AKUT
Das letzte Interview mit Gert Winkler
Knapp drei Monate vor seinem Tod gab uns der legendäre WIENER-Gründer Gert Winkler ein Interview. Daraus wurde ein spontanes, launiges Geplaudere über die Anfangsjahre des legendären Magazines und seine Entwicklungen. Aus heutiger Sicht ist die Unterhaltung ein Zeitdokument. Über die guten alten Zeiten und die Erfindung des Begriffes Zeitgeistmagazin.
WINKLER: …da gibt‘s no an Mohren im Hemd, in dem Lokal. Beim Hanno haaßts Othello … (lachen)
WIENER: Gut, also Kamera läuft. Wie kam es damals, 1979, zur Idee und zur Verwirklichung eines Großprojektes wie dem WIENER?
WINKLER: Eine umfassende Frage.
WIENER: (irritiertes Schweigen hinter der Kamera …)
WINKLER: Naja, also erstmal hatte Wien keine Illustrierte, es gab keine Österreichische Illustrierte, gar nix. Das Ausland hat uns überschwemmt mit Illustrierten, wo Leute groß abgebildet sind, bedeutend und prominent präsentiert. In Österreich gab es sowas nicht, da waren Menschen nur briefmarkengroß abgebildet. Und dann gab es noch die Tageszeitungen. Und aus. Was gab es noch, es gab so eine alternative Programmzeitung und den Falter, damals noch in der 60er-Jahre Nudelgrafik, bevor ihm der Ecke Bonk den Scheitel gezogen hat, was aber auch wieder eine direkte Reaktion auf den WIENER war, weil es den jetzt gab.
WIENER: Aber das war erst später, 1980, oder?
WINKLER: Ja, stimmt, das war dann schon der neue, der zweite WIENER, aber wir sind noch beim ersten, 1979. Also aus meiner damaligen beruflichen Tätigkeit als Kreativdirektor der Werbeagentur GGK ergaben sich Kontakte zu einem großen Drucker, dem Toni Tusch, der hatte eine Druckerei und war gleichzeitig Präsident der Wiener Secession, also, eh typisch für Wien, ein Wirtschaftsmann mit künstlerischer Ambition … na jedenfalls hatte der eine riesige Tiefdruckmaschine in Unterwaltersdorf stehen, die nicht ausgelastet war. Tiefdruck ist was für hohe Auflagen mit toller Druckqualität, Stern, Spiegel, und den haben wir eben kennengelernt, als wir den CCA wieder ins Leben gerufen haben, das is so ein Werbe-Club, wo der Tusch immer das Jahrbuch gedruckt hat. Also, es sind da jedenfalls mehrere Intentionen zusammengekommen, der Tusch wollte in Periodikum drucken und wir wollten so ein Heftl machen, wo man Wien a bissl anders darstellt als es immer dargestellt wird, in Kurier und Krone.
WIENER: Was genau wollten Sie da machen?
WINKLER: Ja also konkret wollten wir ein Monatsmagazin machen, das eine Darstellung Wiens macht, die zeitgemäß ist. Und nicht so wie das, was es bisher gab, damals gab … also, da müsste ich jetzt wirklich ausholen und eine Bestandsaufnahme von Wien seit, eigentlich seit dem ersten Weltkrieg …
WIENER: Vielleicht nicht ganz so detailliert …
WINKLER: … oja, es geht irgendwie ned anders. Also Wien war 1918 die Hauptstadt eines Imperiums, das dann nicht mehr existierte, das kleine schnitzelförmige, deutschsprachige Land ist übrig geblieben. Und bevor die Wiener überhaupt begriffen haben, dass sie jetzt nix mehr sind, ist der Bürgerkrieg über sie drübergefahren, dann der zweite Weltkrieg und dann waren die Besatzungssoldaten da. Weil, Wien war 1945 eine tolle Stadt, mit 300 Lokalen, lebender Musik, Jazzbands, etcetera. Man muss wissen: Der Zusammenbruch Wiens ist ja nicht 18 passiert, nicht 34, nicht 45, sondern erst 1955. Mit dem Abzug der Besatzungstruppen. Dann waren die Wiener plötzlich alleine unter sich in einer schwarzen, dunklen, langweiligen, unerträglichen Stadt, die eher depressiv, selbstmörderisch war. Es gab nichts zu kaufen, du hast nach München fahren müssen, wenn du was gebraucht hast, oder nach Italien, jedenfalls ins Ausland, raus aus Österreich, aber bitte nicht in den Osten.
Parallell dazu sind überall in der Welt und in Europa irgendwelche großen Sachen passiert. Zuerst ist Amsterdam groß geworden, modern, hip, angesagt, dann war die Olympiade in München und plötzlich war München eine tolle Stadt und so weiter. Und wir haben uns gedacht: Warum eigentlich nicht Wien? Und da sind dann mehrere Sachen zusammengekommen, der Drucker, der was zum drucken braucht und wir, die wir was machen wollten und so haben wir uns halt überlegt: Wir machen eine Illustrierte.
WIENER: Wie hat das mit der Finanzierung ausgesehen?
WINKLER: Der Michael Satke (Anm: damals Eigentümer einiger Szene-Lokale in Wien, etwa dem Roten Engel oder der Reiss-Bar, heute eine der Dependancen von „Robertos“) kannte ein paar Investoren aus der Werbung, also Agenturchefs, aber auch Zahnärzte oder Anwälte, also Leute, die ein gutes Einkommen und ein gewisses Kapital als Risikokapital verfügbar hatten. Und wir haben uns gedacht, wenn wir 10 Leute finden, wo jeder an Hunderter (Anm.: 100.000 Schilling) reingibt, also mit einer Million Verlusthaftung im ersten Jahr müsste das schon funktionieren. Und dann hast du aber auch so eine Gruppe von Miteigentümern, die dir nicht wirklich gefährlich werden können, weil dass sich die so verbünden, dass sie sich gegen dich auflehnen und dir das Heft ruinieren, ist eher unwahrscheinlich.
WIENER: Kam es zu diesem Treffen der Investoren?
WINKLEr: Das Treffen hat stattgefunden, im Hotel Europa am Neuen Markt, wir haben uns vorbereitet, mit Flip-Chart und allem, haben die Nullnummer vom alten WIENER präsentiert, das erste, das große Heft. Das hat allen gefallen, die Stimmung war ganz gut, du hast gesehen, die malen schon so Zahlen auf, rechnen herum, überlegen hin und her … und dann ist der alte Armin Fehle, damals Chef von der Werbeagentur Euro RSCG, aufgestanden und hat gesagt: „Aber meine Herren, bitte um Vernunft! Weil wenn es sowas geben sollte, dann gaberts es ja …“. Also, der typische Wiener Ansatz, nur kane Wellen, alles gleich niederstampfen. So ist das ganze dann gleich in sich zusammengefallen. Und wir haben dann noch die drei Hefte gedruckt, die schon vorbereitet waren und dann hab ich Konkurs angemeldet.
WIENER: Auftritt Hans Schmid
WINKLER: Und dann kam der Schmid, der uns nicht geholfen hat, beim ersten Start sowieso nicht, und beim zweiten Mal hat er mich sitzen gelassen auf zweieinhalb Million Schilling Schulden. Aber er hat sich bereit erklärt hat, den Titel über eine Sekretärin herauszukaufen, damit es keine Rechtsnachfolge ist. Ich hatte dann ja noch das Konkursverfahren, Betrug, fahrlässige Krida, hab ich alles noch am Hals gehabt, als der neue WIENER schon längst erschienen ist. Der Deal mit dem Schmid ist im Hinterzimmer der Reissbar gelaufen. Weil der Schmid hat nur Angst gehabt, dass ich die Agentur verlasse. Weil diese komischen Heftln, diese ersten Nummern vom großen WIENER, die völlig ohne jede Werbung erschienen sind, davon hat jede Ausgabe mehr verkauft. Und dann im Mai 80 ist der neue WIENER erschienen. Mit WIENER Rock‘n‘Roll am Cover. Und einem 35 Seiten langen Ossi Wiener-Interview, völlig irre, also zeitungstechnisch. Und dann haben wir jede Nummer völlig anders gemacht als die vorige. Wir haben nur in die nächste Nummer mitgenommen, was funktioniert hat. Das haben wir ein ganzes Jahr so gemacht. Zuerst war das Rock‘n‘Roll-Heftl, dann das Punk-Heft, dann war wieder Sex, das mit der Unterhose, wirklich, eine Studie, dass der Wiener nur einmal wöchentlich die Unterhose wechselt, irgendwer, irgendeine Studie hat das herausgefunden … (lacht).
WIENER: Und Hans Schmid war zufrieden?
WINKLER: Nach einem Jahr ist dann eingetreten, dass den Haupteigentümer, den Schmid, mehr Leute auf den WIENER angesprochen haben als auf diese wahnsinnig tolle, große Werbeagentur, die er geführt hat. Was natürlich wiederum dazu führte, dass er sich immer mehr dafür, also für den WIENER zu interessieren begann. Was natürlich tödlich war.
WIENER: Wieso das denn?
WINKLER: Na ganz einfach. Er wollte damals als Werbeberater in die Gemeinde Wien rein, in die ganzen Holdings und Firmen, die große Melkkuh. Und wir haben, zum Beispiel, gerade einen Artikel vorbereitet, 10 Jahre Leopold Gratz, viel Bild, wenig Text, so eine kalendarische Übersicht. Ich meine, da waren ja gute und schlechte Sachen dabei. Rinterzelt – nicht so gut. Reichsbrücke legt sich nieder, aber dafür kann er nix. Stadtautobahn – durfte man damals ja überhaupt gar nicht sagen. Also diese Geschichte hat uns der Schmid gleich mal abgeschossen, ein Riesenwirbel, da hat es gleich den ersten Redaktionsstreik gegeben … also jedenfalls war es am Anfang sehr lustig.
WIENER: Aber trotz solcher Interna habt ihr insgesamt doch ganz schöne Erfolge gehabt. Das Heft hat diesmal mehr als drei Ausgaben lang funktioniert …
WINKLER: Ja so sind wir da halt hineingeschlittert. Und das Heft hat relativ schnell seine Kreise gezogen. Interessant war auch, wo wir verkauft haben. Am Bahnhof in Amsterdam etwa, auch wenns nur 200 Hefte waren, aber ein Heft wo WIENER draufsteht in Amsterdam am Bahnhof, das ist schon was, wenn sich das verkauft. Oder es ruft nach der zweiten oder dritten Nummer das ZDF an, „Da ist doch ein Artikel über eine Cora Egg“, „haben wir gesehen“ oder so. Wir haben uns gewundert, dass die das überhaupt gekannt haben. Das ist halt auch viel rumgegangen über die Werbeagenturen und die Fotografen, in München und Berlin. Für die Fotografen hat der WIENER ja später dann unheimlich viel getan. Es hat ja damals kaum eine Möglichkeit gegeben für einen österreichischen Fotografen irgendwo zu publizieren, auch nur irgendwie von seinen Fotos zu leben. Und es sind damals zu dieser Zeit viele gute Fotografen rausgekommen.
WIENER: Das war ja überhaupt eine gute Zeit für Kreative …
winkler: Man muss das so verstehen: Das war 1979, da hat in Wien mit der Eröffnung der UNO-City ein internationaler Sender angefangen zu senden, Blue Danube Radio, das war ja was völlig neues, dass da einer auf englisch die Nachrichten spricht, aus unserem Radio. Wir sind alle Kinder Kreiskys. Bis Kreisky war Österreich eine finstere, polizeidominierte Kerkerzelle. Und mit ihm ist Veränderung plötzlich möglich geworden. In diesem Klima ist der WIENER entstanden. Für damals war vieles neu, was
heute selbstverständlich ist.
WIENER: Der WIENER galt ja gleich von Anfang an als Erfinder der Gattung Lifestyle-Magazine …
WINKLER: … na, ned Lifestyle. Zeitgeist. Zeitgeist-Magazine.
WIENER: … Entschuldigung, Zeitgeistmagazine …
WINKLER: Es war so, wir haben ja natürlich auch Anzeigenkeiler gehabt, klar. Und jetzt hatten die das Problem, als was präsentiere ich den WIENER? Da ist zwar Mode drin, es ist aber keine Modezeitschrift, da ist zwar Kultur drin, es ist aber keine Kulturzeitschrift, es ist auch keine Illustrierte, weil es ist ja nicht alles drin, es ist nur von allem ein bissl was drin. Draufhin haben wir es gebrandet als Zeitschrift für Zeitgeist. Und das wurde dann so ein Sager für eine ganze Generation von Zeitschriften. Die Zeitgeist-Magazine, die so eine komische, eklektizistische Auswahl von Geschichten und Bildern brachten, nicht auf Vollständigkeit Wert legten, sondern auf Belang. Ich muss nicht über alles schreiben, nur über das, was mich interessiert. (Denkt nach, wiegt die Bedeutung der Worte …) Zeitschrift für Zeitgeist.
WIENER: Es kam ja damals auch eine ganz neue, österreichische Musik auf. New Wave, weg vom alten, verstaubten Austropop.
WINKLER: Es hat sich damals irgendwie alles internationalisiert. In der Architektur, Haus-Rucker-Co, Coop-Himmelblau, die Kunst, die Wiener Realisten und wir waren sozusagen das Echo, der Spiegel, der Verstärker. Genauso mit dem U4, vorher gab es nur den Mondscheinkeller, der heute Kamera heißt, dann das Voom Voom und der Studentenclub beim Schwarzenbergplatz, … und das U4 war dann aber schon eine richtige Disco. Auch die U4 ist damals erst gebaut worden, man kann sich Wien heute nimmer ohne U4 vorstellen. Und wir haben den ersten Beitrag übers U4 gebracht, den hab ich geschrieben. Ich war aber noch nie dort als ich das geschrieben hab. Aber ich hab ja meine Informanten gehabt. Es war nicht immer alles so eins zu eins authentisch … aber authentisch! (schmunzelt)
Wir wollten halt, dass Wien nicht immer nur von Purkersdorf bis Enzersdorf reicht, sondern in einer Reihe mit Paris, Madrid oder London und Rom steht … mindestens, wenn ned sogar besser!
Gert Winkler
WIENER: Fallen Ihnen ad hoc ein paar besonders schockierende Ausgaben ein?
winkler: Naja, gleich mit Hopp und Peichl. Ich war ja am Anfang Herausgeber und Chefredakteur, dann beim Neustart durfte ich aber nicht aufscheinen, wegen den Prozessen, dann war der Rudolf Wojta offiziell Chefredakteur und ich habe unter vielen Pseudonymen geschrieben. Für Filme war ich der Gerry Welles, für Reisen der Aloysius Penkburn, Musik hab ich geschrieben als Siggi Sound. Und mein Profi-Ratgeber aus der Welt der echten Journalisten war der Franz Manola, der hat Kontakt zu Kollegen hergestellt. Über den Franz kam auch der Michael Hopp vom Rennbahnexpress, so a typischer Fellner-Job, 10 Aufrisse pro Woche, der erfolgreichste Schwarzfahrer, diese Dinger, kennt man ja. Und die erste Geschichte, die der Hopp geschrieben hat, die war skandalös … die Idee war: Liebe im Park. Er sollte blättern in Archiven und herausfinden, was da so passiert, in Wiener Parks. Da gab es zum Beispiel die Tote beim Hochstrahlbrunnen, und so weiter und der Hopp war aufgrund seiner bisherigen Tätigkeit nicht in der Lage, einen langen Text über mehr als zwei Seiten zu schreiben. Also haben wir eine Bildergeschichte mit kurzen Texten gemacht. Gerhard Heller hat fotografiert und hat gleich den Exhibitionisten gespielt, ein Kieberer biegt einen anderen übers Auto, solche Sachen, und der Aufmacher war die im Streiflicht gezeigte, in Cellophan eingewickelte Tote beim Hochstrahlbrunnen ….
Na Habi d’Ehre! Da war gleich ein Aufschrei.
Wurde eigentlich nur noch übertroffen von dem Mörder, der seine Freundin umgebracht hat und seinen Freund, Tödliche Intelligenz, wer war das nochmal? (Anm.: Der Fall Günter Lorenz, die Reportage zur Gerichtsverhandlung schrieb Elfriede Jelinek für den WIENER) Na jedenfalls haben sie den falschen gejagt, den Freund, dabei war der schon tot, bei der Reichsbrücke eingegraben, ohne Kopf. Und wir haben von dem Ausgraben ein Foto gebracht, das war winzig, man konnte nur ahnen, dass da ein Leichnam war. Bumm! Für das Foto sind wir auch geprügelt worden.
WIENER: Aber das waren ja eigentlich nur künstliche Skandale …
WINKLER: Und dann kam, 1982: „Wie giftig ist das Wiener Wasser?“ Weil, es gibt ja die Legende, dass Wien vom Hochquellwasser lebt, aber das beliefert nur wenige Bezirke. Und dann gibt’s halt auch andere Gewässer, die verarbeitet werden und der Peichl hat herausgefunden, dass da schlimme Substanzen drinnen sind, die zwar, wenn man sie kocht, verrauchen, aber immerhin. Und wegen der Geschichte hat des Wiener Magistrat eine Sondersitzung gehabt. Und die wollten den WIENER „ohdrahn“. Also haben sie geschaut, wie, wo ist der Z-Kredit, wie kann man denen gefährlich werden. Dann haben die aber nix gefunden. Und dann sind die im Rathaus draufgekommen, da gibt’s eine Zeitung, die heißt WIENER und die gehört gar nicht uns! Das war auch wieder sehr lustig …
WIENER: Aber war das nicht eine Diskrepanz zu den geschäftlichen Interessen des Hans Schmid?
WINKLER: Naja, wenn sie mich schon darauf ansprechen: Der Schmid war überhaupt eine einzige Diskrepanz zum WIENER. Von seinem Verständnis her … der hat mir immer hergelegt, was war das, die Wochenpresse war gut, „Quick Illustrierte“, das war super und dann hat er ununterbrochen Leute dahergeschleppt, die mir sagen sollten, wie schlecht nicht der WIENER ist. Da gab es zum Beispiel den Völker von der Autorevue, den ich kannte, mit dem haben wir uns in einem Lokal getroffen, und der Hans dauernd zum Völker, sagen‘s ihm, was so schlecht ist am WIENER, und der Völker hat mich angeschaut, mit großen Augen, was will der … also, leider muss man sagen: Der Schmid hat zum WIENER gepasst wie ein Fisch zum Fahrradl, wirklich … ich will jetzt nicht weiter darauf eingehen. Und es war auch der Grund warum ich nach 5 Jahren nicht mehr weitermachen wollte. Man braucht sich nur die Liste der Chefredakteure anschauen, die dann nachher kamen. Höllrigl, Leitgeb – solche Leut …
WIENER: Wie beurteilen Sie die Entwicklung des WIENER nach ihrem Ausscheiden?
WINKLER: Als ich schon im Ausscheiden war, da hat sich der Ganzke vom Jahreszeitenverlag gemeldet, die wollten den WIENER in Hamburg herausgeben, als Franchise. Und der Schmid hat mit ihnen verhandelt und wollte 30 Prozent von der deutschen Nummer haben, dann wollte der Ganzke aber auch, dass er was investiert. Und der Hans Schmid hat gesagt, er schickt das Know How und das ist mindestens 30 Prozent wert … dabei war das immer mein Argument dem Hans gegenüber, was er aber bei mir nie gelten ließ. Inzwischen hat der schlaue Hans die Leute von der Redaktion, Hopp, Peichl, Breier rausgeschickt nach Hamburg, die haben schon ein Heft gebastelt. Dann sind in letzter Sekunde die Verhandlungen gescheitert, das Heft war aber schon fertig, nur konnte der Ganzke nicht WIENER draufschreiben. Also hat er es TEMPO genannt. Die Reaktion von Schmid war dann der WIENER in München, aber auch mit Leuten die das nicht konnten.
WIENER: Eine Betrachtung des späteren WIENER aus der Ferne? Die Neunziger Jahre?
WINKLER: In den Neunzigern ist der Hans auf einmal gekommen und hat gesagt, wir sollen einen Relaunch machen. Wir haben uns getroffen im Büro X vom Lo Breier, der Michi Hopp, der Gerald Sturz, so eine kleine Runde. Und wir haben damals eine Antithese entwickelt zum Höllrigl-WIENER.
Aber da gab es ja noch eine Vorgeschichte, aus den Achtzigern. Es gab da einen Verlagsmanager, Michael Grabner, mit dem haben wir uns getroffen in der alten Rathausstube. Weil, die Aufteilung bei uns war, ich kümmere mich um die Redaktion und der Hans Schmid um den Verlag, Anzeigen, Vertrieb und so. Da hat er wen gesucht und der Grabner, der ist grad vom Kurier gekommen und hat gesagt, es würde ihn interessieren, da einzusteigen, aber nur wenn er eine substanzielle Beteiligung kriegt und dafür bräuchte er noch ein paar Informationen. Na gut, der Hans hat ihm alles hingelegt, alle Zahlen, wo wir wieviel verkaufen und so, und der Grabner hat das genommen, ist von dort aufgestanden und mit dem Material zum Fellner gegangen und so ist dann das Basta erschienen, sozusagen als Antithese zu uns. Der WIENER war urban, oberschichtig, Basta war das genaue Gegenteil, ländlich, Unterschicht. So – jetzt rutschen wir wieder in die Neunziger, da gab es also den Höllrigl-WIENER und der Schmid hat ja das BASTA gekauft, um es einzustellen, er hat geglaubt das ist nötig, und da gab es den Chmelar, vom BASTA, der hat dann mit dem Höllrigl den WIENER gemacht. Und wir haben einen Gegenentwurf gemacht, zwei Hefte, das ist sogar fotografiert und gedruckt geworden, viel Geld hat das gekostet, wir haben zwei Ausgaben gedruckt, das eine hieß WIENER, das andere STREET und das wurde dann getestet. Kleine Diskussionsgruppen, Leser und Nichtleser, Dialoggruppen, die das Produkt abtesten. Wir konnten da von draußen zuschauen und ich muss sagen: Mir ist das Heu runtergefallen. Der WIENER war damals das Heftl, das, ich mein, ich will jetzt nicht so snobistisch sein, aber der WIENER war das, was sich irgendein Dumpfgummi kauft, der mit seiner Freundin nach Salzburg fahrt, irgendeinen Lesestoff halt beliebig … und i kenn die Heftln ja auch gar nicht. Was halt beim Arzt aufliegt. Völlig belanglos. Das war der WIENER damals. Aber komischerweise wurden unsere Hefte beide als WIENER erkannt. Der WIENER sowieso, aber das STREET auch, die haben das sofort erkannt, das hatte so eine Chemie. Aber der Relaunch wurde nie gemacht. Weil er hätte seine ganze Redaktion austauschen müssen, angefangen vom Höllrigl …
WIENER: Was haben Sie sich am Anfang gedacht, wie lange es die Zeitung geben wird?
WINKLER: Den Gedanken habe ich mir nie gemacht. Ich hab mir gedacht, das muss es jetzt geben und wie lange das sein soll, das war mir wurscht. Das ist wie bei dem Lokal da, das gibt’s auch schon sehr lang, mit der Küche … (rümpft die Nase) und mit der Einrichtung und trotzdem gibt’s es noch … (Anm.: knapp ein Jahr später wurde das alte Café am Kobenzl abgerissen)
WIENER: Zum Abschluss bitte noch ein paar Schlagworte, wofür der WIENER damals gestanden ist.
WINKLER: Er sollte den Wienern ein gewisses Selbstbewußtsein vermitteln. Natürlich war vieles provokant, aber nicht absichtlich. Zum Beispiel wie das Massaker war im Libanon, wo die Israelis das zugelassen haben, da haben wir eine Story von Jean Genet gebracht. Da haben sich einige gewundert, einige aufgeregt. Aber uns war die Internationalität wichtig. Dann haben wir ein Heft gemeinam mit vielen anderen europäischen Magazinen gemeinsam gemacht und wir haben das Cover beigesteuert. Wir wollten halt, dass Wien nicht immer nur von Purkersdorf bis Enzersdorf reicht, sondern in einer Reihe mit Paris, Madrid oder London und Rom steht … mindestens, wenn ned sogar besser! So, was wollt‘s noch wissen?
WIENER: Ach ja: Wie es zu dem Namen gekommen ist?
WINKLER: Wir sind da dran gegangen wie in der Werbung. Da schreibst Du viele Titel auf, dann streichst Du wieder welche weg, dann schreibst Du neue dazu und so weiter. Und wir haben einiges da stehen gehabt …. Naschmarkt … was weiß ich. Und, aber, es is eh Wurscht, nach der ersten Nummer ist das egal. Wenn es mal erschienen ist, dann fragt keiner mehr, warum heißt der Kurier Kurier oder warum heißt das Profil Profil. Aber zuerst denkt man halt nach. Und einer der vielen Titel war dann halt „Der WIENER“, angelehnt an „The New Yorker“. Und der Georg Beer, ein Konzeptionist bei der GGK, der geht grad zur Tür raus und sagt so, im Vorbeigehen, „geh, lassts das DER weg … einfach WIENER.“ Und das wars dann. Allerdings muss ich sagen: Wir konnten das Logo damals nicht in rot drucken. Wenn man schaut: Der erste Titel, das erste Logo, das war in schwarz. Wenn du damals Wien in rot geschrieben hast, dann war das Stadt, Gemeinderat, Sozialismus, Rathausmann. Und das ging natürlich nicht. Erst später, als wir uns etabliert hatten, konnten wir das Rot, das wir eigentlich schon immer wollten, endlich nehmen. Hat aber auch drei Jahre gedauert.
Und im übrigen möchte ich dem WIENER zu seinem 35. Geburtstag herzlich gratulieren …