KULTUR

Ich hab keine Zeit und so – Samir H. Köcks Hommage an Cloudrap-Superstar Yung Hurn

Anneliese Ringhofer

Yung Hurn ist der erfolgreichste österreichische Popstar seit Falco. Amoralisch und doch irgendwie lieb singt sich dieser Superstar des ­Cloudrap mal mit und mal ohne Auto-Tune-Effekt in die Herzen von Teenagern jeden Alters. Alle anderen sind genervt. Aber das macht nichts.

Text: Samir H. Köck

Über die Schulerfolge des Hirsch­stettners Julian Sellmeister ist nicht viel bekannt. Aber da dürfte einiges schiefgelaufen sein. Allerdings sind bestimmte Siege nur dann zu erringen, wenn vorher Schlachten verloren werden. Jetzt, da er unter seinem Nom de Guerre Yung Hurn mit enigmatischem Rapstil sowohl in Deutschland wie in Österreich Platz 2 der Charts erobert hat, sind nicht nur seine wohl längere Zeit irritierten Eltern stolz auf ihn. Es glückt ja den meisten nicht, in frühen Jahren so gründlich zu scheitern, dass man etwas fürs richtige Leben lernen kann. Das bleibt oft nur Künstlern und Diktatoren vorbehalten. Betrachtet man die Vita vieler späterer Popstars, dann ­erstaunt oft die Dimension der frühen Desaster. Bei David Bowie ist das genauso gut zu beobachten wie beim frühen Prince. Unbescheiden? Gut, dann wollen wir die Perspektive in diesem Zusammenhang nicht allzu weit öffnen. Man könnte heimische Musiker wie Peter Kruder nennen. Der schmerzhaft naive Schüler-Hip-Hop, den er einst mit den Moreaus ­abgeliefert hat, hätte nie auf ­höhere Weihen schließen lassen. Oder Bilderbuch. Deren erste ­beiden Alben so kreuzbiederer ­Independent-Pop waren, dass man den – auch einer Umbesetzung geschuldeten – Fantasieausbruch von „Schick Schock“ eigentlich nie erwarten durfte. Fail fast, ­learn fast. Das könnte die Devise von Julian Sellmeister gewesen sein.

Doch ein Selfie, Seltenheit. Autor Köck mit seinem jungen Idol, Herrn Hurn.

Yung Hurn in Berlin. Foto: (c) Alexander Koerner/Getty Images for Zalando

Zunächst einmal erfand er sich mit „Yung Hurn“ ein Alter Ego, das nicht wie üblich der sozialen Anpassung dient. Sondern genau dem Gegenteil. Als Kunstfigur Yung Hurn surft er in krude Gegenwelten, die reichlich mit Koks und Bitches drapiert sind. Weil ihm das nicht reichte, spaltete er sich zusätzlich noch einen Freak aus seinem Unbewussten ab. K. Ronaldo nennt sich dieser, der mit Vorliebe Plastiksonnenbrillen trägt. Aus seinem Mund sprudelt es vorzugsweise Englisch. Er gibt den älteren, Currywurst liebenden Bruder von Yung Hurn. Die gemeinsam mit Lex Lugner produzierte EP „Wiener Linien“ war 2015 der Auftakt für ein umfangreiches Œuvre, das zunächst nur im Netz kursierte. „Blablablabla.“ Zu herrlich leptosomen Synthieklängen macht sich Herr Hurn ­bereits hier rar. „Ich heb nicht ab. Viele rufen an. Ich hab keine Zeit.“ Und sein erstes obszönes Wort dropt er: Muschilecker.

Hübsch. Das zweite Stück „Ich will dich“ dauert genauso lang wie das erste: satte 1 Minute und 49 Sekunden. Hier inszeniert er sich perfekt als Gefühlsverweigerer. Seine Indifferenz in Liebesdingen bricht kurz und bündig durch: „Ich hab keine Zeit und so. Für den ganzen Scheiß und so. Whatsapp viel schreiben und so. Irgendwas dir beweisen so.“

Cloudrap ist sein Metier, selbst das schlechteste Bildlein auf Instagram kriegt 50.000 ­Herzerln. Julian Sellmeister ist der absolute ­Superstar der ­Millennials. Hier Yung Hurn bei der Modemesse Bread & Butter im Festsaal Kreuzberg, 2017. Foto: (c) Sean Gallup/Getty Images for Zalando

Bald beginnt es zu stauben in den kleinen ­Stücken. Kokain und so. Einfache Lines, Zebrastreifen, Haufen, ja ganze Zementsäcke voll mit Koks gehören bald zum Interieur der immer eleganter ­gebauten Stücke. Er probiert etliche Beatprovider aus. Mit Shamu bastelt er „Opernsänger“, mit YVNGSHOKU glückt „Beef aber so lala“. Die schärfsten Kracher aber produziert er mit Lex Lugner. „Ferrari“, „Chill mit mein Bae“ und „Molly Pt.3“. Mittlerweile meist mit dem gebürtigen Linzer Stickle zugange, kreiert Yung Hurn den cleversten und sub­tilsten Cloudrap im deutschen Sprachraum. Inhaltlich gibt er sich amoralisch wie einst nur der berüchtigte Chansonier Serge Gainsbourg. Rauschgift, Sex, ­Kälte und Verweigerung sind seine bevorzugten Themen. „In mei’m Herz drin Eis, Eis, ja. Nasenlöcher beide weiß, ja“ heißt es etwa in „Eisblock“. Unter dem Pseudonym Love Hotel wird der Ausdruck wärmer. Da übt dieser Schlawiner romantische Verkommenheit. Alles mit ganz viel Auto-Tune. Wegen der Künstlichkeit und so.

Die rasante Zunahme seines ­Bekanntheitgrades hat er nicht ­allein mit pfiffigen Musikstücken bewerkstelligt. Yung Hurn hat Strategien gefahren, die typisch für Millennials sind. Als sogenannte Digital Natives glauben diese mehr an das Fluidum des World Wide Web als an die zuweilen ­klugen, in Holz geritzten Sätze des Feuilletons. Seine berüchtigten Null-Aussage-Interviews gibt er ausschließlich Micky-Maus-Me­dien. Also Veranstaltermagazinen oder Kommerz-TV-Stationen. Ausnahme war mal ein beinah ernstes Gespräch mit dem Arte-Magazin „Tracks“. Stattdessen lanciert er zahllose kleine Filmchen, irgendwo zwischen hemmungsloser Infantilität und gewitztem Dada ange­siedelt. Damit sammelt er fleißig Klicks auf YouTube. Auf Facebook daddelt er auch ein wenig herum, aber da sollte man formulieren. Deshalb ist Yung Hurn viel lieber auf Instagram unterwegs.

Selbst seine lapidarsten Bilder kriegen zwischen 80.000 und 500.000 ­Herzerln. Originelles ist auch ­darunter. Das legendäre Oben-­ohne-Fleischbeißer-Bild aus dem Berliner Grill Royal oder das die Sinne verwirrende Foto, auf dem er in Plüschschlapfen und kurzen Hosen am Beifahrersitz einer Limousine ein Flascherl Coca-Cola an die Lippen setzt. Der Mann ist der geborene Styler. Er kann die hässlichsten Sachen in den unmöglichsten Kombinationen tragen und es wird immer cool aussehen. Wie das genau funktioniert? Man weiß es nicht. Rotzbremse, ­Amateur-Tattoos, schlabbrige Turnhosen – alles befördert das Charisma dieses Jungstars, dessen Alter nicht offiziell bekannt ist. Gesichert ist bloß, dass er in Hirschstetten dieselbe Volksschullehrerin wie Der Nino aus Wien hatte. Fünf Jahre später.

2018 ist jedenfalls das bislang größte Yung-Hurn-Jahr. Sein offi­zielles Debütalbum, das Meisterwerk „1220“, erscheint und wird sofort ein Superseller. Es ist funky und minimalistisch, cool und heiß. Den Paradigmenwechsel von bloßen Files zum ehrlichen Tonträger vollzog sein Label „Live From Earth“ schon ein Jahr vorher. Mit „In Memory Of Yung Hurn – Classic Compilation“ erschien das erste Vinyl. Jetzt legte man nach. ­Gemeinsam mit „1220“ konnte man auch die „Love Hotel EP“ in ­anmutiger Vinylversion erwerben.

Drei Vinyls gibt es also bislang. Die Preisentwicklung ist steiler als die Kurve des Nasdaq. Für die „Memory Of“ in einwandfreier Version muss man derzeit 200 Euro löhnen, für das Bundle zumindest 100.
Als Bonus für Fetischjäger gibt es seit Kurzem sogar das gesamte Œuvre auf dem beinah vergessenen Medium Musikkassette zu erwerben. In einer Auflage von bloß 300 Stück. Yung Hurn selbst ist das ziemlich egal. Er hangelt sich von Track zu Track.

Die Kunstform „Album“ ist ihm als Millennial ­leider ein bisserl zu wurst. Live ­reüssierte er auf den größten ­Hip-Hop-Festivals des deutschen Sprachraums. Auf dem Splash ebenso wie beim Open-Air Frauenfeld, wo er wieder einmal mit einem bizarren Interview für Aufsehen sorgte. Auf die Bühne nahm er sein unverzichtbares ­Designerhandtascherl mit, und ein iPhone. Damit machte er während seiner Performance Selfies, las vielleicht auch Texte wie den von „Nein“ ab. Verweigerung erhöht den Magnetismus. Das spürt man auch als Normalsterblicher, der ein Selfie mit Yung Hurn a.k.a. Süßgott a.k.a. Yung Süssi a.k.a. Donau­stadts Loco Boi ins Netz stellt. ­Sogleich hagelt es zweifelhafte ­Angebote von emanzipierten ­Müttern. Töchter, Söhne und sogar Nichten wurden mehr oder weniger als Groupies angeboten. Aber davon ein anderes Mal.

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