Literatur: Kauft Leute von Jan Kossdorf

Bei „Hümania“ hat die freie Marktwirtschaft ihre letzte Bastion erobert: Der Mensch als Ware. Eine Buchempfehlung.

Es ist das Wesen einer so überragenden Idee, dass sie die Leute überfordert, oder sie empört. Etwas ist an ihr, das bei den Menschen den Reflex auslöst, sie verhindern zu wollen. Die wahrhaft geniale Idee ist eine Bedrohung, ein Sprengstoff, ein Tritt in die Genitalien. Ich behaupte: Je mehr Leute sich gegen deine Idee stellen, umso größer ist der Wurf, der dir gelungen ist Wir haben die größte Idee aller Zeiten geboren!“ („Kauft Leute“, 249).

Die letzte Bastion des freien Marktes: der Mensch als Ware.

Flaniert man durch den Eingangsbereich des „Hümania“-Großmarkts, der soeben mit großem medialem Echo seine Pforten an den äußeren Rändern Wiens öffnete, hat man den Eindruck, es mit einem brandneuen, aber nicht ungewöhnlichen Shoppingtempel zu tun zu haben. Die Eröffnung ist ein Großevent mit Führungen und Musik, mit Unterhaltung, Verlosungen, Gratis T-Shirts und Bier – und vor lauter Menschenzulauf kann man nicht einmal die Rolltreppe benutzen, ohne beinahe umgerempelt zu werden.

Der einzige Unterschied: hier werden keine Möbel verkauft, keine Schlafzimmer oder Bauutensilien – bei Hümania hat die freie Marktwirtschaft ihre letzte Bastion erobert, jene Bastion, die sonst nur in beklemmenden Zeitungsberichten über Schwarzmärkte und Verschleppungen verstören, die hier aber als neues Geschäftsmodell durchgeht: der Mensch als Ware.

Subjekte als Objekte.

Bei Hümania kann man durch verschiedene Menschenmodelle stöbern, „Helden“ werden die Verkaufsobjekte genannt. Egal ob Großvaterersatz, Arbeitskraft, Lebenspartner, Hausmädchen oder einfach was Schönes fürs Bett: bei der Heimfahrt sitzt am Rücksitz eine Person mehr. Die „Helden“ sind aus diversen Gründen finanziell gescheiterte Existenzen, denen Hümania als Deal anbietet, ihre Schulden zu übernehmen und sie in ein geregeltes Leben einzubinden. Die Konditionen, so die Geschäftsführung, seien human und für alle Seiten ideal: so müssen die Objekte pro Tag nur eine Stunde in den Schaufenstern der nach Themen getrennten Räumlichkeiten stehen und sich zur Schau stellen, und es wird ihnen ein Neustart ermöglicht. Jene Objekte, die man nach getätigtem Kauf entweder gleich mal auf einen anderen Namen taufen lässt oder sie gleich mal den eigenen Vorstellungen nach umstylen lässt.

Caro ist Ende Zwanzig, kommt aus dem Marketing und hat psychisch schwere Jahre hinter sich. Weil sie nach einer ausgedehnten Gaming-Sucht und der nachfolgenden Therapie irgendwie wieder Fuß fassen muss, landet sie bei Hümania. Auch wenn sie von Anfang an einen inneren Zwist, oft Abscheu empfindet: sie braucht den Job, die Rahmenbedingungen sind durchaus verlockend und: vielleicht lässt sich ja im bestehenden Rahmen etwas positives verändern, und wenn nicht verändern, so vielleicht immerhin modifizieren? So sehr Caro über ihre Vorgesetzten und Kollegen auch kotzen könnte, so sehr schafft sie es meist, sich damit zu arrangieren. Bei „Kauft Leute“ laufen mehrere Handlungsstränge parallel, die sich gegen Ende zu einem beklemmenden Ganzen ergeben: jene der „Helden“ und der Hümania-Angestellten, der Käufer und der Intriganten. Da wäre Christian, einer der „Helden“: ein finanziell gescheiterter Weltenbummler, den sein ehemaliger Geschäftspartner bei Hümania unterbrachte. Oder der „Commodore“, ein ehemaliger Historiker, durch einige Affären mit viel zu jungen Frauen beruflich wie finanziell in Ungnade gefallen. Wie auch immer ihre Lebensgeschichten sich voneinander unterscheiden, eines haben sie alle gemeinsam: die Abscheu gegenüber den Mechanismen der eigenen Versklavung.

Kapitalistisches Dystopia.

Dystopie hin oder her: beklemmend ist „Kauft Leute“ vor allem deshalb, weil die Mechanismen, der „Neusprech“, die Argumentationen und Rechtfertigungen einem so familiär sind. Jene Euphemismen und Anglizismen, die in Wirklichkeit nur Termini der Sklavenhalterei eingängiger und zugänglicher machen sollen – jene angebliche moralische Besorgnis um Optimierung von Details innerhalb des Rahmens, ohne diesen Rahmen jemals in Frage zu stellen. Wo Nachfrage, da auch Angebot und vice versa. Was generiert ist, ist generiert – und auch Selbstmorde im Schaufenster, Verstümmelungen, Verschleppungen und Perversionen richten da am Ende nur wenig dagegen an.

Die vorhin genannte Vertrautheit mit Mechanismen, sozialer wie marktwirtschaftlich-strategischer Natur, der Gedanke, dass man es über weite Strecken nur mit einem ganzen Stück weitergedachten bereits bestehenden Systemen zu tun hat: all das macht „Kauft Leute“ zu einem fesselnden und oft beklemmenden wie auch unterhaltendem Roman, den man vor der letzten Seite nur ungern aus der Hand gibt.

erschienen im Milena Verlag

251 Seiten, Hardcover
€ 21.90 / SFr 31.50
ISBN 978-3-85286-232-3