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Archiv 1993: Der dritte Mann

Jakob Stantejsky

Am 6. Dezember wird gegen den ehemaligen Filmer Helmut Frodl im Wiener Landesgericht wegen Mordes verhandelt. Seine neueste Verteidigungslinie umfasst KGB, Mossad, Red Mercury, Waffen, Kokain und – den „dritten Mann“. Ob dieser bloß ein Hirngespinst ist oder ob doch ein Funken Wahrheit im Spiel ist, recherchierten Kid Möchel (Text) und Gerhard Aba (Fotos).

Neben ihm am Boden lag der abgebrochene Flaschenhals. Ohne zu zögern, fasste er ihn und stieß ihn gegen Pjetkin. Dieser wehrte Kobers Angriff ab, jedoch klaffte eine Schnittwunde an Pjetkins Unterarm, die sofort stark zu bluten begann. Pjetkin gelang es für einen kurzen Moment, den Schlägen auszuweichen, indem er sich blitzartig auf die Seite rollte und unter dem Tisch Schutz suchte. Da trat Kober mehrmals gegen ihn. Pjetkin ergriff Panik. Er zog seine Pistole und schoss. In einer Drehbewegung fiel Kober um. Pjetkin beugte sich über ihn. Er war tot. Klappe.

Die Handlung sowie alle Personen dieses Buches seien frei erfunden, schreibt der mordverdächtige Ex-Schickimicki Helmut Frodl ins Vorwort seines neuen, verbesserten Manuskripts „Out of Control“. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen sei rein zufällig. Zweifel sind berechtigt.

Nachdem der ehemalige Wiener Jung-Filmer Helmut „Milchgesicht“ Frodl im Juni vergangenen Jahres ein Geständnis im Mordfall Fritz Köberl abgelegt hatte, sein Freund und Steuerberater Gabor Pesti als mutmaßlicher Mittäter ebenfalls verhaftet wurde, widerrief er dieses zehn Monate später. Er sei im Nebenzimmer gewesen, als die tödlichen Schüsse in einem Budapester Appartement fielen. So seine neue Version. Der Mörder sei ein „dritter Mann“: Boris Antonowitsch Pjetkin. „Wir sind sicher, dass er gar nicht Pjetkin heißt“, sagt Frodl-Anwalt Dr. Nikolaus Lehner. „Das ist wahrscheinlich nur ein Alias-Name.“ Frodl habe den Georgier, der sich als KGB-Mann ausgab, bei seinen beruflichen Ausflügen in den Osten kennengelernt. Diese mysteriöse Figur aus der ehemaligen UdSSR wurde mal als Militär-(GRU-), mal als KGB-Major, mal als Nowosti-Chef, mal als Mitglied der Außenhandelsdelegation in Botswana gehandelt.

Für Frodl und seinen Verteidiger ist Pjetkin alles andere als bloß eine Romanfigur. „Pjetkin wurde von uns gesucht. Primär in Athen, Budapest und Berlin“, behauptet Strafverteidiger Dr. Lehner. Bisher ohne Erfolg. Eine letzte Hoffnung haben der frische Anwalt und sein Detektiv Karl Partsch (siehe Seite 36) noch. „Der einzige, der beide, Frodl und Pjetkin, kennt, ist ein Mann namens Gourcov“, will Dr. Nikolaus Lehner mit ziemlicher Sicherheit wissen. Das „Pocken-Gesicht“ Javor Gourcov alias Gourkov alias Bakalov, 38 (laut Frodl war „Gurkoff“ einst Auto-Stuntman), wird so zur Schlüsselfigur in der mysteriösen Frodl-Mordgeschichte. Ihn gibt es wirklich. In einem früheren Gewaltverbrechen ist er der Hauptdarsteller. Denn Javor Bakalov vulgo Javor Gourcov selbst wird weltweit wegen Mordes gesucht.

Die Vorgeschichte: Den in der bulgarischen Hauptstadt Sofia geborenen 130-Kilo-Mann mit der „Bulldoggenvisage“ (Frodl) verschlug es vor rund 20 Jahren mit seiner Mutter und drei Geschwistern ins südafrikanische Johannesburg. Als Zwischenstation diente den Auswanderern Wien, wo Javor Gourcov in den 70ern in der Obermüllnerstraße im zweiten Bezirk gemeldet war. Der Jahre später zum „Geschäftsmann aus Johannesburg“ avancierte Ex-Flüchtling mit einem bulgarischen und einem niederländischen Reisepass kam immer wieder in die Donaumetropole, wo er laut Dr. Nikolaus Lehner sehr entfernte Verwandte haben soll.

Gourcov, der nicht raucht, „so gut wie nie Alkohol trinkt und überhaupt Champagner hasst (Frodl)“, soll seinen „Freunden“ Frodl und vor allem Gabor Pesti im Juni 1989 über zwei Millionen Schilling für dubiose Filmprojekte herausgelockt haben. Auf Nimmerwiedersehen. Das famose Duo erstattete daraufhin Strafanzeige. Gourcov wird seither per österreichischem Haftbefehl wegen schweren Betruges gesucht. Einige Monate später, am 16. November 1989, wird bei Kilometer 51 an der nordgriechischen Bundesstraße zwischen Thessaloniki und Serres die Leiche des bulgarischen Staatsbürgers Ivan Zlatarov, 1939 in der Hafenstadt Varna geboren, aufgefunden. Der Bulgare mit Wohnsitz in Südafrika ist laut mazedonischer Zeitungen sechs Tage zuvor durch einen Schuss aus einem Revolver, Kaliber .38, getötet, danach zerstückelt und in einem Graben neben der Straße verbrannt worden. In der Nähe der Leiche finden die griechischen Kripobeamten einen Führerschein und einen Pass auf den Namen Zlatarov, etwas abseits davon soll eine Hotelrechnung auf den Namen Gourcov gelegen haben. Ist hier Kommissar Zufall im Spiel? Die weiteren Ermittlungen ergeben, dass Javor Gourcov mit dem südafrikanischen Staatsbürger Johannes Snyman und einem Bulgaren namens Iliev Ivanov seit mehreren Monaten im Hotel Queen Olga in Thessaloniki abgestiegen war. Wenige Tage nach dem Verschwinden Zlatarovs sollen sie in dessen Unterkunft, dem Parkhotel Thessaloniki, aufgetaucht sein, die Rechnung bezahlt und angegeben haben, Zlatarov sei frühzeitig abgereist, und sie würden ihm das Gepäck nachbringen. Gourcov soll mit einem Citroën nach Bulgarien, S

nyman über Athen nach Deutschland geflüchtet sein. Vom Dritten im Bunde fehlt jede Spur. Seitdem wird das Trio, von griechischen Zeitungen als Waffen- und Rauschgiftschmuggler bezeichnet, vom griechischen Gericht Kilkis wegen Mordes an Ivan Zlatarov gesucht. Soweit die Tatsachen.

In seinem Manuskript „Out of Control“ beschreibt der U-Häftling Frodl seinen ehemaligen Bekannten Javor Gourcov als Waffenhändler, der zusammen mit einem Partner florierende Geschäfte betreibt. Und dieser Partner soll der mysteriöse Boris Pjetkin sein. „Out of Control“, Seite 21: In der Nacht vom 27. zum 28. Oktober 1986 wurde im Hafen von Maputo in Mosambik die Ladung des sowjetischen Frachters „Odessa“ gelöscht. Nacheinander wurden tonnenschwere rostig-braune Container auf Sattelschlepper gestellt. Neben Pjetkin saß der schwarze Südafrikaner Emanuel N. Ngombe. Er war Funktionär beim ANC, dem African National Congress in Südafrika, und enger Vertrauter Nelson Mandelas. „Das ist jetzt der letzte Container“, Pjetkin startete den Jeep und rollte, ohne das Licht einzuschalten, zu den am Kai wartenden Lastwagen. Emanuel Ngombo trug einen braun-grün gesprenkelten Tarnanzug. Zwischen November 1986 und März 1988 führte Emanuel Ngombe dreimal Waffen und Munition von Mosambik nach Südafrika. Das war von Pjetkin so eingefädelt worden und klappte wie am Schnürchen. Pjetkin wurde schon seit einiger Zeit das Gefühl nicht los, dass der florierende Geschäftsgang ihrer gemeinsam gegründeten „Merkur Trade mit Sitz in Genf seinen Partner Javor unvorsichtig werden ließ. Beflügelt vom Erfolg, verdrängte er einfach die Möglichkeit, dass andere Geschäftspartner hinter das wohlgehütete Geheimnis der Waffengeschäfte kommen könnten.

Ein „seichter Thriller“ lautet dazu der Kommentar des Staatsanwalts (siehe Der Frodl-Ankläger): „Das Ganze ist ungeheuer unlogisch. Man muss die Geschichte mit allem, was vorher und nachher gemacht wurde, betrachten.“ Über Traum und Wirklichkeit werden die Geschworenen zu entscheiden haben.

PRÄZISE UND WORTGEWALTIG

Der Frodl-Ankläger

Mag. Ernst Kloyber vertritt die Anklage gegen den mutmaßlichen Mörder Helmut Frodl und Gabor Pesti. Wer ist der Mann in der schwarz-roten Robe?

Die Anklage am ersten Verhandlungstag – nicht ein paar dürre, juristische Vokabeln, sondern ein prächtiges, schreckenerregendes Plädoyer, schrieb Deutschlands angesehenste Gerichtssaal-Reporterin Gisela Friedrichsen im Spiegel über den Lainzer Mordschwestern-Prozess vom März 1991. Das Plädoyer komme über die Geschworenen wie das Jüngste Gericht. Denn der Ankläger bekenne, aber beschönige nicht, führte sie weiter aus, und er sieht jedes Argument, das den Geschworenen in den Sinn kommen könnte, voraus. Die Rede ist vom Wiener Staatsanwalt Mag. Ernst Kloyber. Kloyber, 48, Sohn eines Arztes und Ehemann der Wiener Richterin Dr. Grete Kloyber, ist kein Unbekannter. Seit 1977 ist er im Wiener Landesgericht für Strafsachen tätig. Vier Jahre lang amtierte er als Richter, bis er ins Anklagefach wechselte. „Die ersten Jahre als Richter waren sehr prägend“, gesteht Mag. Ernst Kloyber, „und ich bemühe mich auch heute noch sehr um die Objektivität.“ Zehn Jahre lang vertrat er die Anklage in Blut- und Gewalt-Prozessen. Darunter waren spektakuläre Fälle, wie zum Beispiel die Causa Lorenz (dreifacher Mord), zahlreiche Raubfälle und zuletzt die Mord-Causa Lainz. Gerade in diesem komplizierten Fall kam ihm seine „medizinische Halbbildung“, wie er sein Interesse an der Medizin bezeichnet, zugute. Denn bevor es ihn zur Juristerei hinzog, liebäugelte er mit einem Medizinstudium.

Seit fast einem Jahr hat Ernst Kloyber die Anklagesparte gewechselt. Wirtschaftsstrafsachen sind sein neues Revier. Ein ungeheuer kompliziertes Gebiet des Strafrechts. „Die Täter sind hochintelligent“, gibt der Defraudanten-Kläger zu Protokoll, und mit allen möglichen technischen Geräten ausgerüstet.“

In seiner Freizeit sammelt der Rechtswissenschaftler alles über Flugzeugunfälle. Ausschlaggebend war der Absturz eines Lauda-Air-Jets in Thailand. Kloyber: „Da habe ich mir ein umfangreiches Wissen angeeignet“, bestätigt er. Die übrige arbeitsfreie Zeit nutze er, um „etwas in der Welt herumzukommen“.

„Australien und China habe ich erstaunlicherweise noch nicht besucht“, antwortet er spontan auf die Frage, welches Fleckchen Erde er noch nicht bereist habe. Eigentlich wollte er das Reich der Mitte bereits 1989 erkunden, doch die Niederschlagung der damaligen Demokratisierungsbewegung durch das kommunistische Regime vereitelte die Studienreise. Seine große Vorliebe gilt Mexiko, das er auf Grund verwandtschaftlicher Beziehungen schon sehr oft bereist hat. Speziell die präkolumbianischen Kulturen haben es ihm angetan. Diese individuellen Urlaubstrips werden genau und gewissenhaft vorbereitet.

So soll er es auch mit seinen Anklagen halten. Die Anklageerhebung gegen den Ex-Filmer und Sonnyboy Helmut Frodl ist ein Erbe aus seiner „Blut-und-Gewalt-Zeit“. Wie wortgewaltig und überzeugend er sein kann, bewies Mag. Ernst Kloyber schon beim Lainz-Prozess. Die Verteidiger hatten dem Staatsanwalt nichts entgegenzusetzen, hieß es dazu im Spiegel.

In der Causa Frodl ist alles offen. Mit einem kräftigen Schlagabtausch zwischen Verteidigung und Anklage ist zu rechnen. Das letzte Wort werden aber die Geschworenen haben. Staatsanwalt Mag. Ernst Kloyber: „Eindeutig ist in einem Geschworenenverfahren nichts.“