AKUT

NUNU KALLER- Künstliche Empathie

Christian Jandrisits

Nunu Kaller ist Buchautorin, Konsumforscherin, Aktivistin, Bloggerin und Kolumnistin. Ihre Themen reichen von Umweltschutz bis Sozialhygiene, wo sie auch umfassende Expertise mitbringt. Ach ja: Humor kann sie auch sehr gut. Hier ihre Kolumne aus der SOMMEREDITION vom WIENER (455)!

Ich sage es dir, ChatGPT wird die Welt verändern. Wir werden viel friedlicher werden. ChatGPT ist nämlich total besonnen!“ Bitte wie bitte? Der Freund, der mir da gegenüber saß und dies von sich gab, war noch nicht einmal betrunken! Wie kam der da drauf? Ich bin ja persönlich nicht rasend optimistisch, dass wir aus der ­immer ärger werdenden ­Debatten-Un-Kultur wieder ­raus­kommen, solange man sich auf Twitter beflegelt, nur um die meisten Herzerl zu bekommen. Wie kam der also bitte auf ­„besonnen“?!   

Nunu Kaller

Musste ich selbst testen. Aber wie? Ganz einfach, ich fragte ChatGPT nach den heiß umstrittenen Themen unserer Zeit. Meine erste Frage war: Erreichen KlimaaktivistInnen ihr Ziel, indem sie sich auf der Straße festkleben? Die Antwort: „Obwohl das Klimakleben als Protesttaktik die Aufmerksamkeit auf die Klimakrise lenken kann, ist es wichtig, dass diese Aktionen gewaltfrei, verantwortungsbewusst und in Übereinstimmung mit den Gesetzen und Vorschriften durchgeführt werden.“ Ja. Ok. Klingt schon mal nach besonnen. Oder nach bissl weltfremder Religionslehrerin, die mit erhobenem Finger vor der Klasse steht. Was weder die Religionslehrerin noch ChatGPT in die Rechnung einfließen lassen, sind Emotionen. Entweder man liebt sie, oder man hasst sie, die Klimakleber. Aber eine emotional aufgeladene ­Meinung zu ihnen hat man. Ich für meinen Teil sehe Vor- und Nachteile in den Aktionen, aber als „besonnen“ kann auch ich mich bei aller Liebe in Bezug auf das Thema nicht bezeichnen. 

»Ok. Klingt schon mal nach besonnen. Oder nach bissl weltfremder Religionslehrerin, die mit erhobenem Finger vor der Klasse steht.«

Nunu Kaller

Gut, weitere Frage, eine, die wohl momentan gerade in den Sozialen Medien heiß umstritten ist: Was ist eine Frau? Nach der Erklärung – zuerst biologisch (adult human female), dann zum sozialen Konstrukt – schreibt ChatGPT: „Es ist wichtig, die individuellen Erfahrungen und Identitäten von Menschen zu respektieren und zu akzeptieren. Das Verständnis von Geschlecht und Geschlechtsidentität entwickelt sich im Laufe der Zeit weiter, und es ist wichtig, sensibel, inklusiv und respektvoll gegenüber den verschiedenen Geschlechteridentitäten zu sein, die existieren können.“ Langsam kam ich der Sache auf die Schliche: ChatGPT darf nicht polarisierend sein, sondern muss es allen recht machen. Erinnert mich an einen sehr harmoniesüchtigen Bekannten von mir. Ihn auf eine Position festnageln zu wollen ist im Normalfall zirka so erfolgreich wie eine klatschnasse, schäumende Seife zu fest anzugreifen – Flutsch und weg ist sie. Nicht greifbar, bildlich gesprochen. 

Nunu Kaller

Ich habe mich vor ein paar Monaten auf Social Media ganz fürchterlich in die Nesseln gesetzt, als ich meinte, he, hallo Leute: Rechter und Linker extremer Aktivismus sind kommunizierende Gefäße! Je ärger die einen in die eine Richtung ausschlagen, desto heftiger gehen die anderen in die andere Richtung, wie ein Pendel, das immer mehr Schwung bekommt! Mehr hab ich nicht gebraucht, wie konnte ich nur unterstellen, dass linke AktivistInnen auch nur irgendwas mit jenen von rechts zu tun haben könnten! Mit Rechten hat man nix zu tun, mit Rechten redet man ja nicht einmal! Auch da zog ich also die künstliche Intelligenz in meinem Laptop zu Rate – und siehe da: Mir wurde zugestimmt! Die Flutschseifensoftware gab mir recht: „Obwohl sich ihre Ideologien unterscheiden, können rechter und linker Extremismus in gewisser Weise aufeinander reagieren und gegenseitig verstärken. Zum Beispiel kann eine Zunahme rechtsextremer Aktivitäten zu einer Gegenreaktion linksextremer Gruppen führen und umgekehrt. Es kann zu einer Spirale der Gewalt kommen, bei der sich extremistische Gruppen gegenseitig provozieren und radikalisieren.“ Ein recht unbesonnenes Gefühl des Rechthabens machte sich in mir breit, natürlich komplett substanzlos, da die künstliche Intelligenz derzeit noch mehrheitlich daneben liegt. Aber trotzdem, juhu! Mit ChatGPT auf in den Kampf gegen die Tastatur-Trolle! 

Gleich im nächsten Absatz war dann der erhobene Zeigefinger wieder da: „Extremismus beinhaltet oft Gewalt, Hass und die Ablehnung demokratischer Prinzipien, während politischer Diskurs und Aktivismus auf friedlichen Mitteln basieren sollten, um positive Veränderungen herbeizuführen.“ Das, was bei dem Freund von mir als „besonnen“ ankam, machte mich Frage um Frage unbesonnener: Dieses ständige Hinweisen auf Empathie, auf Respekt, auf Frieden und Gewaltlosigkeit zeigt, dass wir genau das anscheinend verlernt haben mit unserer nichtkünstlichen Intelligenz. Traurig, dass eine Software stets darauf hinweisen muss.