AKUT

Archiv 1996: Pumpgun-Groteske

Jakob Stantejsky

50.000 Pumpguns wollte das Innenministerium per Gesetz einsammeln. Stolze 777 Stück sind es geworden. Der Rest ist schweigende Ratlosigkeit.

Text: Normann Weichselbaum & Fotos: Christiano Tekirdali

Christian Johann Springer kann nur müde lächeln: „Dieses Gesetz ist blanker Unsinn. Geschicht denen da oben ganz recht, wenn sie jetzt nicht weiterwissen.“ Was den Juniorchef eines renommierten Wiener Waffengeschäfts so erheitert, nennt sich „Novelle zum Österreichischen Schusswaffengesetz“ und datiert vom 30. Dezember 1994. Seit 1. Jänner 1995 untersagt diese Bestimmung den Besitz von Repetierschrotflinten, kurz Pumpguns genannt, in Österreich unter Androhung einer Freiheitsstrafe von bis zu sechs Monaten. Aus gutem Grund, wie ein Blick in die Verbrechensstatistik des Vorjahres zeigt.

21. August 1994. Ein Linzer Maturant dreht durch und erschießt mit einer Pumpgun seine Eltern. Anschließend begeht er Selbstmord. 12. Oktober 1994. In Aschbach (NO) löscht ein junger Mann im Blutrausch vier Familienmitglieder mit einer mehrschüssigen Schrotflinte aus. November 1994. Ein Steirer aus Proleb erschießt seine Ex-Frau mit einem Pump-Action-Gewehr. Insgesamt 14 Pumpgun-Tote in fünf Monaten, eine erschreckende Bilanz.

Um Besitzern der solcherart in der öffentlichen Diskussion zur Killerwaffe gestempelten Büchse eine kostengünstige und legale Entsorgung zu ermöglichen, bot die Republik bis 30. Juni 1995 die Rücknahme der Gewehre gegen eine finanzielle Abgeltung des Zeitwerts – im Durchschnitt 3500 Schilling – an. Doch offensichtlich haben die Behörden den Abrüstungswillen privater Gunmen überschätzt. Mit 50.000 Schießprügeln wurde gerechnet, exakt 777 Stück sind bei der Exekutive bisher abgegeben worden. Und wie es aussieht, wird’s dabei auch bleiben.

Hofrat Mag. Michael Sika, Generaldirektor für die Öffentliche Sicherheit, zeigt sich aufrichtig enttäuscht: „Wir haben, offen gesagt, mit mehr Rückgaben gerechnet. Was wir bis jetzt haben, ist sicher zu wenig.“ Doch die mit Personal- und Budgetdiskussionen, Vorwürfen der Unterwanderung von rechts und den wenig rühmlichen Briefbomben-Ermittlungsergebnissen vollauf beschäftigten Sicherheitsbehörden haben momentan andere Probleme, als den Österreichern die Gewehre unter dem Bett wegzukonfiszieren. Sika: „Derzeit können wir nichts unternehmen. Die schwebende politische Situation, Sie verstehen. Dabei wäre vergleichsweise einfach, über die Eintragungen in den Waffenbüchern des Handels – die Käufer sogenannter ‚freier Waffen‘ werden beim Kauf vom Händler erfasst und dem Innenministerium bekanntgegeben – zumindest die Legalkäufer der letzten sieben Jahre auszuforschen. Was der Sicherheitshofrat auch irgendwann veranlassen wird. Vorerst bin ich aber für ein Modell, wo wir den entsprechenden Personen eine weitere straffreie Möglichkeit zur Rückgabe der Pumpgun geben.“

Fast 10.000 Flintenfreunde haben bis zum 30. Juni 95 eine andere Möglichkeit genutzt, die Liaison mit ihrer Bleispritze zu legalisieren: Sie haben sie in ihre Waffenbesitzkarte eintragen lassen; danach war das nicht mehr möglich, und der Pumpgun-Besitzer – trotz gültigen Waffendokuments – theoretisch ein Straftäter. Hofrat Dr. Rudolf Spanblöchel von der Bundespolizeidirektion Wien bestätigt: „Allein in der Hauptstadt hatten wir 2300 diesbezügliche Anträge, die mit ein paar Ausnahmen allesamt positiv erledigt wurden.“ Das verwundert sogar Sicherheitsdirektor Sikas: „Ich kann mir keine stichhaltige Begründung vorstellen, warum jemand eine Pumpgun braucht.“ Nach guten Gründen fragt allerdings keiner. Denn es wird bloß die Zuverlässigkeit des Antragstellers überprüft. Fachmann Spanblöchel dazu: „Wenn jemand mit mehr als zwei einschlägigen Delikten bei uns aufscheint, wird man ihm keine Waffenbesitzkarte ausstellen.“ Kritiker monieren indes, dass die grobmaschigen amtlichen Überprüfungsmethoden bestenfalls bekennende Gewalttäter aussortieren konnten. Straftaten unter sechs Monaten würden in der Regel überhaupt nicht berücksichtigt, auch nicht eventuelle Behandlungen wegen psychischer Erkrankungen oder Alkoholabhängigkeit. Dass zu tadelloser Kontrolle freilich eine Datensammlung über jeden nötig wäre, weitaus umfangreicher als jene der vielkritisierten Rasterfahndung, steht auf einem anderen Blatt.

„Wenn Sie mich fragen, ich hätte die Waffe ohnehin rigoros verboten!“ ringt Sika die Hände. „Aber aus wirtschaftlichen Gründen war das halt nicht möglich.“ Insider dagegen sehen die Sache etwas anders. Sportschütze Peter E. etwa, Eigentümer einer legalen Schrotflinte, meint ambivalent: „Einerseits bin ich froh, dass nicht mehr jeder Irre so eine Waffe in die Hand bekommt. Andererseits halte ich es für eine Schweinerei, dass unbescholtene Leute einfach kriminalisiert wurden.“

Warum gerade Pumpguns zu einem Killerinstrument wurden, liegt für den Sportschützen auf der Hand: „Wie andere Waffen auch, haben sie durch Film und Fernsehen eine besondere Aura bekommen. Allerdings sind Pumpguns als einzige in den letzten Jahren so billig geworden, dass ein Gewalttäter weniger als 5000 Schilling ausgeben musste, um inklusive Munition gerüstet zu sein. Zum Vergleich: Ein Jagdgewehr kostet über 15.000 Schilling.“ Nachsatz: „Man hätte einfach den Preis verdreifachen sollen, und der Effekt wäre derselbe gewesen wie ein Verbot.“ Was für diese Theorie spricht: De facto sind

die vielschüssigen Schrotflinten nach wie vor frei im Handel erhältlich. Der einzige Unterschied zu früher besteht darin, dass die neuen Modelle nicht nach jedem Schuss mit der berüchtigten Ratsch-ratsch-Bewegung händisch nachgeladen werden, sondern dies halbautomatisch eine Pistole erledigen. Diese Flinten sind ein wenig größer und wirken noch verheerender. Bloß kosten sie halt bis zu 20 Tausend – und spielen prompt keine Rolle mehr bei Verbrechen. Die Straftaten, die seither durch die Presse gingen, wurden allesamt mit Billigstwaffen verübt.“

Zieht man von den geschätzten 50.000 Mordgeräten in Privatbesitz, die abgegebenen und legalisierten ab, kommt man auf rund 39,500, deren Verbleib ungeklärt ist – und bleibt. „Da ist wahrscheinlich auch ein enormer Prozentsatz an illegal erworbenen Pumpguns dabei“, mutmaßt Sicherheitsprofi Sika und verweist auf Nachbarländer im Osten, wo solche Gewehre in jedem Waffenladen günstig zu haben sind. „Was wir an der Grenze nicht erwischen, bekommen wir wahrscheinlich nie.“

Der ehemalige Waffenhändler Herbert H. wiederum glaubt an Grenzverkehr in die entgegengesetzte Richtung: „Ich kann nur von meinen seinerzeitigen Umsätzen sprechen, und die waren nicht schlecht. Ein gutes Drittel aller Pumpguns habe ich an Gastarbeiter verkauft, vor allem an Jugoslawen. Ich halte die Zahlen über ein heimliches Arsenal im Land für extrem übertrieben.“ Noch gelassener sieht Walter M. die Chose. Der Waffennarr (Selbstbild) hat sich seine Pumpgun in die Waffenbesitzkarte eintragen lassen, geärgert hat ihn der Amtsweg aber allemal: „Nur weil ein paar Irre herumschießen, wird ein Gesetz geändert! Schwachsinn. Man verbietet ja auch nicht die Automarke mit der höchsten Unfallrate.“

Das würde auch Händler Christian Johann Springer unterschreiben: „Mir ist egal, ob ich Waffen oder Socken verkaufe. Wenn eine Oma von mir einen Revolver will und die Berechtigung dazu hat, wird sie ihn auch bekommen. Der verschwindet ohnehin auf Nimmerwiedersehen im Nachtkästchen.“ Zu Zeiten wie diesen ist Springer ebenso wie Kollege Herbert Seidler, Händler und Betreiber eines Schießstandes in Wien, auf jeden Kunden angewiesen. „1994 hat der Markt noch geboomt, jetzt sind alle verunsichert“, klagt Seidler sein Leid. „Keiner weiß, ob ein legaler Erwerb von heute nicht am nächsten Tag unter Strafe gestellt wird. Dabei ist Schießen doch eine olympische Disziplin!“

Verhungern wird der Handel trotz aller Wehklagen mit Sicherheit nicht, denn nie zuvor waren in Österreich Waffen so gefragt wie heute. Beruhigend somit, dass die Behörden laut Gesetz angehalten sind, die Verlässlichkeit eines Waffenbesitzers alle fünf Jahre zu überprüfen. Theoretisch. „De facto passiert das aber nicht“, hält Hofrat Sika die Praxis dagegen, „vor allem in den Ballungszentren ist solche Nachschau Überlastung unmöglich.“ Ein schwacher Trost allenfalls eine Statistik aus dem Sicherheitsbericht des Innenministeriums. Hofrat Sika: „Im ersten Halbjahr ’94 gab es in Österreich 99 Mordopfer, 1995 waren es im gleichen Zeitraum genauso viele. Daraus könnte man ableiten, dass eine Einschränkung des Waffenmarkts keine Verringerung der Verbrechenszahl zur Folge hat.“ Erfahrungswert des Experten: „Dann nimmt einer halt statt der Pumpgun das Küchenmesser.“