Weltmuseum: Thronfolger Franz Ferdinand und seine Wanderung um die Erde

Mehr als zwei Jahrzehnte vor seiner Ermordung unternahm der damals kaum bekannte Franz Ferdinand „eine Wanderung um die Erde“. Das Wiener Weltmuseum macht uns zu Begleitern des Grenzgängers.

Von Jugend auf bin ich viel gereist. Mannigfache Veranlassungen haben mich kreuz und quer durch Europa geführt, so dass sich mir reiche Gelegenheit geboten hat, unseren alten Erdtheil kennen zu lernen. Auch das Land der Pharaonen, Syrien und Palästina habe ich durchwandert. Die Verschiedenartigkeit, die Ursprünglichkeit der empfangenen Eindrücke von Ländern und Leuten, von Zuständen und Dingen haben mir Belehrung, Befriedigung, Genuss verschafft . Kein Wunder, dass in mir früh die Reiselust rege geworden ist, dass sie sich im Laufe der Jahre immer mächtiger entwickelt und endlich zu dem Wunsche ausgestaltet hat, es möge mir beschieden sein, eine Wanderung um die Erde zu vollbringen. Dieser Wunsch ist in Erfüllung gegangen„, notiert Franz Ferdinand gleich zu Beginn in sein Tagebuch.

Wer in den an die 1.000 Seiten umfassenden, in zwei Bände zusammengefassten und 1895 erschienen Aufzeichnungen zur Reise des Franz Ferdinand blättert, staunt ob des an Jules Verne oder Daniel Defoe erinnernden Tones, den der Th ronfolger darin anschlägt. Tatsächlich stammen viele dieser Passagen aus eigener Feder, manche wurden von seinen Begleitern sorgsam redigiert, andere schlicht abgeschrieben -von den im ausklingenden 19. Jahrhundert zur Genüge vorhandenen Reiseführern.

Drei Jahre zuvor hat sich sein Cousin, Kronprinz Rudolf, mit dem Franz Ferdinand eine enge Freundschaft verband, in Mayerling ins Jenseits verabschiedet. Und weil dieser der einzige Sohn von Kaiser Franz Joseph I. und Kaiserin Elisabeth war, sollte Franz Ferdinand nach dem Tod seines Vaters Karl Ludwig (1896) Thronfolger werden. Davon war aber noch keine Rede, als er am 15. Dezember 1892, drei Tage vor seinem 29. Geburtstag, in Triest an Bord geht. Er notiert: „Durch die allergnädigste Fürsorge Seiner Majestät war es mir gegönnt, einen großen Theil der Reise auf einem Juwel unserer ruhmvollen Flotte, an Bord des Torpedo-Rammkreuzers ,Kaiserin Elisabeth‘ zurückzulegen.“ – Franz Ferdinand ist mit einem der besten Schiffe des Kaiserreichs unterwegs: „Man wollte schon auch Flagge zeigen, zeigen, wer man ist“, sagt Christian Schicklgruber, einer der beiden Kuratoren der Ausstellung „Franz is here!“, die von 9. April bis 2. November im Weltmuseum (früher Völkerkundemuseum) in Wien gezeigt wird. Vor allem aber ging es darum, andere Höfe kennenzulernen, „sich zu vernetzen, wie man heute sagen würde“, sagt Schicklgrubers Kollege Alex Steinmann, „die Kavalierstour ist der Abschluss der Prinzen-Erziehung. Der erste Teil der Fahrt, der von Triest bis Yokohama geführt hat, war ein Staatsakt als prospektiver Thronfolger.“

Gleich zu Beginn erfahren wir, dass Franz Ferdinand, der geradezu von der Jagd besessen war (er galt übrigens als einer der besten Schützen der Welt), einen Flamingo erlegt, er über Fliegende Fische staunt und Quallen ihrer leuchtenden Farben wegen als „Blumen des Meeres“ beschreibt. Besonders gut gefällt es ihm im damaligen Ceylon (heute Sri Lanka): „Es geht eine alte Sage, dass Ceylon einst der Sitz des Paradieses gewesen sei, dass Adam und Eva vor dem Sündenfalle hier geweilt hätten. Wenn dem so war, so haben unsere Voreltern sich eines wahrhaft himmlischen Aufenthaltes erfreut.“

Seine Reise ist aber nicht nur Staunen, es ist auch eine Shoppingtour. Mehr als 14.000 Objekte bringt er mit nach Wien. „Er war ein manischer Sammler“, sagt Steinmann.

Er sammelt Kunst, er sammelt Alltägliches, er sammelt Trash. Er selbst schreibt: „Eigenthümlich ist die Kaufmanie, die den Reisenden in fremden Ländern so leicht erfasst. Er fühlt sich gedrängt, jede Kleinigkeit, ob schön, ob hässlich, mitunter sogar argen Tand zu erwerben, nur um etwas … Charakteristisches heimzubringen, als gelte es, sich über den Besuch fremder Länder handgreiflich auszuweisen.

Schicklgruber und Steinmann, die beiden Kuratoren der Ausstellung, sind überzeugt, dass Franz Ferdinand sich wahrhaft „ausweisen“ wollte, und zwar nicht nur als Weltreisender, sondern als Mensch an sich: „Der Öffentlichkeit war er weitgehend unbekannt, es ging ihm darum, sich darzustellen.“ Den beiden Wissenschaftern, die sich mit den Erfahrungen des als erzkonservativ geltenden Franz Ferdinand intensiv beschäftigt haben, ist der mehr als zwei Jahrzehnte nach seiner Weltreise in Sarajevo ermordete Thronfolger regelrecht ans Herz gewachsen: „Er hatte schon sympathische Züge“, sagt Steinmann. Es ist seine Offenheit, seine Naivität, seine Naturverbundenheit, und es ist seine offenkundige Liebe zu seinen Kindern und seiner, obwohl aus einem alten Adelsgeschlecht stammenden, nicht standensgemäßen Frau, „die ihn immer angenehmer macht“, sagt Schicklgruber.

Weshalb auch die Ausstellung so gestaltet ist, wie es sich Franz Ferdinand gewünscht hätte. „Er selbst hat sich ja Texte verbeten in seinen Ausstellungen, das wollte er nicht, das gestehen wir ihm zu, das machen wir auch nicht.“ Ergänzt werden die Objekte in den Schaukästen mit Auszügen aus den Tagebüchern, gelesen von Schauspieler Cornelius Obonya: „An Erfahrungen, an seltener Beute, an Sammlungen reich bin ich heimgekehrt“, schreibt Franz Ferdinand. Eine dieser Erfahrungen ist auch mehr als 100 Jahre später von geradezu brennender Aktualität: „Der Mensch hat gelernt, der Natur ein Geheimnis um das andere zu entwinden, ihr die Waffen abzunehmen und diese gegen sie zu kehren.“

Infos

Der Titel der Ausstellung geht auf die wenig respektvolle Schlagzeile einer US-Tageszeitung zum Besuch von Franz Ferdinand zurück. „Die Ausstellung“, heißt es offiziell, „versteht sich als visualisiertes Tagebuch Franz Ferdinands“. Sie ist von 9. April bis 2. November im Weltmuseum Wien zu sehen; täglich außer Dienstag von 10 bis 18 Uhr. Erwachsene zahlen 8 Euro, Kinder und Jugendliche frei. Begleitet wird die Ausstellung von einem Rahmenprogramm. Jeden Monat wird eine andere Station der Weltreise im Mittelpunkt stehen. Neben Expertenführungen, Lesungen und wissenschaftlichen Vorträgen stehen auch originelle Neu-Produktionen am Programm.