Interview

Wer ist Ecoalf?

Alex Pisecker

Der aus Madrid stammende Unternehmer Javier ­Goyeneche ist ein Visionär. Einer jener, die ihre ­Visionen in die Realität umsetzen. 2009 gründete er das Mode Label „Ecoalf“. Das ­Besondere daran? Javier Goyeneche gilt bereits jetzt als Pionier für nachhaltige Mode. Mit „Ecoalf“ setzt er auf recycelte und „low impact“ Materialien. Damit schafft er eine neue Generation an recycelten Produkten mit höchstem Anspruch an Qualität und Design. Warum? Because there is no planet B.

Interview: Alex Pisecker / Fotos: Ecoalf

WIENER: Dein neuestes Projekt nennt sich „Upcycle the Ocean“ und die daraus resultierende Premium Collection Ecoalf 1.0. ­Fischer rund ums Mittelmeer haben dafür in den letzten drei Jahren über 600 Tonnen Plastik aus dem Meer geholt. Kannst du uns den Prozess, wie das mit Plastik gefüllte Netz zum fertigen Kleidungsstück wird, beschreiben?
Goyeneche: Das Projekt startete 2014. Schon seit einigen Jahren stellen wir Kleidung aus recycelten Fischernetzen, die hauptsächlich aus Nylon 0.6, das ist das beste Polyamid, das man kriegen kann, her. Eines Tages sprach ich zufällig mit einem Fischer und er schlug vor, ich sollte mit ihm rausfahren und mir anschauen was sich neben den Fischen so alles an Müll in den Netzen befindet. Ehrlich gesagt war ich schockiert. Und so beschlossen meine Mit­arbeiter und ich ein Projekt zu starten. Je intensiver ich mich in die Materie einarbeitete, desto mehr realisierte ich, dass sich ein enormer Anteil des Mülls am Grunde des Ozeans befindet.

Das Meer in Spanien scheint mir doch sehr sauber zu sein?
Der Schein trügt. Man glaubt, das Meer ist sauber, aber das ist nicht so. Gelangt eine offene Plastikflasche ins Wasser, sinkt sie, genauso ist es mit Aluminiumdosen und allem anderen. Wir überzeugten drei Fischer aus der Region Alicante, Container auf ihren Booten zu montieren und den Müll in den Containern zu sammeln.

Was würde sonst mit dem Müll passieren, den sie in ihren Netzen einfangen?
Sie würden ihn wieder ins Meer zurückwerfen. Ich verbrachte ein Jahr damit, von einem Fischerdorf zum nächsten zu pilgern und die Fischer zu überzeugen, an diesem Projekt teilzunehmen. Erst waren es fünf, dann 20, mittlerweile sind es allein in Spanien 3200 Fischer, die 200 Tonnen Müll jährlich aus dem Meer holen. Sie machen das gratis.

Warum werden die Fischer nicht dafür bezahlt?
Es war sehr wichtig, das auf „non profit“ Ebene zu gestalten, denn es lief zur etwa selben Zeit ein Projekt der EU mit einem Testlauf in Frankreich, bei dem die Fischer für den gesammelten Müll bezahlt wurden. Das führte dazu, dass sie irgendwelchen Müll (eigenen oder aus der Umgebung) abgaben. Der Betrug flog auf und das Projekt war gestorben. Ich erklärte den Fischern es sei ihre Entscheidung, ob sie den Müll wieder in den Ozean werfen, nur um ihn am folgenden Tag wieder herauszufischen. Wenn sie jedoch das Richtige tun wollten, bekämen sie einen Container aufs Boot und in weiterer Folge einen ans Ufer gestellt. Mittlerweile sammeln wir auf diese Weise an 43 Orten in Spanien wöchentlich den Müll ein.

Wie läuft es dann weiter?
Der Müll wird getrennt. Aluminium, Glas, Polypropylen, Polyäthylen, PET und was da unten noch so alles rumliegt. 68% des Mülls den wir vom Meeresboden raufholen geht zurück ins System. Wir behalten uns nur die PET Flaschen, die 11% dieses Mülls ausmachen. Ein Hauptanteil sind Polyäthylene, also die Plastiksackerln, aber auch Folien aus der Landwirtschaft, die von den Feldern weggeweht werden. Viel wird von Afrika herübergeweht, wir sehen das an den Aufschriften in Arabisch. Neuerdings finden wir Unmassen von Masken.

Ist eine Ausdehnung des Projekts geplant?
Selbstverständlich – wir wollen es auf den ge­samten mediterranen Bereich erweitern. Auf 16 Häfen in Grie­chen­land, vier in Frankreich und sie­ben in Italien.

Wie geht es voran?
Während der Pandemie stoppte alles. Fischer haben kein WhatsApp oder E-Mail. Manchmal kann man telefonisch kommunizieren, aber in Wirklichkeit muss man persönlich zu ihnen sprechen. Dann erreicht man sie auch auf der richtigen Ebene. Alles gestaltet sich sehr zeitaufwendig.

Was passiert, wenn der Müll gesammelt und getrennt ist?
Wir bewegen den Müll nicht außerhalb des Landes, in dem er gesammelt wurde. Die PET Flaschen werden im jeweiligen Land weiterverarbeitet. Vor vier Jahren begannen wir mit Thailand zu arbeiten. Die Flaschen werden dort gewaschen, geheckselt, zu einer Spinnmasse verarbeitet und sodann zu Garn versponnen. Anschließend wird gewebt oder gestrickt. Danach kommt das Material in die Schneidereien und es entsteht das Produkt nach den Vorgaben unserer Designer. In Thailand machen wir das mit einem der größten Endlos-Garnhersteller der Welt. So läuft das in jedem Land. Die einzelnen Verarbeitungsprozesse sind auf verschie-
dene Firmen aufgeteilt. Es ist nicht so, dass eine Firma alle Arbeitsschritte ausführen kann. Zuletzt werden die fertigen Artikel distribuiert – kommen nach Europa, Japan oder auf den US Markt.

Ihr verwendet „Viskose“ der Marken Tencel und Modal – arbeitet ihr dafür mit Lenzing in Österreich, die vor geraumer Zeit den European Environment Award für Verfahrenstechnik abgeräumt haben, zusammen?
Ja genau – in unseren letzten Kollektionen waren etwa 92% aller Materialien recycelt. Wir haben jedoch begonnen „low impact materials“ – und das gilt für die Lenzing Produkte – zu verwenden. Genauso wie Kapok aus Indien. Diese Produkte werden mit „Made in India“ ausgezeichnet. Der Kapok-Baum produziert Samenkapseln, die der Baumwolle sehr ähnlich sind. Es handelt sich um eine Zellulosepflanze und die Faser kommt aus der Frucht des Kapok- Baumes. Bei der Verarbeitung eines Shirts aus Kapok wird etwa 400 Liter weniger Wasser benötigt, als bei einem Baumwoll-Shirt, zu dessen Herstellung 2100 Liter nötig sind. Es ist wie bei Hanf – der Vorteil ist ein geringerer Wasserverbrauch. Wir verbrennen Wälder, um sie als Anbauflächen für Baumwolle zu nutzen und verschwenden zur Bewässerung täglich Milliarden Liter von Wasser – das kann so nicht weiter gehen.

Wie überzeugt man Großkonzerne – etwa Michelin – zur Kooperation, beispielsweise um Sohlen für Sneakers aus deren alten Reifen herzustellen?
Michelin ist ein wunderbarer Partner. Wir entwickelten mit ihnen die Sohle für unsere Mokassins und nun sind drei neue Modelle für Herbst Winter 2021/22 realisiert worden. Michelin besitzt ein großartiges Research und ­Development Department. Der Beginn der Zusammenarbeit war ­interessant, denn sie wollten für unser Produkt – also die Sohlen – keine recycelten Komponenten verwenden. Dann erklärte ich ihnen, dass es bei uns um Recycling ginge. Sie hatten Sorge, die eigenen Qualitätsansprüche zu unterminieren. Ich musste ihnen erst verdeutlichen, dass es einen Unterschied zwischen Formel-1-Reifen und Sneakers gibt, mit denen man ins Kino geht. Aber am Ende haben sie es verstanden und wir arbeiten seitdem ausgezeichnet zusammen.

Konntet ihr deiner Meinung nach einen weiteren Maßstab in Richtung Veränderung setzen?
Ja, mit Sicherheit. Die großen Veränderungen müssen von den großen Konzernen kommen. Die kleinen Unternehmen können Lärm verursachen und zeigen, dass es möglich ist. Aber das sind die Jungs, die das Geld, die Ressourcen, die Teams und die Macht haben, solche Veränderungen weltweit durchzusetzen. Wir produzieren beispielsweise diese Schuhbänder aus recyceltem PES und wollen 2000 Stück davon anfertigen lassen. Das ist fast nicht zu realisieren, da die Menge so klein ist, außerdem ist es sehr kostspielig. Aber sobald einer der „big player“ aufspringt und eine „trial order“ über 500.000 Stück tätigt, ist das alles kein Problem mehr.

Ihr bringt eine Flip Flop Collection auf den Markt, eigentlich ein Massenprodukt, wie läuft das da?
Wir haben ein Projekt in Spanien mit einer Firma laufen, die unsere Flip Flop Kollektion herstellt. Die werden ebenfalls aus alten Reifen gefertigt – aber hier funktioniert das nur mit einem Reifentyp und zwar von ganz großen Trucks – wir wissen nicht warum. Die Reifen stammen von spanischen Trucks und werden auch hier gereinigt. Anschließend wird der Gummi pulverisiert, der weitere Produk­tionsvorgang läuft thermisch
ab – das heißt, in diesem Fall spielt sich alles in Spanien ab. Der Trans­port von der Fertigungsstätte erfolgt mittels Schiff, nur in seltenen Ausnahmefällen via Air Cargo.

War deine erste, ebenfalls erfolgreiche Firma „Fun & Basics“die Basis für Ecoalf?
Teilweise schon – ich habe „Fun & Basics“ ja über zehn Jahre betrieben und die Firma 2008 verkauft. Danach habe ich mich eineinhalb Jahre aus der Modebranche zurückgezogen. In dieser Phase suchte ich nach einer Möglichkeit Nachhaltigkeit umzusetzen. Was ich fand, war sehr viel Aktivismus, der sich eher in Richtung „Aufzeigen von Missständen“ bewegte, als Lösungen zu finden und diese umzusetzen. Da entschloss ich mich eine Firma zu gründen, die Mode und Nachhaltigkeit in sich vereint.

Hattest du zu diesem Zeitpunkt schon ein Team, das dich unterstützte?
In den ersten drei Jahren hab ich alles alleine gemacht, ohne ein Team, das mich unterstützte. Zu Beginn gab es kaum recycelte Materialien – der Anteil lag bei 15 – 18% und die Texturen fühlten sich katastrophal an. So begann ich die Welt zu bereisen, um Menschen und Unternehmen zu finden, die auf diesem Gebiet schon Erfahrung hatten. „Ecoalf“ wurde 2013 gelauncht. Carol Blasquez, Head of Sustainabiltiy und Innovation arbeitet seit 2012 mit mir. Creative Director und Head of Design ist Julie Sohn aus Korea. Ursprünglich kreierte sie ihre eigene Kollektion und arbeitete danach für europäische Brands. Sie ist voll verantwortlich für die „Ecoalf 1.0 Collection“. Ich habe mir also Mitarbeiter geholt, die schon sehr ausgedehnte Erfahrung in Design und Nachhaltigkeit mitbrachten.

Grundsätzlich gibt es einen Überschuss an Kleidungsstücken auf diesem Planeten, die Pandemie hat diesen Zustand noch verschärft, trotzdem wird munter weiterproduziert. Wie reagiert „Ecoalf“ auf diesen Umstand?
60% der produzierten Order gehen in den Großhandel. Als der erste Lockdown im März 2020 startete, waren die Orders schon geschrieben. Da hatten wir Glück. Die restlichen 40% teilen sich auf unsere eigenen Shops und e-commerce auf. Letzteres erlebte einen Boom, hier hatten wir zu wenig Ware und somit Lieferschwierigkeiten. Für die folgende Kollektion – weitere Lockdowns ins Auge fassend – produzierten wir 20% weniger als die ursprünglichen Orders ausmachten, der Rückgang betrug allerdings nur 7,5%, was uns wiederum in Lieferschwierigkeiten versetzte. Wir lösten das Problem mit Waren aus unseren eigenen Geschäften.

Wie kann es uns gelingen, Länder wie China (Xintang 260 Mio. Ausstoß an Jeans/Jahr) oder Indien, die größten Textilproduzenten der Welt zu verantwortlichem und nachhaltigem Handeln zu bewegen – dort gibt es zusätzlich noch das Problem der Ausbeutung von Arbeitskräften (speziell Frauen und Kinder)?
Das hat vor allem mit Bildung zu tun – die ist grundsätzlich die Basis für jedes verantwortliche Handeln. Die einzige Möglichkeit ist es weniger zu konsumieren, sprich weniger zu kaufen. „Ecoalf“ macht auch nicht bei „Black Friday“ mit. 60% dessen, was letztes Jahr an diesem Tag im spanischen Handel gekauft wurde, ging wieder retour. Die Menschen kaufen ohne Gewissen, nicht weil sie etwas brauchen. Hier handelt es sich um eine Art von Sucht. Auch die Ausbeutung der Textil­arbeiterInnen ist menschen­un­wür­dig. Jedem, der ein T-Shirt kauft, dass aus Fernost kommt und fünf Euro kostet, muss bewusst sein, dass das unter zweifelhaften human-ökologischen Umständen ­erzeugt wurde.

Hast du den Eindruck erlangt, dass die Menschen ihre Einstellung zum Thema Nachhaltigkeit während der Pandemie verändert haben?
Ja das glaube ich schon. Ich denke, viele Menschen haben während der Pandemie erkannt, dass sich die Natur in der Zeit des Stillstandes erholen konnte. In Spanien beispielweise sahen wir Delfine in den Häfen, was beweist, dass es einen positiven Effekt hat, wenn wir dem Planeten eine Verschnaufpause gönnen oder ihn grundsätzlich nicht ans Limit treiben. Was ich nicht weiß, ist, wie lange dieses Be­wusst­sein anhalten wird. Die Pandemie hat uns eine Gelegenheit gegeben, unseren Lebensstil und unsere Geschäftsmodelle zu re-definieren – mal sehen, was wir daraus machen.

Wer ist deiner Meinung dafür in die Verantwortung zu nehmen?
Wir alle sind dafür verantwortlich. Die Unternehmen, die Politik, aber auch die einzelnen Menschen, also die Konsumenten. Designs sollten sich zeitloser gestalten. Wir sollten uns mehr auf Qualität als auf Quantität besinnen.