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Hedonisten schänden keine kleinen Ziegen

Demnach muss man sie auch nicht fürchten, wie es derzeit manche von einem erwarten. Und es ist auch nicht ganz einfach, Hedonismus richtig zu leben. Sagt einer, der es wissen muss.

Text: Götz Schrage / Foto Header: Getty Images

Da müssen Sie jetzt durch. Schmerzfreier Genuss wird Ihnen in diesem Text zwar grundsätzlich garantiert, aber ganz ohne philosophische Grundlagen kann es natürlich nicht gehen. Zwei Dinge sollten Sie wissen. Hedonisten schänden keine kleinen Ziegen, wie der ethische Relativist und Kabarettist Lukas Resetarits einst in einem seiner Programme ­bemerkte. Und Aristippos ist der vom Kreuzworträtsel und nicht der vom Katzenfilm mit Duchesse und Berlioz. Ach ja, und Sie werden den dicken Franzi kennenlernen. Der dicke Franzi ist der volle Hedonist, weiß es aber nicht, und deswegen ist er auch so perfekt in dem, was er tut. Wissen belastet. Lust und Nichtwissen passt viel besser. Die Hedonisten haben uns aus den Höhlen gebracht, sonst säßen wir noch in irgendwelchen ­Löchern und würden uns gegenseitig lausen oder die Gesichter abbeißen. Je nachdem. Dem Hedonismus verdanken wir den Single Malt, Miles Davis und den großen Hamburger mit doppelt Käse und extra Sauce. Den Hedonisten-Hassern verdanken wir die Darmspülung, die Begegnungszonen und den Soja-Latte ohne Soja, dafür mit Reismilch und ­Birkenzucker.

Machen wir uns nichts vor. Unsere Bilanzen sind doch so oder so ver­heerend. Wir atmen dem Weltall den Sauerstoff weg, brauchen viel Platz und reden die meiste Zeit Unsinn. Jeder Mensch, der nicht auf die Welt kommt, kann zumindest nichts anstellen, und die, die da sind, haben doch für ihr pures Dasein die inhärente Verpflichtung, ihr Glück zu finden. Sonst fühlen sich doch die verarscht, die nicht da sind, weil es sie nicht gibt. Anzunehmen, dass jemand nicht beleidigt sein kann, bloß weil er inexistent ist, wäre doch ziemlich herablassend für ein ­Minisandkorn von Mensch in dieser unendlichen Milchstraße. Zwischen Minisandkorn und gar nicht da sein stehen letztlich nur die richtige ­Flasche Rotwein, die genagelten Maßschuhe und das richtige Duftwasser.

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Ich habe mir gerade ein Auto gekauft. Viel zu schwer, viel zu lang und viel zu stark für mich. Außerdem muss ich mich beim Einsteigen verbiegen und kann ja grundsätzlich nicht wirklich einparken. Die Sensoren schlagen an wie bei „Das Boot“ nach den Wasserbomben, wenn ich nur in die Nähe einer möglichen Parklücke komme. Aber ich liebe dieses Auto jetzt schon, und ich liebe seine Geschichte. Ich habe das Auto von einem Syrer gekauft. Der hatte mit knapper Not den Krieg überlebt, alles verloren, was er hatte, und er hatte nicht wenig. Durch die Demütigungen der Lager, der Verfahren gegangen und dann doch Asyl im ersten Verfahren bekommen. Zwei Jahre in zwei Jobs gearbeitet, kein freier Tag, jeden Euro gespart und sich dann für alles, was er hatte, dieses unkluge Auto gekauft. Das war seine Therapie. Dieses Auto hat ihn versöhnt mit fast allem. Jetzt ist er reif für einen vernünftigen Wagen und braucht ihn auch wegen dem Nachwuchs und so. Ich brauche nichts Vernünftiges. Vernünftig sein langweilt mich mit zunehmendem Alter immer mehr.

Hedonismus ist aber mehr als Therapie gegen den Weltschmerz. Sie ist auch eine Kulturleistung für sich. Unsere Ziele müssen doch im Glück liegen. Das ist mit Abstand das Gescheiteste in unserer Ungescheitheit. Wer sein Glück und seine Lust dadurch gewinnt, dass der andere nichts hat und er selbst quasi alles, ist einfach ein Arschloch, kein Hedonist. Und wer den Hedonismus nicht versteht, soll sich ­lieber als Proponent des Verzichts versuchen oder sein Leben ganz gegen die Wand fahren und zu den Grünen gehen.

Mein Freund Matthias macht alles falsch, hält sich aber für einen wahren Genussmenschen. Ganz schlecht verdient er nicht, ganz wenig hat er auch nicht geerbt, sondern eher ganz viel. Jedes seiner ­Möbel ist von ausgesuchtem Design, jede Ecke seiner Wohnung riecht nach Innenarchitektur-Magazin, und die Putzfrau muss duschen, bevor sie putzt. Hinterher darf sie, vorher muss sie. Matthias ist alleine. Sehr alleine. Die Frauen mögen ihn zwar, und vögeln tut er wahrlich genug auf seinen Luxus-Wellness-Wochenenden und Städtetrips. Aber letztlich scheitern seine Beziehungen dann alle. „Weißt du, ich hätte schon gerne eine Freundin, aber letztlich überwiegt dann doch die Angst, dass mir eine feste Freundin meine Möbel kaputtmacht“, sagt er und andere Sachen, die sein ganzes Dilemma zeigen. Jetzt hat er meist junge Freundinnen, die gar nicht so scharf sind darauf, seine Wohnung zu sehen, die lieber ein neues iPhone wollen oder solche Sachen. Wenn die dann über Weihnachten daheim in Rumänien sind und ich mein Handy wohlweislich nicht abhebe, sitzt er alleine vor seinem Designer-Couchtisch und weint, und dabei muss er auch noch aufpassen, dass keine Tränen auf den Chinalack tropfen, weil das macht hässliche ­Flecken.

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Hedonismus kann also manchmal unklug sein, wenn er von den falschen Menschen gelebt wird. Es sollte Kurse geben, oder die Vera Russwurm sollte es im Fernsehen erklären. Wenn die Dinge, die einen glücklich machen sollten, zum hysterischen Totem werden, ist vorbei mit lustig. Dann kann man vom Franzosen lernen, der hat ein schönes Auto, aber fährt damit durch den Dreck, wenn die richtige Frau wartet.

Oder man kann vom dicken Franzi lernen. Den habe ich im Vorspann versprochen, und den liefere ich jetzt zum Ende als philosophischen Höhepunkt. Der dicke Franzi hat das Leben in zwei Phasen eingeteilt. In das Jetzt-Leben und das Nachher-Leben. Der dicke Franzi ist vernünftig genug, wenn man ihn nach einer Nacht mit Spiel, Spaß und Table-Dance ermahnt, auch mal auszuschlafen. Er hat nur den vernünftigen Teil fest terminiert. „Ausruhen kann ich mich dann, wenn ich tot bin“, sagt er, und das meint er auch so. Der dicke Franzi hat seine Antizipation der Lust perfektioniert. Ähnlich dem unerklärlichen Flug der Graugänse ist er immer dort, wo es schön ist. Irgendwie hat er auch Glück mit Chemie, so, als ob er als Kind in den Ecstasy-Topf gefallen wäre. Er weiß immer, wo es die beste Topfenkolatsche der Welt gibt. Nennt die hübscheste Parkraumüberwacherin der Stadt seine Freundin, und die Freundin seiner Freundin hat mal seine Freundin angerufen, weil die Freundin der Freundin auch bei der Parkraum­überwachung arbeitet, und dann ist der dicke Franzi gelaufen gekommen und hat sein Auto aus der Ladezone geholt. Der dicke Franzi will im Jetzt-Leben das Leben genießen, und mit den schönen Dingen fällt das dann doch viel leichter. Nichts Ungesundes essen tut er dann in der Kiste, sagt er, und da hat er recht irgendwie. Und den dicken Franzi lieben auch die Frauen wirklich und selbstlos, weil er auch immer so glücklich ist. Seit Paris Hilton wissen wir: Wer ein glückliches Gesicht hat, braucht keine großen Busen. Wenn dem dicken Franzi die Topfenkolatschen weiterhin so gut schmecken, hat er bald beides.

Ich persönlich setz mich jetzt in mein schönes Auto und fahr zum ­Burger King. Seit der Zeile in der Einleitung mit dem Hamburger und extra Sauce war mir klar, wie das endet. Sollte ich eine hübsche Parkraumüberwacherin kennenlernen, lade ich sie zu mir nach Hause ein und zeig ihr meine Möbel. Ich kenn da keine Angst, und eine Flasche besten Single Malt habe ich auch noch im Schrank. Das Leben ist schön.