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Archiv 1991: Lang ist’s her

Jakob Stantejsky

Helmut Lang liegt auf Platz zwei der internationalen Designer-Hitparade des Fachmode-Magazins „journal du textile“, direkt hinter dem Modegott Gaultier. Doch kaum jemand kennt den kometenhaften Aufstieg des Modemachers aus Österreich. Der „WIENER“ recherchierte, wie aus dem HAK-Schüler Peter Scepka ein Star wurde.

Für das „Zeit Magazin“ ist er der „Retter des Einfachen“. Auf der Designer-Hitparade des Fachmagazins „journal du textile“ belegt er Platz zwei, direkt hinter Jean-Paul Gaultier. Sein japanischer Lizenznehmer hat kürzlich sechs weitere Helmut-Lang-Boutiquen eröffnet, und es gibt bereits neun davon.

Helmut Lang bemerkt, dass sein proklamierter Stil nicht nur in Paris Anklang findet. „Mit der Mode verhält es sich wie mit der globalen Umweltverschmutzung. Beides lässt sich nicht eingrenzen“, sagt er. Von Kanada und den Vereinigten Staaten über Großbritannien, Hongkong und Australien „verkaufen sich die Sachen wirklich gut“.

Vor 15 Jahren schienen Helmut Langs Aussichten ziemlich durchschnittlich. Als Peter Scepka, sein bürgerlicher Name, büffelte er in der Handelsakademie im 21. Wiener Gemeindebezirk alles, was man für einen „ordentlichen“ Beruf braucht. „Bis zur Abschlussklasse war ich so etwas wie ein Streber. Doch dann kam es mir wie eine Art Kolik, dass ich für einen kaufmännischen Beruf nicht geeignet bin.“

Auch die Jobs zum Dazuverdienen waren ohne Zukunft: Schuhverkäufer, Kellner, Lastwagenbeifahrer. Nach der Matura war erst einmal Nachdenken angesagt. Als Barkeeper in „Motto“, damals Treffpunkt der Wiener Modeszene, servierte Scepka Drinks den „wichtigen Leuten“. Die bunte Klientel eröffnete ihm eine neue gedankliche Dimension für „interessante“ Berufe. Der ruhige Barkeeper lernte, sich unter den Ausgeflippten zu behaupten.

Er fasste Mut, der Runde mit dem Modegefühl ein von ihm entworfenes Modell zu zeigen. „Nur zum Spaß.“ Die Anerkennung für Peter Scepka wuchs, und nach und nach kreierte er eine ganze Kollektion. Sein Spitzname mutierte zum Label einer Einzelhandelsfirma: „Bou Bou“ – ein afrikanisches Bauchwickeltuch.

Ein Barman als Kleinstunternehmer. Die ersten Modeschauen im „Motto“ und im „Künstlerhaus“ warfen den typischen Schatten auf ein österreichisches Designer-Schicksal: Alle schwärmten, niemand kaufte. Fazit: Entweder man zerbricht daran, oder man strengt sich noch mehr an. „Bou Bou“ zog die Bremse. Noch vor Eröffnung des ersten Ateliers wandelte er die Firma in eine Gesellschaft um – mit beschränkter Haftung. Der chemalige Boss von Lang, Motto-Besitzer Franz Tell, schoss 30 Prozent des Startkapitals zu.

Hannes Rausch, Kreativdirektor einer Werbeagentur, war einer der wenigen, die schon damals Lang als „den Modemacher, der ein Gefühl für gute Dinge hat“, erkannte. Er bat ihn, für die „Erste Österreichische Sparkasse“ Krawatten, Pullover, T-Shirts, Jacken und Kappen zu designen – für viele Kreative lästige, banale Brotarbeit. „Ich empfand diesen Auftrag als interessant“, erinnert sich Helmut Lang, 150.000 Schilling Honorar sicherten ihm die Finanzierung neuer Projekte. Doch Wien war für Helmut Lang dann doch zu eng. Er wollte internationalen Erfolg und fühlte, dass ihm dabei der eigene Name im Weg stand. Aus Peter Scepka wurde Helmut Lang – nicht ganz aus der Luft gegriffen: Helmut ist sein dritter Taufname, und Lang war der Name seines Großvaters.

Bei der zweiten Modeschau, diesmal in großem Stil in der Wiener Secession, machte er den nächsten Schritt in Richtung Professionalität. „Ich habe damals begriffen, dass es wichtig ist, neben meiner Mode ein gewisses Frauenbild zu präsentieren.“ Diesem entsprach ein Model perfekt: Jerry Hall. Die als exzentrisch geltende Jerry, bekannt auch als Freundin von Mick Jagger, war noch nie für einen Nobody aufgetreten.

Als Jerry Hall kam und sich statt ihrer Gage auch noch in Lang-Kreationen bezahlen ließ, war die Publicity perfekt. Und der Name Helmut Lang avancierte zum Begriff. Ein neugewonnener Fan war Cordula Reyer, Tochter des Burg-Mimen Walter Reyer und mittlerweile Starmodel. „Mein Vater hatte mich zu der Show mitgenommen. Ich war damals 16 Jahre alt und hatte 70 Kilo. Von da an war für mich der Name Lang progressiv und schick.“

Kurze Zeit später wagte sich der pummelige Teenager, knapp bei Kasse, in den Lang-Laden in der Singerstraße. „Das Geschäft war ganz weiß ausgekachelt, nur ein zerbrochener Spiegel lockerte das Ganze ein bisschen auf. Die Verkäuferinnen kamen mir vor wie Hexen, mit ihren langen Fingernägeln. Ich traute mich kaum hinein“, erinnert sich Cordula. Sie kaufte ein T-Shirt und präsentierte es Freundinnen wie eine Trophäe.

Hinter den Kulissen sah es zu der Zeit nicht rosig aus. Die Umsätze waren gerade so gut, dass Lang den Laden „am Rande des Nervenzusammenbruchs“ über Wasser halten konnte. Ihm stellte sich die Frage, ob er das Geschäft über die Runden bringen oder lieber gleich in Paris sein Glück versuchen sollte.

1985 zeigte er im Rahmen einer Ausstellung „Wien – Paris um 1900“ in der Seinemetropole eine Serie von jugendstilnahen Kleidern. Tags darauf berichtete die „Liberation“, die Tageszeitung in Frankreich, dass kein ausländischer Jungdesigner Chancen auf Welterfolg hätte, außer Helmut Lang. Lang wurde erst einmal zwei Jahre „beobachtet“. Denn von Blitz-Erfolgen hält man in der Modestadt nichts. „In diesem Zeitraum muss man es schaffen. Oder man ist gestorben

„, analysiert Lang trocken. Als ein Vertrag zwischen dem jungen Österreicher und dem italienischen Textilzaren Zamasport (er managt auch Katherine Hamnett, Norma Kamali und Romeo Gigli) zustande kam, war sich die Modewelt einig: Ein neuer Shooting-Star war geboren. Ein kreativer Kopf hatte seinen finanziellen wie internationalen Background bekommen.

Die Art, Formen in noch nie dagewesener Reduziertheit zu zeigen und Stoffe mit ihrer Eigenwirkung einzusetzen, ist der Stil des Wieners geworden. Ihm traut man am ehesten zu, neue Klassiker zu entwerfen, ähnlich der Bluejeans. Rund 900 Seiten Pressekommentare pro Saison belegen die Begeisterung. Helmut Lang hat den Nimbus des Schüchternen. Er macht sich rar, nimmt keine Preise entgegen, gibt wenige Interviews und zeigt sich sogar selten beim Schlussapplaus seiner Shows. Seine Interpretation: „Seit fünf Jahren kommen mit einer affenartigen Geschwindigkeit alle möglichen gesellschaftlichen Situationen auf mich zu. Weltweit.“ Sein Image komme wohl auch dadurch zustande, glaubt er, weil er nur dann in Erscheinung tritt, wenn es ihm Spaß macht. Nilgin Yusuf, Redakteurin bei der englischen Elle, beschreibt Helmut Lang einfach als perfekte Mischung aus Mickey Rourke und Robert de Niro.