Film & Serie

The Sopranos – 25 Jahre TV-Geschichte

Am 10. Jänner 1999 ging in den USA die erste Staffel von „The Sopranos“ auf Sendung. Und krempelte damit nicht nur das Genre der mehrteiligen Seifenoper zu dem um, was wir heute unter Serie verstehen, sondern lieferte den Grundstein für Binge-Watching und Streaming, also Netflix und Co.

von Franz J. Sauer

Ein Mann anfang 40, geschäftlich erfolgreich, gut situiert, mehr oder minder glücklich verheiratet und Vater zweier Kinder, lebt in einer stattlichen Villa in North Caldwell, New Jersey und schlittert, wie viele seiner Altersgenossen, mit Vollgas in die Midlife Crisis.

Glücklich sind immer nur die anderen, die Werte seiner Kinder weichen von denen, die er von seinen Eltern übermittelt bekam, ziemlich ab und seinen Weggefährten auf der Arbeit kann er auch nicht mehr so recht trauen, auch wenn sie ihm, ihrem Boss, stets eindrucksvoll ihre Treue schwören. Sieht nur er die Welt schwarz? Oder geht wirklich alles den Bach hinunter?

Irgendwann kippt er beim Gartenfest am Griller um. Einfach so. Zack. Panikattacke, Stress, Burn Out wird ihm daraufhin im Krankenhaus attestiert. Und sein Nachbar, ein Arzt, empfiehlt ihm eine befreundete Psychologin, mit der er widerwillig, aber doch eine Therapie beginnt. Die zwar nicht von der Krankenkassa, aber immerhin von der Gewerkschaft bezahlt wird.

So weit, so unspektakulär? Wäre das alles auch. Wäre Tony Soprano, um den es hier geht, nicht acting Boss einer der fünf New Yorker Mafia-Familien. Und schon ist das gut gewürzte Setup einer der erfolgreichsten und – nach der Pate-Trilogie auch bekanntesten – fiktionalen Mafia-Sagas der Film- und Fernsehgeschichte fertig.

David Chase und die schlechte Idee.

Als David Chase, damals weithin unbekannter Drehbuchautor aus New York und seit ein paar Folgen, die er für „Detektiv Rockford“ schrieb gut im Geschäft, entwickelte erstmals 1993 die Story eines Mob-Boss, der zum Psychiater geht, als Film-Plot. Aber schon 1995, als er die Idee (die viele autobiographische Elemente von ihm, David Chase, selbst enthielt, von der Mafia-Connection abgesehen, aber auch die Sopranos-Familie hatte reale Vorbilder) mit dem Produzenten Brad Grey besprach, wurde klar, dass sich das vielschichtige Thema des depressiven Mannes mit den zwei Familien (seiner eigenen und der „ehrenwerten“) besser als Serie ausrollen ließ.

Damals, in der Hochzeit von „Ally McBeal“, „Frazier“, oder „Friends“ und „Sex and the City“ bekundete man allerdings seitens der öffentlichen Sender kein Interesse an „Mafia-Geschichten.“ Also wandten sich Chase und Grey an den Kabelkanal HBO, dessen Abo-Geschäftsmodell jenem von Netflix Jahre später schon damals ähnelte.

Der Pilotfilm wurde 1997 gedreht, im Winter des selben Jahres gab HBO 12 Folgen einer ersten Staffel in Auftrag. Am 10. Jänner 1999 war es schließlich so weit. Der Pilotfilm, umgemodelt in die erste Folge der ersten Staffel, lief im Fernsehen. Und eine Ära hatte begonnen.

Ein Mann geht zum Psychiater

Als wir ins Leben der Sopranos einsteigen, leidet der Acting Boss der „DiMeo“-Mafia-Familie, Jackie Aprile, an Magenkrebs im Endstadium, das Rennen um dessen Nachfolge scheint vorab entschieden: Tony Soprano gilt als einflußreichster Mann der Familie, obwohl sein Onkel Corrado „Junior“ Soprano eigentlich ältere Rechte hätte.

Als Jackie stirbt, wird er daher offiziell Boss der Familie, die „Geschäfte“ führt allerdings Tony. Er erbt damit nicht nur die Honorationen und den Verdienst, sondern auch alle Probleme, die mit einer derartigen Position einhergehen.

Jede Entscheidung hat weitreichende Folgen in alle Lebensbereiche der „Familie“, jede falsche solche umso mehr. Und Tony leidet unter dieser Bürde, weshalb er Hilfe bei der ebenfalls italienisch-stämmigen Psychiaterin Jennifer Melfi sucht. Ein durchaus riskantes Unterfangen: Schließlich können ihm seine Depressionen einerseits als Schwäche ausgelegt werden, andererseits gilt es in Mafiakreisen bekanntlich als verpönt, mit irgendjemandem ausserhalb der Familie „zu reden.“

Das explosive Element des Plots ist damit aufgesetzt, sechseinhalb Staffeln hindurch werden die Termine Tonys bei Dr. Melfi sozusagen zur Rahmenhandlung der Geschichte.

Tolles Drehbuch, noch besseres Casting

Vielleicht entwickelte sich der Plot der Sopranos derart eingängig, weil Chase viele höchstpersönliche Erlebnisse darin verarbeitete. Er selbst hatte Depressionen und ging zum Psychiater, er selbst litt unter der „larger-than-life“-Personality einer dominanten Mutter, und er selbst stammte aus North Caldwell, wo auch Tony daheim ist.

Mit jener unfassbaren Menge Leben, welche die Serie letztlich legendär machte, wurde die feine Drehbuch-Basis allerdings von einem exzellenten Cast erfüllt, eklektisch ausgesucht von der Casting-Direktorin Georgianne Walken, der Ehefrau von Schauspieler Christopher Walken.

Tony Sirico, der mit Paulie Walnuts Gualtieri einen der engesten Weggefährten Tonys von der ersten bis zur letzten Folge darstellt, hatte selbst eine Gangster-Vergangenheit aus New York,

Edie Falco war das krasse Gegenteil der billigen New Yorker Soccer-Mum Carmela Soprano mit ihren Klunkern und der auftoupierter Frisur, was ihrer Rolle viel Spielfreude brachte. In der Rolle ihre „Gegenspielerin“, jener von Tonys Psychiaterin Jennifer Melfi, einer smarten, gut gekleideten und ausgebildeten Business-Lady, brillierte Lorraine Bracco.

Dominic Chianese, der schon im Paten mitspielte (Ausgabe 2, in der Rolle des Johnny Ola), lieferte mit seiner Darstellung des kauzigen Onkel Junior manche der besten Sager in der ganzen Serie, Aida Turturro ging als durchgeknallte und mindestens so durchtrieben wie all die Mafia-Jungs auftrende Schwester des Hauses, Janice Soprano mit unglaublicher Bildschirm-Präsenz ab Sekunde eins schwer auf die Nerven.

Steven Van Zandt, hauptberuflich Gitarrist von Bruce Springsteens E-Street-Band, lieferte mit der ebenfalls von Anfang bis Ende durchdeklinierten Rolle des „Consigliere“ Silvio Dante einen Quereinstieg ins Darsteller-Business, aber was für einen. Und die Soprano Kinder Meadow und Anthony jr. (Jamie-Lynn Sigler und Robert Iler) sahen wir im Laufe der Staffeln heranwachsen.

Abseits des fixen Cast gaben sich honorige Gast-Darsteller (Steve Buschemi, Joe Pantogliano, Peter Bogdanovic, Frankie Valli, und einige mehr) die Studio-Klinke in die Hand. Und auch Show-Erfinder David Chase gestattete sich den einen oder anderen Cameo-Auftritt im Laufe der Jahre.

Tony Soprano / James Gandolfini (© HBO / Craig Blankenham)

James Gandolfini ist Tony Soprano

Für die Hauptrolle des Tony Soprano fiel die Wahl von David Chase und den anderen Machern der Serie auf den in Hollywood mittelmäßig bekannten, doch schon aus Streifen wie „Get Shorty“ oder „True Romance“ (wo er einen Mobster darstellte) bekannten Schauspieler James Gandolfini. Selten verschmolzen Rolle und Schauspieler so sehr zu einer Entität wie bei Gandolfinis Darstellung von Tony Soprano.

Gerade weil Gandolfini, von allen anderen Schauspielern als extrem feinfühlig und rücksichtsvoll beschrieben, zeitweise schwere Gewissensbisse und Probleme damit hatte, den brutalen Lifestyle von Soprano wiederzugeben, gab er der Rolle jenen einzigartigen Antihero-Spin, der sie so einpräsam und unvergesslich machte. Obwohl das Ende von Tony Soprano im preisgekrönten und oftdiskutierten Serien-Finale „Made in America“ mehr oder minder offen gelassen wurde, war spätestens am August 2013 klar, dass es für die Sopranos keine Fortsetzung geben können würde: In diesem Sommer starb James Gandolfini bloß 51jährig an einem Herzinfarkt in Rom (hier eine Art Nachruf, sensibel verfasst von Thomas Glavinic).

Die Soprano-Family: Trainingsanzug statt Maßanzug

Voll von Zitaten, Seitenhieben und versteckten Hinweisen, aber auch gespickt mit einer gehörigen Portion unfreiwilligem Humor zeichnet sich der Drehbuch-Plot der Serie von Anfang bis Ende vor allem durch eine gewisse, manchmal zu plakativ unterstrichene Authentizität aus. Während im Paten jeder Mafia-Gangster Stil und Style zu haben scheint und auch in vielen anderen Streifen des Genres (etwa den Scorsese-Meisterwerken „Casino“ und „Goodfellas“) den eiskalten Gangstern durch ein gewisses Auftreten menschliches Gewicht injiziert wird, stellen die Sopranos-Protagonisten relativ unverblümt jene zwar witzig-sympathischen, aber letztlich doch eiskalten und einfältigen Prolo-Gauner dar, deren Wesen vermutlich mehr der echten Mobster-Welt entspricht.

So werden die Pate-Streifen gern, oft, aber zumeist auch herrlich falsch zitiert, Lifegoals wie „to become made“ oder endlich auch in der Zeitung als Mafia-Mann genannt werden zelebriert und genüsslich überzeichnet, hinterhältige und bisweilen Unschuldige treffende Mordaufträge werden ebenso unbeschönigt dargestellt, wie manifeste Charakterschwächen, die einem Leute wie Paulie, Pussy, Carmella oder auch Tony rechtschaffen unsympathisch machen könnten. Wie bei allen guten Serien-Plots wähnt man sich jedenfalls bald selbst als Familienmitglied und leidet dementsprechend mit den Protagonisten der erweiterten Familie mit.

Die Mutter aller Serien.

Traten TV-Serien bis dahin entweder als Krimis nach dem Strickmuster von Columbo, oder als amüsante Seifenopern a la „Dallas“ und „Denver-Clan“, oder aber a la „Tool Time“, wo zwischen zwei Witzchen höchstens eine halbe Minute vergehen durfte (unterlegt von Konserven-Gelächter), auf, so lieferten Die Sopranos (gemeinsam mit der ebenfalls hochgelobten HBO-Crime-Serie „The Wire“, die ungefähr zur gleichen Zeit airte) die Blaupause für eine neue Generation von Serien-Plots, die in Hits wie „Breaking Bad„, „Mad Men„, „Californication“ oder „Better Caul Saul“ ihre Weiterführung fanden. Matthew Weiner und Scott Hornbacher etwa, die Macher von „Mad Men“, waren zuvor als Autoren und Executive Producers für die Sopranos tätig gewesen. Auch viele weitere Showrunner benennen die Arbeit von David Chase wenn nicht als direktes Vorbild, so zumindest als große Inspiration.

Gabagool zum Geburtstag.

Auch nach dem Ende der Serie wollte der Spirit nicht verstummen, was in interessanten Sequels abseits der TV-Screens evolvierte. Der Kinofilm „The Many Saints of Newark„, der 2022 ein Prequel zur Soprano-Geschichte lieferte und ebenfalls von David Chase mit Kapazundern wie Ray Liotta verfilmt wurde, ließ Nicht-Kenner der Serie wohl eher ratlos zurück, während er Kenner ob der eher platten Zitate eher enttäuschte.

Passend zur Pandemie lieferten die Hauptdarsteller Michael Imperioli (Christopher Moltisanti) und Steven Schirripa (Bobby Bacala) mit „Talking Sopranos“ einen hochgelobten Podcast, in dem nicht nur alle 86 Folgen der Serie nochmal durchgegangen und mit Trivia und Stories vomn Set gespickt wurden, sondern in denen auch zahlreiche andere Darsteller der Serie umfassend zu Wort kamen.

Zahlreiche Facebook– und Instagram-Gruppen widmen sich der Story der Sopranos, Fans liefern in Sekundenschnelle zu den dort geposteten Bildern die richtigen Zitate oder umgekehrt. Und schließlich fanden auch verwurtagelte Begrifflichkeiten aus dem italo-US-amerikanischen Sprachgewäsch der Protagonisten in den Sprachgebrauch von echten Kennern: So heißt bei uns daheim die gern gegessene Wurstspezialität „Capocollo“ ausschließlich und nurmehr „Gabagool“ – Ehrensache.

Happy Birthday, The Sopranos!