Film & Serie
RICKERL – Das ist alles komplett gaga!
Der österreichische Filmregisseur Adrian Goiginger hat einen ganz eigenen Stil entwickelt und erzählt auf der Kinoleinwand berührende Geschichten. Ab 19. Jänner 2024 ist in Österreich sein neues Movie „RICKERL“ zu sehen: mit Voodoo Jürgens in der Hauptrolle und viel Wiener Schmäh.
von Georg Biron
WIENER: Dein neuer Film heißt „Rickerl – Musik is höchstens a Hobby“. Worum geht es?
Adrian Goiginger: Mit Tiefgang und Wiener Schmäh erleben wir Erich „Rickerl“ Bohacek, der für ein bisschen Geld seine Lieder in Beisln zum Besten gibt und von der großen Karriere träumt. Gleichzeitig versucht er ein guter Vater für seinen Sohn zu sein, aber er tut sich schwer, eine Beziehung zu ihm aufzubauen, und ihm wird klar, dass er sein Leben grundlegend ändern muss. Zum ersten Mal ist Voodoo Jürgens in einer Hauptrolle zu sehen. Er hat eine große Natürlichkeit und ist immer authentisch. Ich bin schon lange ein Fan von Voodoo. Sein erstes Album hat mich sehr berührt. Wenn man die Musik hört, läuft im Kopfkino ein Film ab. „Rickerl – Musik is höchstens a Hobby“ ist eine Komödie mit viel Leidenschaft und eine melancholisch-humorvolle Liebeserklärung an das Wien der Beisln und Tschocherln.
WIENER: François Truffaut hat formuliert, was sein Credo beim Filmemachen ist: „Lass schöne Frauen schöne Dinge tun!“ Was ist dein Motto? Was fasziniert dich?
Goiginger: Ich will, dass die Grenzen zwischen Schauspiel und Menschsein verschwimmen. Ich wünsche mir, dass man sich als Zuseher fragt: Ist das jetzt echt oder ist das eine Dokumentation? Ich will, dass alles so authentisch wie möglich rüberkommt. Und es ist mir wurscht, ob das jetzt im Drogenmilieu spielt oder in den Wiener Beisln. Diese Echtheit ist der Anspruch, den ich an mich und an meine Schauspieler immer habe.
WIENER: Corona hat dem Kino sehr geschadet. Jetzt gehen die Leute wieder öfter ins Kino. Die Zahlen sind teilweise höher als vor Corona. Kino ist heute eine teure Marketingmaschinerie mit Zielgruppenforschung. Denkst du an die Marktgegebenheiten, wenn du einen Film planst? Oder ist dir das wurscht?
Goiginger: Es ist schwierig. Es gibt Filmemacher, die an die Zielgruppe denken. Aber ich bin ein anderer Typ. Wenn ich überlege, was könnte beim Publikum gut ankommen, dann ist die Gefahr da, dass ich mich zu sehr verbiege und ausrutsche. Ich will eine Geschichte erzählen. Und ich will Emotionen zeigen. Oder, wie bei „Rickerl“, gute Schmähs transportieren. Und dann habe ich die Hoffnung, dass sich das bei den Leuten rumspricht. Denn natürlich ist mir der Erfolg wichtig. Alles andere wäre gelogen. Ich will, dass die Leute zu meinen Filmen ins Kino gehen. Ich finde es traurig, wenn ein Kinofilm nur 1.000 Zuschauer hat.
WIENER: Diesbezüglich hast du dich ja bisher mit deinen Kinofilmen selbst sehr verwöhnt, weil es schöne Punktlandungen waren – mit guten Kritiken, Auszeichnungen und vollen Kinos …
Goiginger: Ich bin schon sehr dahinter und mische mich auch viel ein: was den Trailer betrifft, was den Starttermin betrifft, was die Kinotour betrifft. Meine Arbeit als Regisseur endet nicht, wenn der Film fertig ist. Ich sehe auch das ganze Marketing und die Verwertungsstrategie als meinen Job, bei dem ich gemeinsam mit dem Verleih alles in die Waagschale werfe.
Ich will eine Geschichte erzählen. Und ich will Emotionen zeigen. Oder, wie bei „Rickerl“, gute Schmähs transportieren. Und dann habe ich die Hoffnung, dass sich das bei den Leuten rumspricht.
Adrian Goiginger
WIENER: Es gibt heute viele Forderungen an die Kunst: was sie tun muss und nicht tun darf. Die Vertreter der Political Correctness scheinen bei Stalin in die Schule gegangen zu sein. Wie siehst du diesen ganzen Woke-Schas?
Goiginger: Ich bin ein erklärter Gegner. Das ist eine Form der Beschränkung, bei der nicht nur das Sprechen, sondern auch das Denken verboten werden soll. Und das ist genau das Gegenteil von dem, was wir in der Kunst machen sollten. Und ich finde dabei eines total absurd. In den 1950er, 60er Jahren war das Mainstream-Kino sehr prüde. Die Politiker haben versucht zu verbieten, dass es auf der Leinwand Nacktheit gibt, Drogen, Pazifismus, Systemkritik etc. Die Öffentlichkeit, allen voran die Künstler, haben dagegen angekämpft und schließlich gewonnen. Heute können die Politiker uns nicht mehr zensurieren. Stattdessen fangen die Leute an der Basis, darunter auch Künstler, damit an, sich gegenseitig radikal zu bevormunden und einzuschränken. Und sie sagen: Du darfst das und das und das nicht. Und man darf das nicht sagen und zeigen und so weiter. Und man darf sich nicht als Indianer verkleiden, weil das kulturelle Aneignung ist.
WIENER: Ja, das ist kompletter Bullshit.
Goiginger: Das ist alles komplett gaga! Die Kunst muss frei sein. Wie soll sie sonst die Menschen frei machen? Wir dürfen uns die Freiheit nicht aus der Hand reißen lassen, damit wir nicht nur in vorgefertigten Schablonen arbeiten dürfen. Bei uns in Österreich ist das alles ja noch okay. Aber wenn man schaut, was in Amerika abgeht, dort ist das alles viel viel ärger.
WIENER: Schwierig wird es, wenn die Gremien, die mit öffentlichen Geldern Kunst möglich machen sollen, die Projekte nach Woke-Kriterien beurteilen. Dann hätten wir nur mehr Transgender-Divers-Filme, in denen alle glücklich lachend mit dem Fahrrad fahren – und für alles andere wäre kein Geld mehr da.
Goiginger: Genau, das wäre arg. Aber es ist zum Glück noch nicht so. In Österreich ist immer alles ein bissel entspannter. Aber man muss weiterhin gegen die Zensur kämpfen. Gerade auch an den Akademien. Wie gesagt: Es kommt ja nicht von oben. Es kommt von unten. Es sind die 20-jährigen, die Stress machen. Das ist das Seltsame. Man hat mit diesem Thema bei Studenten an einer Uni in München, Berlin oder Wien mehr Probleme als in einem Fördergremium. Das ist ein bizarrer Trend.
WIENER: Das Geschichten-Erzählen ist generell sehr schwierig geworden. Die jüngere Generation ist oft nicht gewillt, zuzuhören oder einer Story zu folgen. Wie gehst du damit um?
Goiginger: Filme, die für die meisten Leute als Mainstream gelten, langweilen mich zu Tode. Ich glaube, man kann und muss es nicht allen recht machen. Das Publikum ist hybrid, und die Menschen, die sich meine Filme anschauen, erwarten sich nichts „Avatar“-artiges. Ich registriere, dass es in der jungen Generation eine kleine Gegenbewegung gibt. Und ich denke: Vielleicht lernen die, die jetzt nur eine kurze Aufmerksamkeitsspanne haben, mit 25 oder 30 andere Sachen zu schätzen? Das war bei mir nicht anders. Ich muss ehrlich sagen: Mit 15 hätte ich mir auch keinen Film von Akira Kurosawa anschauen wollen.
Woke kommt ja nicht von oben. Es kommt von unten. Es sind die 20-jährigen, die Stress machen. Ein bizarrer Trend.
Adrian Goiginger über Cancel Culture
WIENER: Was macht der Adrian Goiginger eigentlich, wenn er nicht gerade einen Film dreht oder sich nicht um einen bevorstehenden Kinostart kümmert?
Goiginger: Er ist bei seiner Familie. Die Familie ist sicher das Zeitintensivste. Ich gehe sehr viel sporteln mit meinen Kindern. Und so oft wie möglich gehe ich ins Kino. Außerdem bin ich ein leidenschaftlicher Fußballfan. SV Austria Salzburg – das violette Original aus der Mozartstadt. Eh klar. Ich würde sagen: Es ist eine Mischung aus Familie, Kultur und Sport.
INFO: Adrian Goiginger wurde 1991 in Salzburg geboren, wo er heute mit Frau (34) und zwei Kindern (6 und 4) lebt. Nach dem Studium an der Filmakademie Baden-Württemberg präsentierte er bei der Berlinale 2017 sehr erfolgreich seinen ersten abendfüllenden Kinofilm, „Die beste aller Welten“. 2022 folgte „Märzengrund“ (mit Verena Altenberger und Johannes Krisch, nach einem Theaterstück von Felix Mitterer). 2023 kam „Der Fuchs“ (mit Karl Markovics und Cornelius Obonya) in die Kinos.
Für den Österreichischen Filmpreis 2018 wurde Adrian Goiginger in neun Kategorien nominiert und erhielt Auszeichnungen in fünf Kategorien, darunter bester Spielfilm, beste Regie und bestes Drehbuch.
Sein neuer Film „Rickerl – Musik is höchstens a Hobby“ (mit Voodoo Jürgens in der Hauptrolle) startet am 19. Jänner 2024 in Österreich und am 1. Februar in Deutschland.