Schottenbergs Ringen um Balance

Als Volkstheater-Direktor muss Michael Schottenberg den Spagat zwischen Volksnähe, Provokation und engen Budgetvorgaben schaffen. Im WIENER-Interview spricht er über Neue Medien, Bildung und die Konkurrenz zu Kino und Burgtheater.

Wen erreichen Sie mit dem Theater heute noch angesichts der Konkurrenz durch Fernsehen, Internet und sonstiger medialer Dauerberieselung?
Es ist schwieriger geworden, junge Menschen zu erreichen – die Konkurrenz durch die neuen, geilen Medien ist groß. Prinzipiell kann man bei einem Menschen Lernfähigkeit voraussetzen, ein Trieb, den man enttäuschen oder fördern kann. Aber wie weckt man das Interesse? Die Kriterien heute sind andere als vor 100 oder 150 Jahren. Je greller die Angebote anderer Medien sind, desto kräftiger wirkt das Entschleunigungspotential des Theaters. Die Bedächtigkeit, die zunächst als Nachteil empfunden wird, wird zu seiner Stärke, sie lässt den Atem anhalten, die Gedanken durchlüften. Die schnellen Medien bieten Erstbefriedigung. Theater aber hat einen speziellen, kostbaren Wert. Menschen brauchen die Handschriftlichkeit eines solchen Mediums.

Und zwar Menschen jeden Alters?
Ja, jeden Alters. Es beginnt bei den ganz Jungen. Wir haben sehr viele junge Zuseher. Das hängt mit der Bandbreite und mit der Vielfarbigkeit unseres Angebots zusammen. Der Appetit auf unser Haus kommt auch durch regelmäßige Veranstaltungen wie Diskussionen, Kabarett, Konzerte oder Clubbings.

Aber an den grundlegenden Themen des Theaters hat sich doch nichts geändert?
Wir leben in einer Zeit, wo Zwischenüberschriften fettgedruckt sind. Der Artikel wird dann meist nicht mehr gelesen. Man informiert sich innerhalb weniger Sekunden, nimmt vier Worte auf – es ist eine hastige Befriedigung. Theater aber ist dazu da, den ganzen Artikel lesen zu lassen.

Trotzdem muss auch das Theater zunächst die Aufmerksamkeit des Publikums erregen, also in gewisser Weise marktschreierisch sein.
Das ist dem Medium implizit. Es muss vorlaut und frech sein. Deswegen unterscheidet sich unser Haus ja auch von anderen Theatern. Theater ist ein politisches Medium.

Was soll der Zuschauer im Theater: Nachdenken, sich unterhalten, etwas zum Diskutieren finden?
All das, ja. Deshalb haben wir die Rote Bar erfunden, ein Raum, in dem man sich nach der Vorstellung so vieles von der Seele quatschen kann, gemeinsam mit den Schauspielern, indem man ein Glas Wein trinkt, einer Diskussion über das soeben Gesehene beiwohnt oder einfach nur gute Musik hören kann. Wir sind keine Missionare. Aber wir können die Welt zur Diskussion stellen, hinterfragen. Das ist schon sehr viel.

Und mit welchen Stücken kann man mehr hinterfragen als mit anderen?
Mit allen Stücken, die berühren, deren Geschichten emotional funktionieren. Das kann ein Brecht genauso sein wie ein Nestroy oder, wie jetzt, „Harold und Maude“.

Harold und Maude ist auch als Film bekannt – welchen Einfluss hat das Kino auf das Theater?
Es erfordert von uns eine noch größere Qualität, Kino ist unser direkter Konkurrent um die Gunst des Publikums. Zu uns kommen ja nur die besten Filme, etwa ein Lars von Trier, ein Woody Allen, ein Scorsese … die großen Meister eben. Mit ihnen müssen wir uns messen. Und: Eine Kinokarte kostet zwölf Euro, bei uns muss man tiefer in den Säckel greifen, wir sind ein teureres Endverbrauchermedium. Theater müsste ungleich höher subventioniert sein, um billigere Karten am Markt zu haben. Bei uns kostet die teuerste Karte 43 Euro, im Gartenbau-Kino sieht man den neuesten Woody Allen um 12 Euro.

 

Info

THEATERMACHER UNTER DEM STERN. Seit 2005 ist Michael Schottenberg (geboren 1952) künstlerischer Direktor des Volkstheaters, der zweitgrößten Sprechbühne Wiens nach dem Burgtheater. Selbst ein ambitionierter Regisseur – etwa von Nestroy-Stücken – muss er hier das Kunststück schaffen, mit vergleichsweise wenig Subvention viel Publikum und viel Qualität gleich-zeitig zu erreichen. Web: www.volkstheater.at