Interview

Korruption für Anfänger


Die gebürtige Russin Elena Tikhonova hat mit „Kaviar“ gerade einen Film in die heimischen Kinos gebracht, in dem österreichische Hochstapler einem russischen Oligarchen die Wiener Schwedenbrücke verkaufen wollen. Kommt uns bekannt vor? Mit dem WIENER sprach sie über das Ibiza-Video und darüber, ob Russland vielleicht doch noch ein bisschen korrupter ist als Österreich.

Datum: 19.6.2019
Ort: Donaukanal, Wien
Interview: Manfred Rebhandl
Fotos: Maximilian Lottmann

wiener: An Ihrem Projekt „Kaviar“ haben Sie sehr lange gearbeitet. Wie sehr muss man als Künstler von seiner Sache begeistert sein, um so etwas durchzuziehen?
tikhonova: Ich glaube, das Kino ist wie ein Virus, ich bin davon infiziert. Wenn man etwas macht und es gelingt, dann kannst du nicht weg, dann bist du wie gefesselt.

Wird „Kaviar“ ein Blockbuster? Das Thema Korruption beschäftigt die Österreicher.
Ich hoffe es. Aber du musst dich natürlich gegen die ganzen Holly­wood-Franchise-Filme wie „Men in Black 4“ behaupten, oder irgendwelche Disney-Trickfilme und was weiß ich noch alles. Und diese Hitze ist leider ein Killer für Kinobesuche.

„Kaviar“ ist Ihr erster Langfilm?
Ich beschäftige mich seit 1997 mit Film. Ich habe Kamera studiert auf der ältesten und größten Filmhochschule in Europa, der VGIK in Moskau, wo schon Sergei Eisenstein unterrichtet hat. Ich wollte eigentlich Drehbuch und Regie machen, aber als ich erfahren habe, dass man auf der Regiefakultät nur zwei Kurzfilme in sechs Jahren machen kann, bin ich zum Fach Kamera gewechselt, wo man zwei bis drei Kurzfilme pro Jahr machen konnte. Das waren gute Übungen.

Was wussten Sie vom Österreichischen Film? Er ist ja „bekannt“ für seine „Komödien“, jeweils unter Anführungszeichen.
Als ich 1997/98 in Moskau studierte, da habe ich am Filmfestival „Hundstage“ und „Models“ von Ulrich Seidl gesehen, das hat uns die Welt eröffnet. Wir haben bis dahin nicht gewusst, dass man so etwas darf, dass so etwas auch geht. Und dann natürlich Haneke. Damals lief „Die Klavierspielerin“ von ihm, einfach fantastisch. Wir haben nur darüber geredet.

War da Putin schon Präsident?
Oh Gott. Er ist 2000 Präsident geworden, jetzt ist er schon länger dran als Breschnew, und von dem haben alle immer gesagt, der ist ewig.

Putin kommt in Ihrem Film als Witzfigur vor, jemand trägt seine Maske. Darf man hier noch, was man in Russland nicht darf?
Ich habe gute Antidepressiva (lacht). Aber ich wollte eine Blödelei mit Putin unbedingt drin haben, da bot sich das Foto von ihm mit nacktem Oberkörper beim Angeln an …

… wo man seine Hängebrüstchen sieht …
Damals noch nicht! Da war er 48, und das ist ein Unterschied zu heute. Das ganze Land hat ihn attraktiv gefunden. Ein wunderschöner, sportlicher Mann, der nicht säuft. Das ist für Russland ein Jack­pot! (lacht) Der Jelzin war ja nur betrunken, ich weiß nicht, wie der von A bis B gehen konnte.

Der russische Oligarch Igor Volo­shin bekommt in Ihrem Film von korrupten Österreichern die Wiener Schwedenbrücke angeboten …
… Von Österreichischen Hochstaplern, die dem Russen sagen: Nichts ist unmöglich. Ich möchte nur zitieren: „Wir werden uns noch wundern, was alles möglich ist.“ (lacht)

Aber in Russland läuft es korruptionstechnisch doch noch ein paar Stockwerke weiter oben als bei uns, oder?
Hängt von der Branche ab, glaube ich.

Am Schluss Ihres Filmes sagen die drei Freundinnen sehr schön: „Wir haben etwas gewonnen, was viel wichtiger ist als Geld …“
… „Freundschaft, Gerechtigkeit und drei Millionen Euro“ (lacht). Die Grundidee für den Film war „Freundschaft“, die Frage, wie Freundschaft entsteht. Ich habe drei komplett unterschiedliche Frauen genommen, die im normalen Leben nichts miteinander zu tun hätten. Im Gegensatz dazu stelle ich im Film die Männer, die super perfekt alles planen, aber jeder für sich selbst und jeder gegen den anderen. Als Filmemacher bin ich überzeugt, dass jeder Film mit der Realität korrespondieren sollte. Zuvor habe ich fantasiert: Kärnten, Hypo, Sängerknabenhaus, Grasser … Es gibt ja viele Sachen, man muss nur beobachten. Aber vergleichsweise ist Österreich vielleicht doch noch ein bisschen weniger korrupt als Russland … (lacht)

Die Realität hat werbewirksam Ihren Film eingeholt, Stichwort Ibiza-Video und „Verkauf des Landes an die Russen“.
Wir haben natürlich nicht damit gerechnet, dass das Löffelchen „Ibiza“ so perfekt zu unserem Süppchen passen würde. Eigentlich muss ich mich bei HC Strache für die PR bedanken.

Ihr Film ist jetzt da, er ist weg.
Ja. Aber wer weiß, wie es weitergeht. Jetzt setzt er halt einfach seine Frau da rein. Hat die außer Maniküre irgendetwas gelernt?

Sie setzt sich sehr für Kampfhunde ein.
Das macht mir jetzt Angst.

Sie als Expertin sagen uns jetzt: Was macht „die schoarfe Russin“ aus, die Strache so geil gemacht hat?
(lacht) Ich habe schon überlegt, mir das T-shirt mit „Oligarchennichte“ vorne drauf anzuziehen. Als das Video veröffentlicht wurde, habe ich alle fünf Minuten einen Anruf bekommen, ob ich diese Oligarchennichte war …

Waren Sie’s?
Ich war noch nie in Ibiza, aber ich würde gerne hinfahren, wenn ich eingeladen werde.

Ist die Russin wirklich „schoarf, sexy und dem Manne dienend“, wie es das Klischee besagt?
Die Russinnen sind nicht dienend. Aber sie sind bereit, einiges zu tun, um etwas zu erreichen … Die Klischees fallen ja nicht vom blauen Himmel, das sind lange Beobachtungen. Es gibt aber auch viele Österreicherinnen, die so sind. Oder Ukrainerinnen …

Wie ist die russische Community in Wien?
Die ist dermaßen bunt gemischt. Natürlich gibt es die Hausfrau mit reichem Mann, die sich um Kinder und Haus kümmert. Aber es gibt auch eine Interpol-Agentin, die ich kenne, eine Fitnesscenterbesitzerin, Übersetzerin, Künstlerin, Gynäkologin im AKH, die dort Abteilungsleiterin ist. Es sind nicht alle russischen Frauen über den Katalog nach Österreich gekommen, wie in meinem Film. Ich bin hier befreundet mit sehr unterschiedlichen, kosmopolitschen Russen, die in erster Linie interessant sind und nicht reich.

Wie sind die russischen Männer? Sind alle Verbrecher, wie es ein weiteres Klischee besagt?
Natürlich sind nicht alle russischen Männer Verbrecher. In meinen Film habe ich aber klassische dramaturgische Skelette eingebaut: Drei Frauen sind die Protagonistinen, und weil ich Antagonisten brauchte, habe ich mich für eine Gruppe Männer entschieden, die mehr oder weniger korrupt sind. Man soll Kunst aber nicht mit der Realität verwechseln, obwohl sich beides manchmal vermischt (lacht).

Wie schwer war es, zwei österreichische „Deppen“ für Ihren Film zu besetzen? Denkt man da sofort an Georg Friedrich und Simon Schwarz?
Es gibt diesen russischen Aberglauben: Das Projekt sucht sich die Schauspieler aus und nicht umgekehrt. Ich war immer ein großer Verehrer von Georg Friedrichs Kunst, er hat auch schon bei
Alexander Sokurow gespielt. Ich habe gesagt: Wenn ich ihn kriege, wäre das absolut fantastisch. Er hat das Drehbuch gelesen und es hat ihm sehr gefallen. Bei Simon Schwarz war es das Gleiche.

Fühlen Sie noch russisch?
Ich bin dort eine Fremde und bin hier eine Fremde.

Wie sieht es in Russland am Land aus?
Dort finden alle die Regierung scheiße, weil ökonomisch nichts funktioniert. Natürlich verbreitet der Sender Russia Today, dass alles so super ist, aber das ist falsch. Meine Mutter war Wissenschafterin in der gesperrten Stadt Obninsk, das war auf keiner Karte verzeichnet in der Sowjetzeit bis Ende der 80er-Jahre, hundert Kilometer südwestlich von Moskau, erstes Atomkraftwerk, 23 wissenschaftliche Institutionen. Sie war eine der Erfinderinnen von Liquidkristall-Panel-Fernsehern, die Japaner haben das Mitte der 80er-­Jahre abgekauft, sie hat 12 Erfindungen, etwas für ihr Land geschaffen, das Land nach oben gebracht. Sie wäre heute reich, wenn sie das in Japan gemacht hätte, stattdessen kriegt sie 250 Euro Pension. Ich muss ihr helfen, damit sie überlebt, denn auch in der Provinz kannst du mit 250 Euro nicht überleben.

Waren Ihre Eltern stolz auf die Sowjetunion?
Mein Vater hatte unglaublichen Humor, er war in führender Position als Atombeschleuniger, so wie im CERN in der Schweiz. In der Küche durfte man sich auch lustig machen über das Regime, dort, wo du nicht abgehört wurdest, machte man Witze.

Nahmen sie an 1.-Mai-Kundgebungen am Roten Platz teil, die ja schon beeindruckend waren?
Alle wollten dort ein Banner tragen. Aber nicht, weil sie das Regime so liebten, sondern weil sie einen Tag frei kriegten …

Gab’s wenigstens eine schöne Datscha?
Wir haben eine sehr schöne Datscha gehabt, aber mein Vater ist heute tot, und die Datscha gibt es auch nicht mehr.

Den Wodkakonsum bemisst man in Russland in Gramm. Wieso?
Auf die Frage, wie viel 10 mal 100 Gramm sind, werden Ihnen auf dem ganzen Planet die Leute antworten, es ist ein Kilogramm. Nur in Russland ist man sich da nicht so sicher (lacht). Mein Vater, der Quantenphysiker war, hat einmal mit Freunden eine Recherchetour durch Obninsk gestartet und in jedem Lokal „einen Wodka bitte“ bestellt, um zu sehen, wie viel „ein Wodka“ ist. Manchmal kam ein Stamperl, manchmal kam eine ganze Flasche. Es gibt in Russland keine gültige Maßeinheit für den Wodka, also berechnet man ihn in Gramm.

Schmeckt er Ihnen?
Gar nicht. Wie alle habe ich zum Maturabschluss den ersten getrunken, wo alle gekotzt haben. Aber Wodka ist für mich zum Putzen von Brillen, oder man konnte den Tonkopf beim Cassettenrecorder reinigen, für solche Dinge hatte ich Wodka. Das ist reiner Alkohol mit Wasser verdünnt, er schmeckt nach nichts.

Das sehen die Russen anders. Viele saufen ihn, bis sie tot sind.
Die Situation in Russland ist sehr schlecht, den Leuten geht es schlecht, das ist der Grund. Es ist immer eine bittere Reise, wenn ich nach Hause komme.

Wie geht’s der russischen Jugend?
Die Jugend ist ganz gesund in Russland. Sie sehen die Sachen aus europäischer Sicht, sie verstehen alles, viele sprechen Englisch. Also, die Generation vor mir ist total fit im Kopf. Es gibt wieder Hoffnung.

Warten sie, bis Putin tot ist, oder gibt es vorher eine Revolution?
Die Russen kennen viel Blut, und sie haben Angst vor viel Blut. Alle hoffen auf friedliche Veränderung. Aber die Partei Einiges Russland und Putin sind sehr stark.

Ist die Freiheit der Kunst ein Indikator dafür, wie „gesund“ eine Gesellschaft ist?
Für mich definitiv. Wenn man das alles nicht darf, dann hat das ganze Leben keinen Sinn. In Österreich habe ich Glück, dass ich offen sprechen darf, dass ich Kunst machen darf. Das bedeutet mit sehr viel, darum will ich hier Staatsbürgerin werden. Obwohl es für mich natürlich auch hier dreifach schwierig war, den Film zu machen: Ich bin eine Frau, ich bin eine Ausländerin, und ich war eine Debütantin. Aber dank des unabhängigen österreichischen Jury-
systems haben wir es geschafft, ganz ohne Korruption.

Was, wenn Philippa Strache Kulturministerin wird?
Oh Gott, ich bitte Sie! Kampfhundministerin von mir aus. Eine Gesellschaft kann nur wachsen, wenn die Kunst und die Presse frei bleiben, wenn sie verarschen darf, witzeln darf, auf den Punkt bringen. Nur mit gesunder Kritik entsteht eine gesunde Gesellschaft.

Sind Sie Kaviar-Fan?
Oh ja!

Gibt es einen „besten Kaviar“?
Albino Beluga, das ist der beste Kaviar. Ich habe ihn nur einmal in Astrachan am Wolgadelta gegessen, das war das Exklusivste. Aber es war vor zwanzig Jahren. Ich kann mich nur erinnern, dass es gut war. Wie gut? Ich weiß es nicht mehr.

Was mögen Sie an und in Wien?
Eierschwammerlragout mit Semmelknödel ist mein absolutes Top of the top. Dann bin ich ein irrsinniger Fan von Kardinalschnitten, vor allem ab 12 in der Nacht, nichts und niemand kann mich dann aufhalten. Die Torten machen mich insgesamt sehr glücklich. Eigentlich fehlt in Wien nur das Meer. Wenn es noch ein Meer gäbe, dann wäre das die beste und schönste Stadt, was sie so auch ist.

Russland ist aber landschaftlich schon auch okay?
Nicht so wie Österreich! Ich werde jetzt mit der Transsibirischen Eisenbahn fahren. Aber damit fährst du 2000 Kilometer, und die Landschaft ist 2000 Kilometer lang gleich. Nehmen wir die Krim: Die ist ziemlich ähnlich der Wachau, aber du musst 2000 Kilometer dorthin fahren. Hier in Österreich fährst du 100 Kilometer, und fährst du 100 Kilometer weiter, hast du etwas ganz anderes, Salzburg oder die Berge.

Elena Tikhonova
sagt nicht, wie alt sie ist, das gehört sich nicht, weil sie ist Russin. Sie wurde in Obninsk geboren, ist ebendort aufgewachsen, erst mit 20 Jahren ist sie nach Moskau übersiedelt und hat auf VGIK Kamera studiert. Mit 23 kam sie anno 2000 nach Wien, brachte ein Kind auf die Welt, hat Deutsch studiert und 2002 ihren ersten Kurzfilm (35 mm, s/w, „Dobrij Vecher, Constructor“) gedreht. Dafür hat sie beim St. Anna Filmfestival in Moskau den Preis für „Audiovisuelle Umsetzung“ bekommen. Ihr nächstes Projekt steht, wie immer, in den Sternen, aber es wird von Wodka handeln. In Kooperation mit den Leningrad Cowboys. Die haben schon zugesagt.

Kaviar
Von Elena Tikhonova
Nadja, Teresa und Vera – ein Supergirl-Gespann, wie es unterschiedlicher nicht sein kann. Teresa arbeitet für einen russischen Oligarchen namens Igor als Mädchen für alles, Vera ist mit einem österreichischen Möchtegern-Lobbyisten (Georg Friedrich, großartig!) liiert, Teresa ist Künstlerin und passt auf Nadjas Kinder auf. Als der Oligarch beschließt, auf der Schwedenbrücke wohnen zu wollen, findet Trottel-Lobbyist Klaus das großartig, knüpft über seinen Anwalt (Simon Schwarz) Kontakte zu einem nicht-amtsführenden Stadtrat, und das große Wer-bescheißt-wen-Karussell nimmt seinen Lauf. Verblüffend, wie der – nachweislich 2016 abgedrehte – Streifen Zitate aus dem Ibiza-Video vorhersieht. Ein Must! www.thimfilm.at/kaviar