GENUSS
Das Mousseux jetzt sein
Champagner steht nicht nur zu Silvester hoch im Kurs. Doch was macht den Erfolg des Franzosen-Sprudels eigentlich aus? Eine prickelnde Ursachenforschung zwischen St. Germain und Reims.
Text: Roland Graf / Foto Header: Roland Graf
Die Nerd-Neujahrsansprache können Sie, dem WIENER sei Dank, jetzt schon für 2020/21 vorbereiten. „Wussten Sie, dass es Champagner erst seit 100 Jahren gibt?“, lautet ihr Kernsatz, den man sich als Merkhilfe auch aus dem Heft reißen kann (aber erst nach dem Weiterlesen!). Irgendwer wird dann schon den Mönch Dom Pérignon ins Treffen führen und sein „Brüder, kommt, ich verkoste Sterne“. Dann aber schlägt die Stunde des Sprudelsophen: Erst mit dem Friedensvertrag von Saint Germain, der am 16. Juli 1920 in Kraft trat, bekam die Champagne ihren internationalen Markenschutz von Österreich zugesichert. Nicht, dass wir so wichtig wären, aber den gleichlautenden Passus (Verbot „falscher Angaben über Ursprung dieser Erzeugnisse oder Waren“) hatte man den Deutschen, Ungarn und Bulgaren auch in ihre Urkunden zur Beendigung des Ersten Weltkriegs diktiert.
Sonst würden wir vermutlich heute noch mit einem „Vöslauer Champagner“ (so bewarb das Haus Schlumberger seine Schaumweine in der Monarchie) oder einer Perle aus der „Wiener Champagner-Fabrik“ anstoßen. Geht alles nicht, weil das „Comité Champagne“ mit Sitz in Épernay genau darüber wacht, dass das keiner tut, der nicht im 33.864 Hektar großen Gebiet der Champagne sitzt. Auch die gerne zitierte „Champagnermethode“ sollte man abseits der Marne nur im stillen Kämmerlein zitieren. Sie muss nun als „Méthode traditionnelle“ bezeichnet werden, wenn man von klassischer Flaschengärung beim Sekt sprechen will. Da kennt der Schutzverband nämlich kein Pardon. Wer anno 2019 eine real existierende Weltherrschaftskarte der Marke James-Bond-Bösewicht sehen will, findet sie auf der Seite des Comités (www.champagne.fr).
Sie zeigt aber auch Schockierendes: Leider gehören zu den 118 Staaten, die sich aktuell der französischen Sicht der Sprudel-Dinge beugen, weder Russland noch Amerika. „Autriche“ hingegen hält aktuell Platz 18 beim Champagner-Konsum und steht damit zwischen Mexiko und Dänemark. Doch Zahlen beschreiben das Phänomen Champagner ohnehin nur unzureichend. Man muss schon die Kellertechnik verstehen, um dem Welterfolg der unreif geernteten, säurigen Trauben näher zu kommen. Denn die Champagne und ihre Winzer setzen in der Regel eben nicht auf eine Rebsorte, sondern die „Assemblage“; in der Cuvée verbinden sich der reinen Sprudel-Lehre nach Kraft (liefert der Pinot Noir), Fruchtigkeit (vom Pinot Meunier) und Frische (der Part des Chardonnay).
Es sind nicht die einzigen Sorten (siehe „Kasten“ rechts!) in der Region, die ab und an per Gesetz auch vergrößert wurde in den letzten Jahrzehnten. Doch sie alle stammen mehrheitlich von den Traubenbauern, und nicht aus Eigenbesitz der großen Häuser. Mehrjährige Verträge binden die Traubenlieferanten an die „Maison de Champagnes“, so sie nicht selbst ihre Champagner vermarkten. Besonders groß ist das „G’riss“ um die Grand-Cru-Lagen, die in diesem Falle ganze Dörfer umfassen und nicht einsame Spitzenweingärten bezeichnen. Die heißen dann Avize, Aÿ, Cramant oder Le Mesnil-sur-Oger und sorgen für kennerisches Zungenschnalzen – und das Herzstück des 2,9 Milliarden Euro schweren Exportbusiness.
Wirklich greifbar wird die Sonderstellung des französischen Schaumweins beim Abstieg in die Crayères, die kathedralenartigen Kreidekeller, in denen der Champagner reift. In Reims führen Prachtstraßen zu den „Maisons de Champagnes“, in denen man viel auf Tradition hält. Ruinart macht da keine Ausnahme, schließlich versteht man sich mit Gründungsdatum 1729 als ältestes Champagner-Haus. „Genau genommen begann die Geschichte schon mit dem Handel mit den Weinen, den Dom Thierry Ruinart betrieb“, erläutert Jean-Baptiste Duquesne an der obersten von 138 Stufen, die gut 40 Meter unter die Erde führen.
Acht Kilometer lang führen die Gänge durch die 17 Kalkstöcke, die man erst recht spät als ideale Reifekeller entdeckte. Heute ist es ein Wunderland für Schaumwein-Freunde. 30 Monate statt 15 Monate reift man hier die „normale“ Qualität, den Brut-Champagner. „Gerüttelt wird das meiste aber mit Maschinen“, zerstört Monsieur Duquesne romantische Illusionen. Man merkt, dass er vom noblen Auktionshaus Artcurial zu Ruinart wechselte: Geschichten liebt auch der Kunsthandel, aber die Provenienz muss stimmen! Das tut sie in diesem Fall, vor allem im Magnum-Lager, wo bereits die Flaschengärung unter einem Korkverschluss und nicht – wie üblich – unterm Kronkorken erfolgt. „Alle größeren Formate werden nicht in der Flasche vergoren“, sondern in die drei, vier und sechs Liter großen Flaschen gefüllt. Das ideale Format, diesen Tipp gibt er Champagner-Freunden mit, ist also die Magnum. „Der Kopfraum für den Sauerstoffkontakt ist gleich groß (23 Millimeter) wie bei der Normalflasche“, wird es nun technisch in der Kreide-Kathedrale. Da das mit der doppelten Füllmenge interagiert, reift die Magnum langsamer. Zur Probe aufs Exempel reicht Jean-Baptiste Duquesne den Rosé-Jahrgangschampagner 2007.
Dieser „Dom Ruinart Millésimé 2007“ ist kein Nasen-Wein; er öffnet seine reiche Palette erst am Gaumen. Dann aber purzeln aus dem herrlich cremigen Mousseux die roten Früchte heraus wie aus einem Gaben-Sackerl: Cranberries, Dirndln und Schlehen, am Ende ist auch Vanillemark da. Das schmeckt und verweist auf eines der Geheimnisse des heimischen Dursts nach Schampus. Denn kaum jemand trinkt so viel Rosé-Champagner wie die Österreicher! Vor allem der Anstieg von 2017 auf 2018 ist nahezu unglaublich: Um 24.400 Flaschen legte der Konsum von „rosa“ Sprudel zu, womit nunmehr 17,55 Prozent aller hierzulande geköpften Champagner diese Farbe haben. Das ist doppelt so hoch wie der EU-Schnitt; Deutschland und die Schweiz halten bei ziemlich einheitlichen 9,8 Prozent Marktanteil.
Warum jede sechste Flasche hierzulande Rosé-Schaumwein enthält, bleibt ein Mysterium. „Der Rosé-Markt in Österreich ist extrem stark“, wundert sich selbst Champagner-Importeurin Katharina Wolf (Kate+Kon, die u. a. die Marken Bollinger und Ayala führt). Und es verblüfft angesichts der sonst eher zurückhaltenden Leidenschaft für Sprudel-Experimente: 98 Prozent aller 1,4 Millionen Flaschen Champagner in Österreich tragen den Hinweis „Brut“ am Etikett. Während sich anderswo die immer trockeneren Qualitäten ohne Füll-Dosage („Dosage zéro“ oder „Brut nature“ genannt) durchsetzen, bleibt man hier dem klassischen Modell treu. Wer will schließlich ausgerechnet zu Silvester mit Gewohnheiten brechen?
„Six cépages“ – rarste Champagner für Kenner
Es wird nicht richtiger, auch wenn es der Sommelier erzählt: Champagner wird nicht ausschließlich aus Chardonnay (weiße Trauben), Pinot Noir und Pinot Meunier (beides Rotweine) erzeugt. Da wäre auch noch der Pinot Blanc (Weißburgunder), Pinot Gris (Grauburgunder) Arba(n)ne und Petit Meslier, die vier so genannten „Cépages anciens“. Sie haben allerdings gerade einmal 0,3 Prozent der Anbaufläche für sich.
Diese 120 Hektar der raren Sorten bringen eine ultrakleine Menge an Schampus hervor – und der ist deutlich günstiger als viele Jahrgangschampagner. Gute Varianten wären der „Authentis“ von Duval-Leroy (100 % Petit Meslier), Drappiers Cuvée „Quattuor“ oder die „Cuvée 6 cépages“ von Moutard-Diligent, die alle Sorten außer Grauburgunder in einem Wein vereint.
Reims: Spritzenhaus des Champagners
Eilige Einkäufer auf Champagne-Tour sollten hier einkehren: Wenn nicht die Krönungskathedrale, das alte gotische Bauwunder Frankreichs, hier stünde, wäre das „La Caserne Chanzy“ auf allen Seiten von Champagner umgeben. Das lange Jahre umgebaute Hotel zog in die alte Feuerwehrstation von Reims ein. Verkostet wird entweder um die Ecke im „Société Champagne“, einem der wenigen Läden, der auch ausschenkt. Eingekauft im angeräumten Schaumwein-Pornoladen „La Cave des Sacres“.
Neben dem Spa sorgt „La Caserne Chanzy“ (Doppelzimmer ab 220 Euro) auch für inwendige Anwendungen: 60 Positionen umfasst die Schampus-Karte des „Spritzenhauses“ a. D. Und natürlich pflegt man auch Champagner-Cocktails mit verführerischen Namen wie „Gabrielle“ oder „Georgette“ an der ersten Reimser Adresse. Steht schließlich nicht umsonst auf den Tür-Hängern: „Bitte nicht stören, wir genießen gerade ein Glas Champagner.“