Interview: Nazar – Starke Worte, starke Beats

Sandra Keplinger
Der Wiener Rapper über sein aktuelles Album „Camouflage“, seine Heimatstadt Wien, Gewalt, rechte Politiker u.v.m. – starke Ansagen eines starken Mannes.

Nazar: Lass uns über Frauen reden!

Wiener: Gute Idee, ich habe gestern Abend Violetta Parisini, eine der Kuratorinnen des heurigen Wiener Popfestes, getroffen, und du hast dort diesen Sommer auch gespielt. Das erste Mal, hast du gemeint, dass dich ein österreichisches Festival überhaupt eingeladen hat. Wie war das für dich?

Das war schon sehr, sehr krass und eine Erfahrung, die ich in meinem Leben nie vergessen werde. Ich wollte dort unbedingt spielen, in meiner Heimatstadt mit großer Band, und es gab einfach nichts Schöneres für mich. Wir konnten aus Zeitgründen nur zweimal proben, und dafür, dass ich zum ersten Mal mit Band gespielt habe, hätte ich es mir stressiger vorgestellt, aber es lief reibungslos – ein Verdienst auch der superprofessionellen Band.

Du bist in Deutschland erfolgreich, verbringst aber viel Zeit in Barcelona und London, was bedeutet Wien als Stadt für dich?

Es ist meine Heimat. Iran ist mein Vaterland, aber Wien meine Heimat. Das wird sich definitiv nie ändern, und egal wo ich auf der Welt bin, beginnt nach einer Woche das arrogante Wienerische aus mir rauszukommen, das nach meiner Heimat schreit, das zurück will und auf der Straße den Schmäh mit schwarzen Humor gerne hören würde. Bei mir ist das so ein Prozess: Sobald ich in Schwechat lande und bei der OMV vorbeifahre, dann bin ich zu Hause, sobald der Gestank durch das Autofenster kriecht.

Beeinflusst die Verbundenheit mit Wien deine Musik?

Glaube ich nicht, denn meine Musik ist ja nicht mit der Stadt Wien an sich verbunden – obwohl ich einen Song habe, der „Meine Stadt“ heißt, aber der ist nicht über Wien. Es ist als Rapper einfach ein Privileg, in Österreich leben zu können, da du hier nicht solche Probleme hast wie die, die mittlerweile in Deutschland immer mehr auftreten, wie schutzgelderpressende Rockerbanden oder Araber-Clans. Da bin ich schon sehr froh, dass wir das hierzulande nicht haben.

Weil du die politische Situation ansprichst: Der Fall Josef S. oder die Räumung des besetzten Hauses „Pizzaria Anarchia“ zeigen, dass Stellung beziehen und politisches Verantwortungsbewusstsein – etwas, das du als Künstler und Privatperson gleichermaßen machst – in Österreich schnell problematisch werden können.

Definitiv! Guck dir mal unser Volk in Österreich an. Wir sind eine „Maybe“-Generation – eine Generation „Solange du mir nicht mein Brot wegnimmst, ist mir egal, ob meinem Nachbarn unschuldig in den Kopf geschossen wird“. Das ist bei uns ganz schlimm. Auch wenn es hart klingt, wenn man das jetzt so liest, aber ich würde mir oft wünschen, dass auch bei uns etwa wie in Frankreich Leute rebellieren und die Polizei auseinandernehmen, weil diese viel zu mächtig ist und sich zu viel rausnimmt im Umgang mit ihren eigenen Bürgern, wie rassistisch, proletoid und frech sie mit den Leuten reden. Als Haider an die Macht kam, gab es das Lichtermeer – warum gibt es das nicht mehr, warum demonstrieren sie nicht mehr? Momentan gibt es nur ein paar Kanacken, die sich vereinzelt wegen Erdogan oder Palästina auf die Straße trauen – was von den Medien sofort sehr negativ dargestellt wird. Aber ich kann mich nicht erinnern, dass die Leute auf die Straße gehen, weil sie in Österreich schon so weit kontrolliert und unterdrückt werden, dass jemand, der sich dagegen ausspricht, sofort kaputt gemacht wird. So wie es die FPÖ bei mir versucht hat. Nur ich bin nicht ein Typ, mit dem sie das machen können. Die FPÖ kann mich in der Öffentlichkeit nicht lenken, das können sie vielleicht mit anderen Politikern, aber ich bin ein Musiker und habe meine eigenen Netzwerke, um meine Meinung nach draußen zu bringen.

Wo ist die Grenze? Ist Musik die einzige Form der Äußerung diesbezüglich oder könntest du dir auch vorstellen etwa in die Politik zu gehen.

Das wurde mich auch schon angeboten. Man braucht nur 10.000 Stimmen, um sich selbst aufzustellen, was kein Problem für mich wäre, aber dann wäre ich ein krasser Heuchler – ich möchte also meine Macht auch gar nicht nützen, um mich aufstellen zu lassen. Ich glaube, dass Politik sowieso auf der ganzen Welt ein Mittel dafür ist, die Menschen denken zu lassen, dass sie theoretisch mit ihrer Stimme eine Möglichkeit haben, etwas zu verändern, obwohl das nicht der Fall ist. Es wird mit uns sowieso gemacht, was die mit uns tun wollen. Rebellion bewirkt auf jeden Fall mehr und ist cooler als irgendeine Scheiße, wo du wieder nichts ändern kannst.

Wo überschreitet die Rebellion die Grenze? Wenn man zum Beispiel an das Freundschaftsspiel von Maccabi Haifa denkt, bei dem es zu Prügeleien nach einer Stürmung des Platzes kam. Gehört das dazu?

Nein, hey, sobald jemand körperlich angegriffen wird, kann das nicht dazugehören. Kein Mensch auf der Welt hat das Recht, einen anderen Menschen zu verletzen. Du hast meiner Meinung nach das Recht, dich zu wehren, aber mehr geht einfach nicht.

Viele deiner Kritiker, aber auch Kritiker der Rapszene im Allgemeinen, schwingen ja gerne die Keule der Gewaltverherrlichungen. In der Szene und auch in deinen Videos findet man etwa Waffen als Anspielungen, wenn auch manchmal ironisch, wie in deinem Fall.

Du spielst auf das Video zu „Rapbeef“ an, wo man Waffen und 10 Typen oben ohne sieht, die hinter mir stehen und die zu viel Zeit im Fitnesscenter verbracht haben. Was wir mit dem Video aussagen wollen, ist die ironische Darstellung dieser Klischees. Deswegen hat sogar ein kleines Kind eine Waffe in der Hand, als ein Thaiboxer auf das Kind losgeht. Diese Gewaltdarstellungen sind einfach auch ein Stilmittel, und dieses wollten wir ins Lächerliche ziehen. Da aber auch der Song kein Comedy-Song war, wurde dann das Video nicht klar als ironisch wahrgenommen. 

Bleiben wir bei den Rap-Klischees. Gewalt und Frauen sind ein Thema, Gangs auch – du gehst ja anders mit diesen Themen um und wirst auch breiter in deiner Themenwahl, hast auf dem neuen Album „Camouflage“ Kollaborationen, etwa posthum mit Falco, den du ja in der Vergangenheit als den größten Musiker Österreichs bezeichnet hast.

Die Entwicklung ist mir sehr wichtig, aber ich habe auch in der Vergangenheit nie gewalt- bzw. drogenverherrlichende oder frauenverachtende Musik gemacht, weil du hinter dem stehen können musst, was du sagst. Solltest du, besser gesagt. Ich möchte morgens in den Spiegel sehen können, ohne mir zu denken, dass ich einfach nur ein Mensch bin, der Dinge bedient, die schlimme Auswirkungen haben können, da ich ein Meinungsmacher für die Jugend bin, nur um mich daran finanziell zu bereichern und aber in Wahrheit etwas Schlechtes tue.

Wie ist die Entwicklung zu „Camouflage“ und von diesem Album weiter in die Zukunft? Du hast erwähnt, dass du dank deines neuen Labels Universal wesentlich mehr Zeit hattest, dich auf dieses Album zu konzentrieren und daran zu feilen.

So weit denke ich gar nicht. Sobald du anfängst, Musik für ein gewisses Publikum oder einen gewissen Radiosender zu planen und zu produzieren, fängst du an, Scheiße zu bauen. Da bin ich Universal sehr dankbar. Ich habe dem Label gleich zu Beginn gesagt, dass in der Vergangenheit etwa in Deutschland Künstler vom Majorlabel sofort radio- und fernsehtauglich gemacht wurden. Aber die Karrieren dieser Straßenrapper waren danach vorbei, weil die Leute nicht dumm sind und genau wissen, dass die das nur tun, um ein gewisses Publikum zu erreichen, das jetzt größer ist, als zuvor die Straße war. Mittlerweile ist ja Hip Hop die meistgekaufte Musik der Welt, nur leider Gottes sind wir in Österreich hinten nach. Ein paar Beispiele: In Frankreich werden Rapper von Fernsehsendern als respektvolle Persönlichkeiten eingeladen, nicht so wie hier in Österreich, wo du in ein Fernsehformat geladen wirst, und als erstes kommen sie mal mit „Yo, Yo, Yo“-Handgesten und stempeln dich als Volltrottel ab. Man sieht auch in Deutschland, dass Deutschrap-Alben heuer alle Verkaufsrekorde gebrochen haben. Ein Straßen-Hip-Hop-Album schlägt Helene Fischer. Österreich lebt in einer Fantasiewelt und nimmt Stürmer und Gabalier auf ihre Cover, weil sie denken, diese Hip-Hop-Geschichten sind für Kinder. Was die sich da markttechnisch auch wegnehmen: Rapper gibt es in Deutschland in Werbekampagnen für Autos, Rapper synchronisieren Computerspiele – da sind wir hier in Österreich noch Welten davon entfernt. Das finde ich ein bisschen traurig.

Ist das Aufbrechen von Grenzen, etwa am Popfest zu spielen, etwas, was du im Nachhinein realisierst, oder planst du das?

Beides. Ich plane Dinge, die cool wären, die auch nachfolgenden „Nazars“ etwas bringen können. Ich war der erste Österreicher, der mit Hip Hop in Deutschland Top 3 erfolgreich gechartet ist. Das ist ein schönes Zeichen. Ich bekomme positives Feedback von Künstlern hier, die sich bedanken, dass ich in Österreich geblieben bin und immer wieder neue Türen öffne.

Wie ist dein Bezug zur österreichischen Hip-Hop-Szene?

Ich habe sie damals schon nicht wahrgenommen und bin auch nicht wirklich gut auf sie zu sprechen. Als ich begonnen habe, hat die Szene mich beleidigt und mich boykottiert. Sie wollten in ihrer Hip-Hop-Welt beeinflussen, was gut und relevant ist, auch weil sie gemerkt haben, wie gut das ist und wie groß das noch werden kann – ich war eine Gefahr für sie, und daher bin ich, mit kleinen Ausnahmen wie Kamp und ein paar Produzenten, die ich großartig finde, nicht gut auf sie zu sprechen. Vielleicht ändert sich das mit der Zeit, wenn Neue kommen oder ich andere Künstler besser kennenlerne – aber ich habe es nicht vor und wünsche jedem alles Gute.

Dein Fokus war also schon immer jenseits der Grenzen.

Definitiv.

Nun bist du nicht nur Künstler aus hehren Zielen, sondern Musik ist auch ein Business. Interessiert es dich, wie Kanye West oder JayZ ein Imperium aufzubauen, zu dem viel mehr gehört als nur Musik – du produzierst ja mit deiner Filmfirma auch Videos für andere Künstler wie Sido und hast selbst im Kinofilm „Schwarzkopf“ gespielt.

Ich würde gerne in neuen Filmen meine schauspielerischen Fähigkeiten unter Beweis stellen. Als zweite große Sache würde ich mir wünschen, dass die Leute beim österreichischen Filmfonds endlich aufwachen und nicht nur das Geld vetternwirtschafts-mäßig nur den gleichen Leuten zuschießen oder Nazifilme drehen, damit sie bei den Auslands-Oscars eine Chance auf eine Nominierung haben. Ich glaube, meine Möglichkeiten und Qualitäten in der visuellen Umsetzung meiner Ideen muss ich niemanden mehr beweisen, und ich hoffe, dass mir, weil dafür viel Geld nötig ist, irgendwann die Möglichkeit gegeben wird, selbst einen Kinofilm zu produzieren. Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass es sehr schwer wäre für mich, einen der besten Filme Österreichs zu produzieren.

In Zeiten der Selfies und den ganzen Social-Media-Plattformen gibt es heutzutage andere Voraussetzungen, aber auch Anforderungen für den Job des Künstlers. Wie wichtig ist das für dich, fühlst du dich in der Rolle wohl? Musst du diese Kanäle bedienen, weil dies nun Teil des Jobs ist, oder macht es dir sogar Spaß?

Beides! Ich müsste lügen, wenn ich sage, dass es mir nicht gefällt, wenn ich ein Foto auf Instagram poste, und 600 Frauen sagen mir, dass sie mich geil finden. Das ist immer schön fürs Ego. Da bin ich der Frontkamera am Handy dankbar, weil man sich da besser ankucken kann und dann nur die besten nimmt und postet. Andererseits fühle ich mich in Menschenmassen ehrlich unwohl, weil ich nicht gern im Mittelpunkt stehe. Mir ist aber bewusst, dass ich das bedienen muss, um Leute damit zufriedenzustellen. Wenn ich sehe, dass Menschen nervös werden, wenn sie mich treffen oder glücklich sind, wenn sie ein Foto mit mir machen können und es ihnen etwas bedeutet, dann freut mich das. Aber wenn ich wählen könnte zwischen damals und heute? Damals warst du als Musiker automatisch quasi reich, was heute aufgrund der illegalen Downloads nicht mehr so ist. Und gerade Rapper sind Internetphänomene, die jeder Jugendliche kennt. Der größte Schlagerstar hat nicht diese Probleme, weil uns Rapper jeder von Youtube kennt. Meine Videos haben teilweise bis zu 7 Millionen Klicks. Da kommt ein Schlagersänger wie Gabalier nicht heran, weil sein Publikum auch nicht aus dieser Generation kommt, die im Internet konsumiert. Wenn ich es mir aussuchen könnte, wäre ich lieber jemand aus der damaligen Zeit, der nicht gezwungen ist, jeden Tag auf Twitter und Facebook die Leute zu beschäftigen und Dinge aus seinem Leben preisgeben, und hätte ein ruhigeres Leben, aber das gehört heute einfach dazu.

Für deine dir folgenden Fans, alleine auf Facebook über 300.000, hat dein Wort aber natürlich ein entsprechendes Gewicht und du damit eine Macht. Wie ist der scheue Nazar mit dem öffentlichen Nazar zu vereinbaren, gerade bei gesellschaftlichen Themen, von der FPÖ oder Josef S. über den Gaza-Konflikt und den Syrienkrieg bis zu den aufstrebenden ISIS-Kriegern nahe deinem Vaterland, zu denen du dich immer wieder lautstark äußerst?

Ich habe vor Kurzem ein Interview in Deutschland gegeben, in dem ich angesprochen habe, dass viele Rapper einfach so auf den Anti-Israel und Pro-Palästina-Zug aufgesprungen sind, ohne gescheit darüber nachzudenken, auch weil junge Kids dabei sind, die das einfach nur nachplappern und dann plötzlich einen Hass gegen Israel entwickeln und ihnen nicht bewusst ist, dass die auf ihren Kanälen einerseits die Kids zum Freitagsgebet in der Moschee aufrufen, aber andererseits zwei Tage danach Songs veröffentlichen, in denen sie die ganze Familie von jemandem beleidigen. Damit habe ich einen riesengroßen Shitstorm in Deutschland ausgelöst, und viele Rapper haben mich öffentlich beleidigt, obwohl ich niemanden persönlich genannt habe. Aber es hat mich so glücklich gemacht, zu sehen, dass 99% der Menschen auf meinen Kanälen hinter mir stehen und zustimmen und sagen: „Er hat recht, es ist wirklich nicht mehr normal, was da passiert!“ Ich habe diese Macht in diesem Fall, glaube ich, für etwas Positives verwendet, weil ich denke, dass es nicht der richtige Weg sein kann, dass junge Leute, die keine Ahnung haben von der ISIS oder dem Palästina-Konflikt, Hassvideos posten und alle beleidigen, ohne die Hintergründe für diese Entwicklungen zu kennen.
Wiener: Danke jedenfalls für das Interview und alles Gute für den Albumstart am 22.8. – es wäre der österreichischen Szene zu wünschen, dass sich hier etwas bewegt.
Nazar: Danke auch fürs Gespräch. Ich hoffe das dank dem Wiener jetzt auch viele Frauen auf mich zukommen, denn ich habe gehört, dass das Magazin ja von erstaunlich vielen Frauen gelesen wird!

Allerdings!