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Der andere Rebhandl – Seine Rock Rockenschaub Kolumne im WIENER #W428
Aus dem Leben eines Superschnüfflers: Rock Rockenschaub findet, es sei Zeit für eine Entschuldigung.
Mein Freund Herschel rief an und sagte: „Hör zu, Rock. Mein Hildchen betrügt mich.“ Darauf ich: „Wer zum Teufel ist Hildchen?“ Ich hatte bisher nämlich keine Ahnung gehabt, dass Herschel überhaupt ein Hildchen hatte. Das waren so die kleinen Überraschungen, wenn man meinte, jemanden zu kennen, nur weil er seit dreißig Jahren an jedem Anal-Donnerstag in Dirty Willis Swedish Pornhouse kam. Früher war Sex ja irgendwie echt, oder wie dieser Freak Woody Allen sagte: Sex ist nur dann schmutzig, wenn er richtig gemacht wird. Und die Filme, die Herschel sich anschaute, waren schmutzig! Man sah Haare dort, wo sie einem wuchsen. Und die Arschrosetten der Darstellerinnen waren … na ja, sie waren richtig braun, so wie das halt ist, wenn man einen Arsch hat.
Da stieß sich auch niemand groß daran, aber es faszinierte auch niemanden so sehr wie Herschel den Juden. Sobald irgendetwas mit „Asshole“ auf dem Programm stand, saß er verlässlich in der ersten Reihe, es musste der Film nur immer auch ein „Dirty“ mit im Titel führen, und ein „Brown“ vor dem Asshole, und die legendäre Eve Brown musste die Hauptrolle spielen, die für ihr extrem schmutziges, extrem braunes Arschloch weltberühmt geworden war, das sich handtellergroß zwischen ihren zwei gewaltigen, kalkweißen Arschbacken ausbreitete. Und je älter Herschel wurde, desto wichtiger war es für ihn, dass möglichst alle Dirty Brown Assholes auch so richtig Destroyed werden mussten. Weiß der Teufel, warum, aber irgendetwas gefiel ihm halt daran!
Willi konnte ihm also keine größere Freude machen, als jeden verdammten Donnerstag einen Teil von Eve Browns „Dirty Brown Asshole Destroyed“ Vol. 1–99 abzuspulen. Alleine, dass er es Buchstabe für Buchstabe auf den Plakaten lesen konnte – „Dirty! Brown! Assholes! Destroyed!“ –, schien Herschel eine Menge zu geben.
So wie er die Sache aber jetzt schilderte, saß er an allen anderen Tagen der Woche mit seinem Hildchen zu Hause, hielt Händchen und hörte sich mit ihr zusammen Mozarts „Kleine Nachtmusik“ an. Stolz erzählte er mir, dass er seit biblischen Zeiten mit ihr verheiratet war. Und jetzt, da seine Zille langsam, aber sicher über den Jordan trieb und bald am anderen Ufer andocken würde, hatte er Angst, dass sein Hildchen ihn betrügen könnte, „weil er mir ja nicht mehr steht! Er steht mir einfach nicht mehr!“ Und das rührte mich irgendwie zu Tränen, wenn das ein 89-Jähriger sagte. Einfühlsam fragte ich: „Wo hast du sie denn kennengelernt? Beim Tabledance?“ Das war aber natürlich die falsche Frage, und Herschel, der so schnell reden konnte wie eine Schnellfeuerwaffe schießen, schrie mich an: „Im Lager gab es keinen Tabledance, du Idiot, du Spinner, du verdammtes, dreckiges braunes Arschloch!“
Die meisten Pornokinobesucher fühlten sich ja schuldig, wenn draußen die Sonne schien und man selbst im Dunkeln saß und sich „Spritzende Spritzmaschinen“ anschaute, und all das andere versaute Zeug. Man hätte seine Zeit ja auch irgendwie sinnvoll verbringen und draußen im Garten sitzen und ein Bierchen trinken können, oder mit Mutti die Geranien gießen. Aber Herschel fühlte sich nicht schuldig, weil draußen die Sonne schien, bei ihm war es etwas anderes: „Sechs Millionen Juden konnten nie ins Pornokino gehen, weil sie von euch dreckigen braunen Arschlöchern ermordet worden sind!“ Das war im Wesentlichen der Vorwurf, den wir uns immer wieder von ihm anhören mussten.
Ich fand also, es war an der Zeit, dass sich mal einer bei ihm entschuldigte, stellvertretend für all die anderen. Darum sagte ich: „Tut mir leid, Herschel. Es tut mir wirklich aufrichtig leid.“
Manfred Rebhandl. Autor in Wien. Zuletzt erschien sein zweiter Kitty-Muhr-Krimi „Heiß ist die Liebe, kalt ist der Tod“ (2017) im Haymon Verlag.