Stermann: Nix zu lachen

WIENER-Kolumnist Dirk Stermann freundet sich in Kärnten mit einem seltsamen Mann an, der auf Volksmusik-Witze höchst rabiat reagiert.

Wieviele Volksmusiker passen in eine Telefonzelle? Alle. Der Komiker aus Kärnten schlug sich auf die Klagenfurter Schenkel und war zufrieden. Viele positive Reaktionen hatte er bislang noch nicht vom Publikum bekommen, aber mein Nachbar strahlte übers ganze Gesicht. „Der Applaus ist der Brot des Künstlers“, rief der Kärntner. „Dann werden Sie verhungern“, sagte mein Sitznachbar breit grinsend. „Jetzt klatschen Sie schon“, bat der Kärntner. „Sie lachen doch, also hat’s Ihnen gefallen!“ „Nein“, blieb mein Nachbar stur. „Jetzt klatsch schon, du Arschloch. Bliarz, deixl eini!“

„Nein. Der Witz war uralt und beschissen!“ Der Kärntner begann zu schäumen. „Du Togga! Kochl, ochter! Du Nauga, kriagst glei a Tochtl!“ Er holte aus, um meinem Nachbar eine Ohrfeige zu verpassen, aber der stand blitzschnell auf und rammte dem Komiker ein Knie in den Bauch. Der Komiker sackte zusammen, und die Grinsekatze verließ den Raum. Ich war beeindruckt. Noch nie zuvor hatte ich jemanden so grinsen sehen und noch nie zuvor hatte ich so viele Kärntner Schimpfwörter gehört. Außerdem gefiel mir der Witz. Ich folgte meinem Sitznachbarn und wurde zu seinem Gehnachbarn.

„Hat Ihnen wohl wirklich nicht gefallen, der Witz“, sagte ich eher rhetorisch, um mit ihm ins Gespräch zu kommen. „Naja, Humor ist Geschmackssache, was?“ Er schaute mich an und hob sein Knie, als wär ich der Nächste. Mit ihm schien nicht gut Kirschenessen. „Naja, ich versteh den Komiker. Ich mein, ich saß ja neben Ihnen und Sie haben ja wirklich gegrinst. Sie grinsen ja immer noch. Da muss man ja wohl den Eindruck kriegen, dass Ihnen der Witz…“ – „Nein!“ Er unterbrach mich schroff. „Der Witz hat mir nicht gefallen. Gar nicht. Und ich grinse auch nicht. Ich bin einer der lachenden Männer. Menschen, denen man als Kind den Mund bis zu den Ohren aufgeschnitten hat.“

Ich war überrascht. „Lachende Männer? Wer sollte denn Kindermünder aufschneiden?“ „Comprachicos“, sagte er angwidert. „Ein mysteriöser, spanischer Geheimbund. Sie entführen in ganz Europa seit dem Mittelalter Kinder und verwandeln sie mit Hilfe ausgeklügelter Chirurgie in Freaks. Früher wurden die Kinder dann an die europäischen Höfe verkauft, heute an irgendwelche gelangweilten Reichen. Ich bin mit 18 als lachender Mann an einen reichen Volksmusiker verkauft worden. Deshalb kann ich über Volksmusikwitze nicht lachen.“ – „Versteh ich“, sagte ich, ohne das Ganze zu verstehen. „Das klingt ja nicht schön und ganz schön schmerzhaft. Den Mund aufschneiden, naja, nicht gerade die feine englische Art.“

„Kommt drauf an, womit man’s vergleicht“, sagte er plötzlich vergnügt. „Ich hab’s eigentlich noch ganz gut erwischt im Vergleich zu den Topfkindern aus China. Die Chinesen stecken Neugeborene in niedere, runde, seltsam gebauchte Töpfe. Die wachsweichen Glieder der Babys dehnen sich und breiten sich aus in diesem Raum, der ihnen gelassen ist. Ist das Wesen dann 8 oder 10 Jahre alt, dann zerschlägt man diesen Topf und eine unbeschreibliche, vasenförmige, krummbeinige, gestaltlose Masse ist da. Eine lebende Masse. Ein Bonsaimensch.“

Der Kärntner kam angerannt. „Wie finden Sie den? In meiner Wohnung ist es so kalt, ich verwende statt Deo Frostschutzmittel!“ Das Knie befand sich schon nach dem Wort Deo in des Komikers Bauch. Das „Frostschutzmittel“ war geröchelt. Der lachende Mann schüttelte den Kopf und ging. Ich blieb stehen und half dem stöhnenden Kärntner auf. „Spinnt der?“ röchelte der Klagenfurter. „Nein. Aber er hat nicht viel zu lachen“, sagte ich.