz Demner von Demner & Merlicek, der, wie er sagt, in puncto Eigentümer „österreichischsten aller großen Agenturen“, auf die seit 1972 geübte Masche, überhaupt keine Kunden zu keilen. Die klopften stets aus eigenem Antrieb an die ehrwürdigen Pforten der angesehenen Agentur im Palmers-Haus in der Wiener Lehárgasse, wo schon beim Eingang die Wände mit Urkunden gewonnener Preise und Auszeichnungen gepflastert sind. Wie kürzlich etwa die staatlichen Fremdenverkehrswerber, die einen dicken Millionenetat mitbrachten und sich nun im Verein etwa mit BP, der CA, mit Kika, Leiner oder Mazda zum Kreis der D & M-Kunden zählen. Solche Eigendynamik, gepaart mit breit gestreuter Anerkennung (Demner: „Wir haben mit ziemlichem Abstand die meisten internationalen Auszeichnungen bekommen.“), lässt Selbstbewusstsein wuchern: Diese Preise, zuletzt hat die Agentur sieben von 13 Auszeichnungen des Wirtschaftsministeriums, darunter zwei von drei Staatspreisen (für die Mazda- und Eurocard-Werbung), ergattert, machten viel Freude. Doch seien sie bloß „verwertbarer Abfall“, wie beim Hobeln die Späne, sagt Demner, der ursprünglich ganz klein begonnen hat.

Wirz-Chef Ernst Latzka, dessen Werbefirmen gleich hinter D & M auf Platz vier der Mansteinschen Agentur-Hitliste rangieren, sieht dies noch gelassener. Latzka, der jüngst seinen weißen Rolls-Royce zu Schrott gefahren hat und der jetzt seine Wiener Traumvilla (samt Wasserfall im Wohnzimmer) notfalls mit seinem Lamborghini Miura ansteuern muss, tut bei Wettbewerben gar nicht mit. Ihn störe diese „perverse Preise-Inflation“, bei der es Oscars, Clios, Effies oder Edwards genannte Auszeichnungen regne.

Die Agentur Wirz ist, obwohl sie für ihre Kunden mitunter lautstarke Heuler (wie den Billa-Jubelchor, „Freut Euch, freut Euch Leute“ oder „Toy, Toy, Toy, Toyota“) unter die Leute bringt, in eigener Sache überhaupt eher leise. Klammheimlich, so weiß es das Branchengeflüster, haben Latzka und seine, wie er betont, „drei beträchtlich teilhabenden Kollegen“ (Georg Löbbecke, Klaus Seidl und Rudi Reisner) die oberste Verdienstsprosse im Werbegeschäft erklimmt. Kolportierte 5 Millionen Jahreseinkommen pro Nase quittiert Latzka zwar bloß mit einem Lacher, doch gibt er zu, beim Cashen „absolut gut“ dran zu sein.

Das verdankt er nicht nur den erklecklichen Werbeetats von Billa, Möven-Bier, Granini, Semperit oder Maresi, sondern vor allem der Philosophie, keine fix angestellten Kreativen im Haus zu haben. Wirz beschäftigt als Texter.

Und Graphiker sind bloß Freelancer, was neben dem Vorteil, aus einem viel größeren Reservoir schöpfen zu können, sehr kostengünstig ist: Denn in keiner anderen Branche dreht sich das Jobkarussell dermaßen schnell, wechseln die Leute so häufig von einer Firma zur anderen – und lizitieren dabei ihre Gehälter in teure Höhen. Gehaltssprünge von 10 Prozent seien bei solchen Übungen, die einzelne nach genau ausgetüftelten Karriereplänen absolvieren, praktisch die Regel.

Freilich wird auch abgeworben. So hat etwa der heutige Geschäftsführer der Creation der Werbeagentur GGK, Georg Beer, für eine saftige Gage Demner & Merlicek verlassen und ist zum Branchenleader – die GGK (79 Beschäftigte) ist laut „trend“ umsatzmäßig die Nummer 394 unter den Top 500 der österreichischen Firmen – übergelaufen, wie Insider Manstein nickend wissen glaubt. Auch so habe die GGK (sie wirbt etwa für Palmers, Meinl, Pepsi, Länderbank, VW, Lotto oder mittels bekannt dreieckserotischer Spots mit dem Spruch „Römerquelle belebt die Sinne“) „gute persönliche Ressourcen aufgebaut“ und werde daher in jeder Hinsicht ihren Spitzenplatz behaupten können, behauptet Manstein.

Um die Gehälter-Lizitation zu bremsen, haben Werbebosse, die flankierend gute Leute immer häufiger durch Beteiligungen an ihr Haus binden, teils strenge Sitten verordnet: So schweigt etwa der Creative Director Ogilvy & Mather, Johannes Strnat („Jost“), bei der Frage nach seinem Auskommen ganz pflichtbewusst. Jost, der nicht wie andere Szene-CDs abends im „Salzamt“ sitze und sich als eher introvertiert einstuft, hat bei Ogilvy „unterschreiben müssen, dass über Gehälter nicht geredet wird“.

Doch nicht nur im noblen Palais des Branchenspezialisten Ogilvy im Botschaftsviertel des 3. Wiener Bezirks herrscht bei diesem Thema Schweigen. Auch bei der Nummer zehn im Lande, der Team/BBDO (die nach Mansteins Kalkül wahrscheinlich heuer von Dr. Puttner & Ted Bates auf Platz elf verdrängte Firma gehört zur weltgrößten Agenturkette neben Saatchi & Saatchi), wird darüber „nicht einmal intern“ geredet, erzählt die Projektleiterin des Milde-Sorte-Teams, Angelika Trachtenberg.

Unwiderlegte Klischees vermitteln, dass in keiner anderen Branche so viele Dreißigjährige pro Jahr ihre Million einstreifen. Doch darüber redet auch Die-Sieber-Chef Erich Fröch, der zuletzt den kolossalen Verbundetat. Philips, Johnson & Johnson und andere kapitale Fische an Land gezogen hat und wegen des umfangreichen Neugeschäftes als Aufsteiger des Jahres gilt, nicht. Wichtiger als die Million sei ihm, am Leben, überhaupt in der Branche zu bleiben, sagt der Creative Director von McCann-Erickson („Wo ist das Körbert“, „Jeder 18t sie, von Pietro Pizzi“, „Der Baumax hat es schwarz auf weiß“). Wolfgang Bayer. Viele brennen in diesem Geschäft zu rasch aus. Er habe „jetzt zum Ausgleich zu kochen begonnen“, verrät Bayer.

Eine von Manstein skizzierte Lohnpyramide zeigt, dass ganz unten an der Werbebasis das Brot ganz schön hart ist. Damit sie überhaupt etwas zu lachen haben, verballhornen etwa Junior-Texter, die als Lehrlinge rund ein Jahr lang von brutto 7000 bis 14.000 Schilling leben müssen, schon einmal gängige Slogans à la „Der Anker bäckt’s, den Kunden reckt’s“ (statt „schmeckt’s). Danach winken den Textern 22 bis 48 Blaue, ein Konzeptionist darf sich über 36 bis 64, ein Creative Director über monatlich 70 bis 120 Tausender freuen. Graphiker blühen 22 bis 32 Blaue, Art Directors 28 bis 40 im Monat.

Das ist viel Heu für diesen Mist, durfte mancher in den Chor jener linken Kritiker einstimmen, die der Branche immer wieder gern das Existenzrecht streitig machten. Doch daran sind schon andere Kaliber gescheitert. Wie der amerikanische Autokönig früherer Tage, Henry Ford, der seine höhere Einsicht über die Notwendigkeit der Werber letztlich so formulierte: „Ich glaube, dass ich die Hälfte meines Geldes für Werbung praktisch zum Fenster hinauswerfe“, klagte Old Henry… doch leider weiß ich nicht, welche.