Film & Serie

The Man in the High Castle – Alternative Fakten

Was wäre, wenn … die Nazis den Krieg gewonnen hätten? Ein philosophisch höchst spannendes Thema, das schon oft gewälzt wurde, aber noch nie so ausführlich wie in der 40 Folgen umfassenden Eigenproduktion der Amazon Studios. Dystopische Sci-Fi der Extraklasse!

Text: Markus Höller / Foto: Amazon.com Inc.

Grundsätzlich kann man immer davon ausgehen, dass die filmische Umsetzung einer Geschichte von Ausnahmeautor Philip K. Dick gut gelingt und Kultstatus erreicht. Schlag nach bei „Blade Runner“, „Minority Report“, ­„Total Recall“ oder „A Scanner Darkly“. Mit der Big-Budget-Inszenierung des Romans „The Man in the High Castle“ als Serie ­beschritten die Amazon-Studios jedoch 2015 einen völlig neuen Pfad nicht ganz ohne Risiko. Würde ein Taschenbuch als Vorlage – anders als für einen Kinofilm – auch ausreichend Substanz für knapp 40 Stunden Streaming liefern?
Nun, am Serienende nach vier Staffeln sieht die Bilanz sehr gut aus: zahlreiche Nominierungen und Preise, begeisterte Kritiker und, was die Zuschauerzahlen betrifft, eine der erfolgreichsten Serien aus dem Stall von Jeff Bezos.

Das Setting ist denkbar simpel: Nach einem erfolgreichen ­Attentat auf Franklin D. Roosevelt und der Entwicklung der Atombombe zwingt 1946 Nazi-Deutsch­land die Alliierten in die Knie. Als einzige Atommacht beherrscht es gemeinsam mit Bündnispartner Japan praktisch den gesamten Planeten. Die USA sind ein durch einen neutralen Streifen getrenntes Protektorat der beiden Siegermächte und in den 60er-Jahren Schauplatz der Serie. Das Bündnis zwischen den USA und Japan ist brüchig. Es gibt trotz gnadenloser Über­wachung und ethnischer wie ­politischer Säuberungen kleine Widerstandsnester, die durch das vereinzelte Auftauchen von Kurzfilmen Rückenwind bekommen. Diese Kurzfilme, in Umlauf gebracht von dem mysteriösen Man in the High Castle, zeigen eine alternative Realität, wie wir sie kennen: Die Nazis haben verloren, freie Länder prosperieren in den Wirtschaftswunderjahren. Kein Wunder, dass sowohl Nazis als auch der kaiserliche japanische Geheimdienst dies unter­binden wollen, jedoch nicht ohne sich dabei in die Quere zu kommen und das ohnehin von Misstrauen geprägte Verhältnis noch mehr zu belasten …

Über vier Staffeln mit teils unerträglich spannenden Cliffhangern entspinnt sich eine Geschichte, die sich von einem dystopischen Historiendrama hin zu einer Sci-Fi-Charakterstudie entwickelt, zwischendurch auch immer wieder durchsetzt mit ­Action und romantischen Verwicklungen der tragischen Art. Die durchwegs hervorragenden Schauspieler, ganz besonders Rufus Sewell als SS-Obermotz und Cary-Hiroyuki Tagawa als weiser japanischer Handelsminister, verleihen der Serie Gravitas. Jedoch ist es vor allem das penible Produktionsdesign, das den Zuseher abwechselnd staunen und schaudern lässt. Das mit brutalistischer Albert-Speer-Architektur verfremdete New York, die vollendete Reichshauptstadt ­Berlin oder martialische Überschall-Passagierjets etwa. Die immer wieder angedeuteten ­unsagbaren Verbrechen an der Menschheit. Und letztendlich die omnipräsenten Uniformen, Insignien und gnadenlosen Repressa­lien im Zeichen von Hakenkreuz oder roter Sonne. Diese erschreckend plastische Darstellung einer Parallelwelt regt zum Nachdenken und zu Dankbarkeit an, dass es nicht so gekommen ist.

The Man in the High Castle by Frank Spotnitz. Mit Alexa Davalos, Rufus Sewell; 4 Staffeln; Amazon.