Der Wilde Westen: Wild Wild West

Der Cowboy heißt Monsieur Didier. Er ist Franzose, aber genauso lässig wie seine Kollegen über dem großen Teich. Und drei Tage auf dem Rücken unserer Pferde hinterlassen selbst im nicht ganz so wilden Frankreich das Gefühl, als hätten wir einen tierischen Treck absolviert.

Cowboyhut, Chaps, nahezu bodenlanger Mantel, den Kragen aufgestellt, natürlich. So steht er an den Stall-Toren seines Reiterhofs „Ecurie des 4 lacs“ und erwartet uns zum Ausritt. Er, das ist Didier Méjard, 52 – der Mann, der uns in den nächsten drei Tagen sagen wird, wo’s langgeht.

 

Es regnet in Strömen, aber auch das kann uns nicht entmutigen – zu groß ist unsere Abenteuerlust. Didier ist gut ausgerüstet und versorgt jeden von uns mit einem Regen-Cape, das vor Nässe und Kälte und den vielen Gatsch-Spritzern schützen soll. Als einzige Österreicherin unter sieben Deutschen und als eine der eher Unerfahrenen der Gruppe, wird mir das älteste und bravste, laut Monsieur Didier aber auch das cleverste seiner Wanderpferde zugeteilt: Diego Maradona. „Klein, dick und läuft schnell.“ Monsieur Didier zeigt uns noch die wichtigsten Knoten zum Festbinden und sagt: „Meine Pferde sind keine Ferraris, sondern 4×4. Genau richtig für die Gegend hier.“ Steigbügel und Zügel sollen wir lang lassen, rät er. Letzteres, damit die Tiere sehen können, wohin sie steigen. Ersteres in unserem eigenen Interesse, wie ich am dritten Tag feststellen muss (weil ich offenbar gepatzt habe): Meine Knie schmerzen dermaßen, dass jedes Aufstehen zur Qual wird. Tag 1: Ausritt im Regen Der erste Ausritt führt uns über Wiesen, Waldwege, Forststraßen, vorbei an mehreren Seen und Wasserfällen. Gar nicht so einfach, sich am Pferd zu halten und gleichzeitig die Kamera für Schnappschüsse aus der Satteltasche zu kramen.

 

Einmal müssen wir eine steile Böschung hoch. Monsieur Didier treibt die Pferde nur durch Zurufen an, und sie folgen ihm. Zweige mit nassen Blättern schnalzen mir immer wieder ins Gesicht, so eng sind manche Pfade. Unter den Hufen schmatzt der Schlamm, ich sehe mich schon unter dem Pferd liegen. Die anfängliche Nervosität legt sich aber schnell, und ich fühle mich auf Diego wieder wohl. Etwa drei Stunden und 14 Kilometer später kehren wir zurück. Lange genug für den ersten Ausritt, denn Nässe und Kälte haben einen Weg unter das Regen-Cape gefunden. Dann heißt es Sattel und Zaumzeug runternehmen und die Pferde auf die Koppel lassen. Didier scherzt noch: „Wessen Pferd sich als erstes auf den Rücken schmeißt und kratzt, zahlt den Aperitif.“ Nicht irgendeinen, sondern den bekanntesten Aperitif des Jura, ein Macvin – ein mit Alkohol „auffrisierter“ Traubensaft, der durch die Lagerung im Holzfass eine cognacartige Note bekommt, den wir kurz danach in unserem Hotel verkosten, nicht ohne dass Monsieur Didier noch einen Trinkspruch in seiner Landessprache ausbringt: „Auf unsere Frauen, auf unsere Pferde und auf die, die sie besteigen!“ Dass er nur die Pferde meinen kann, daran zweifle ich angesichts des selbstbewussten Franzosen nicht einen Augenblick. Beim Abendessen verrät Monsieur Didier wie er Cowboy wurde: „Der Film Jeremiah Johnson mit Robert Redford hat mein Leben verändert. Ich wäre sonst Buchhalter geworden.“

 

Tag 2: Sieben Stunden hoch zu Ross Erleichtert blicke ich am nächsten Morgen aus dem Fenster, kein Regen! Auf zum Reiterhof: diesmal müssen wir die Pferde selbst satteln und aufzäumen. Damit habe ich keine Erfahrung. Aber gemeinsam geht’s, und wir brechen zu unserem längsten Tagesritt auf. Stolze sieben Stunden und 28 Kilometer sollten es auf dem Rücken der Pferde werden. Auch wenn Diego sein Pensionsalter mit 20 erreicht hat, ist er eigentlich noch immer flott unterwegs. Heute aber scheint er äußerst träge und trottet nur widerwillig vorwärts, wir bilden das Schlusslicht. Ist Diego ein Morgen-Muffel? „Diego ist wie ein Diesel“ sagt Monsieur Didier, „er braucht ein bisschen, bis er warm ist.“ Man merkt, wie stolz er auf seine Tiere ist: „Meine Pferde sind im Winter alle draußen auf der Koppel und sehr gesund. Ich habe kein einziges Pferd, das hustet.“ Der Weg führt uns durch den Wald und dichtes Gestrüpp, oft kreuzen wir den Fluss „Hérisson“. Wir reiten an der alten Bahnhofsstation „Verges“ vorbei. Übersetzt heißt das Penis. Ich muss schmunzeln, habe aber keine Zeit darüber nachzudenken. Auf einmal wird es stockdunkel. Wir reiten durch einen Tunnel. Zur Beruhigung der Pferde zündet Monsieur Didier ein Streichholz an und singt das alte Kriegslied „Lili Marleen“ von Marlene Dietrich – das einzige Lied, das er auf Deutsch kann. Auch mich beruhigt es, nachdem mein Pferd immer mehr nach rechts abdriftet und mein Bein schon mehrmals an der Tunnel-Mauer streift. Zur Draufgabe stolpert Diego auch noch, wodurch sich sein Hinterteil besorgniserregend absenkt. „Alles, nur bitte jetzt nicht hinfallen!“, denke ich mir. Gottseidank passiert nichts und es wird wieder hell. Kein Tunnel mehr, und vor allem kein Zug…

Wir passieren goldfarbene Weizenfelder und sehen andere Pferde auf der Koppel. Monsieur Didier gibt stets das Tempo vor: meistens Schritt, manchmal ein Trab im leichten Sitz, den er mit einem abgewinkelten rechten Arm, geballter Faust und einer Pumpbewegung andeutet und ab und zu auch ein schöner Galopp. Einige Etappen legen wir miteinander plaudernd zurück, andere wiederum stillschweigend, ganz in eigene Gedanken versunken. Das Klappern der Hufe ist wie Meditation. Zu Mittag gibt’s ein stärkendes „Morbiflette“, ein Gericht aus Kartoffeln, Speck, Wurst, Zwiebel und Käse. Am Abend werden die Pferde in den Stallungen eines Gutshofs untergebracht. Für uns geht es mit der Pferdekutsche weiter zu unserem traumhaften Hotel „Parenthèse“.

Tag 3: Dorfbesichtigung auf vier Hufen Am letzten Reitmorgen holen wir die Tiere von der Koppel, dann bekommen sie Futter. Anschließend striegelt jeder seinen Schützling, kratzt die Hufe aus und bringt Sattel und Zaumzeug an. Schließlich beginnt die letzte Etappe. Sie führt durch Wald und Weinberge steil hinauf zum kleinen Bergdorf „Château Chalon“, das zu den schönsten Frankreichs zählt, und wir erkunden hoch zu Ross den Ort. Am Rückweg steigen wir ab und führen die Pferde zu Fuß den steilen Berg hinunter, um ihre Rücken und Beine zu entlasten.

Auf dem schlammigen Boden ist Konzentration gefragt, um nicht selbst auszurutschen. Hinter mir Diego. Noch vor zwei Tagen hätte ich Sorge gehabt, das Pferd könnte nach mir schnappen oder mir auf die Füße treten – doch die Gutmütigkeit und Ausgeglichenheit von Diego haben ihn mir längst sympathisch gemacht.

Als letzte Station erreichen wir nach etwa vier Stunden und 15 Kilometern das kleine Dorf „Baumes les Messieurs“, wohlwissend, dass wir unsere Pferde – und sie sind in den drei Tagen tatsächlich zu „unseren“ geworden – hier zurücklassen müssen. Reitend besichtigen wir noch die Innenhöfe der Abtei und dann heißt es Abschied nehmen. Es fällt mir schwerer als gedacht. Pferdegewieher ertönt. Es ist Didiers Handy-Klingelton. Einige seiner Freunde sind gekommen, um die Pferde den langen Weg zurück zum Heimatstall zu reiten.

Nach einem letzten gemeinsamen Mittagessen mit unserem Pferdeführer heißt es auch bei ihm „Au-Revoir“. Er macht es auf seine Art (lässig wie ein Cowboy): schüttelt jedem kurz die Hand und ist dahin. Wir dürfen noch ein bisschen im „Café de l’Abbaye“ verweilen und herrliche Weine vom bayrischen Winzer Ludwig Bindernagel verkosten, der bereits seit 30 Jahren in Frankreich lebt. Dann besichtigen wir das ehemalige Salzwerk „Saline Royale“ von Arc-et-Senans sowie das Salzmuseum im Kurort „Salins-les-Bains“, wo wir auch unsere letzte Nacht verbringen. Nach einem Spontanbesuch im dortigen Casino inklusive Cabaret-Show und nur drei Stunden Schlaf geht es am nächsten morgen zurück nach Hause. Seitdem träume ich von meinem nächsten Reit-Abenteuer – auf alle Fälle wieder bei Monsieur Didier, diesmal vielleicht im Winter, weil laut ihm die schönsten Ausritte die im Pulverschnee sind: „Man hört keine Hufeisen, sondern nur das Schnauben der Pferde“.

Info

WANDERREITEN IN FRANKREICH: Didier Mejard (52) stammt aus der Bourgogne, einem Nachbar-Departement der Franche-Comté. Er fing mit 12 Jahren an zu reiten, erkundete zwischen 20 und 30 die Welt, arbeite u.a. für Millionäre als Pferdepfleger und ließ sich schließlich in der Franche-Comté nieder, um sich selbständig zu machen. Der gelernte Wald- und Forstarbeiter bietet seit 17 Jahren Reitausflüge an, von ein paar Stunden bis zu fünf Tagen. Über-nachtet wird üblicherweise in einfachen „Gites“ (Hütten). Rund 300 Personen kommen pro Jahr zu ihm. Er ist der einzige von etwa 30 Pferdeführern in Frank-reich, bei dem auch Ausritte im Winter möglich sind. Didier hat 20 Pferde, davon 14 Wanderpferde (die bis zu 100 Kilo tragen können), drei Fohlen und drei alte Tiere. Er ist verheiratet und hat zwei Töchter (20 und 30). Webtipp: www.ecuriedes4lacs.com