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Völkerball ist ein „Mittel der Unterdrückung“!
Das behauptet zumindest eine kanadische Studie, die das weltweit beliebte Spiel auf das Schärfste verurteilt. Doch damit nicht genug, die Behauptungen werden noch wilder. Fast so wild wie Völkerball, das ja anscheinend eine Art Hunger Games darstellt.
Text: Jakob Stantejsky / Foto: Getty Images
Denn nicht nur, dass Völkerball Kinder lehrt, ihre Mitschüler zu „entmenschlichen“ und mit „legalisiertem Mobbing“ gleichzusetzen ist, nein! „Die Botschaft des Spiels ist, dass es okay ist, andere zu verletzen“, behauptet Joy Butler, eine der Autorinnen der Studie, die bald im Fachmagazin „European Physical Education Review“ erscheinen wird. Warum beim Völkerball relativ weiche Bälle verwendet werden, mit denen man selbst mit einem gelungenen Headshot (Fachbegriff unter Spielern), niemandem Schaden zufügen kann, verstehen wir dann allerdings nicht so ganz. Denn wenn ich lernen soll meine Mitschüler zu verletzen, dann wären doch knallharte Lederbälle oder am besten gleich Steine doch viel besser. Da müssen die Turnlehrer also noch viel besser mitdenken, damit die Kinder ihr blutiges Handwerk unter besten Bedingungen erlernen können.
Befragt wurden ursprünglich 12- bis 15-jährige allgemein zum Thema Sportunterricht, doch laut Butler stellte man dabei einen Trend fest. Viele Schüler gaben an, Dodgeball, das amerikanische Äquivalent, zu hassen. Wenn wir alle an unsere Schulzeit zurückdenken, können wir das zumindest teilweise sogar bestätigen. Denn in jeder Klasse gibt es ein paar wenige Kollegen, die bei jeglicher Art von Ballspielen vor Angst erstarren. „Der scheißt sich ja schon vor dem Ball an“, hat wohl schon fast jeder einmal gehört. Und da ist es egal, ob Fußball, Basketball oder eben Völkerball gespielt wird. Manche Menschen können Ballspiele einfach nicht leiden, was völlig in Ordnung ist. Aber wenn eine Schulklasse (fast) geschlossen vor Freude aufjault, wenn der Turnlehrer das angeblich so brutale Spiel ankündigt, kann es mit der weit verbreiteten Ablehnung nicht so weit her sein. Das mag jetzt nur auf persönlicher Erfahrung und einer kurzen Umfrage unter Anwesenden begründet sein, aber so abnorm sind wir doch nicht, oder?
Klar, beim Völkerball werden die Kontrahenten selbst zum Ziel – in jeder Hinsicht -, doch wird hier jede mögliche Aggression in Regeln gegossen. Beim Fußball beispielsweise kommt es viel schneller mal zu brutalen Zusammenstößen oder hitzigen Gefechten. Außerdem stammt die Logik „ich ziele auf andere Menschen in einem Spiel, also fördert es Gewalt“ direkt aus der ähnlich hirnrissigen Killerspieldebatte. Und wenn Frau Butler meint, dass Lehrer Schüler selbst Spiele entwickeln lassen sollen, auf die sie im Schulsport Lust haben, dann macht sie sich endgültig lächerlich. Weil genau da entstehen dann Dynamiken, unter denen die Schwächeren und Schüchterneren leiden. Denn brutale Idioten wird es in Schulen immer geben, aber die können beim Völkerball deutlich weniger Schaden anrichten als in der Schulpause, wenn gerade kein Lehrer hinschaut. Um das festzustellen, brauchen wir keine Studie. Dass es natürlich nicht ideal ist, wenn Kinder an Spielen teilnehmen müssen, die ihnen nicht so taugen, ist logisch. Doch dafür muss und ja, vielleicht sollte man den gesamten Sportunterricht umkrempeln. Aber irgendein harmloses Spiel zu verteufeln ist natürlich viel leichter als komplexere Probleme anzupacken.