AKUT

Naidoo in Bullerbü

120 % aller Beziehungen haben den Lockdown nicht überlebt, habe ich aus sicherer Quelle ­erfahren (Xavier Naidoo). Also beinahe mehr Paare haben sich getrennt, als es eigentlich gab. Manchmal haben sich sogar Singles getrennt. Das ist nur würdig und recht. Wer sagt, dass Singles benachteiligt sein sollten, was Probleme mit Partnern betrifft? Jeder kommt allein und geht allein, und dazwischen bleiben viele allein. Das ist konsequent. Auch siamesische Zwillinge, falls man die noch so nennt. Politisch korrekt heißen sie wahrscheinlich komplizierter, aber Sie lesen den WIENER und werden jetzt auch nicht auf dem neuesten Stand der Korrektheit sein. Ich bitte also um Nachsicht, wenn ich von siamesischen Zwillingen schreibe. Jedenfalls gab es den berühmten Fall eines siamesischen Zwillingsbrüderpaares, von denen einer Alkoholiker war, so dass durch den gemeinsamen Blutkreislauf auch der andere gegen seinen Willen immer betrunken war. Das Beispiel zeigt eindrucksvoll, wie schädlich zu enge Bindungen sein können. Aber weil der WIENER ein Gute-­Laune-Blatt ist, möchte ich zwei ans Herz gehende Liebesgeschichten erzählen.

Zum einen eine Geschichte, die Astrid Lindgren einmal im Radio erzählt hat. Sie war ­überraschend zu Besuch bei ihren Eltern in Bullerbü oder wo auch immer in Schweden ihre Eltern lebten. Sie kam unangemeldet und betrat den Garten, wo sie von hinten ihre beiden sehr alten Eltern auf einer Gartenbank sitzen sah. Sie hielten Händchen, und der alte Herr Lindgren sagte zur alten Frau Lindgren: „Gell, da sitzen wir und haben’s schön.“
Astrid war glücklich, so glückliche Eltern zu haben.

Laut Xavier Naidoo kann man zwar nicht glücklich sein, weil in einem verzweigten, unterir­dischen Labyrinth Millionen Kinder von Hillary Clinton aufgefressen werden, trotzdem war ich auch gerührt von dieser Geschichte. Mir rutschte geradezu mein Aluhut vom Kopf herunter. Xavier und dem veganen Koch und ein paar anderen Menschen, denen ich sofort abnehme, dass es Chemtrails gibt, weil ­diese Chemtrails ihnen offenbar direkt ins Hirn geschossen sind, mag ich jetzt naiv vorkommen. Noch dazu habe ich das Interview auf Ö1 gehört. Und wenn das nicht Mainstream ist und ­direkt von Bill Gates und Satan finanziert wird, dann weiß ich es auch nicht.

Unkritisch, wie ich bin, halte ich das Bild der Lindgrens auf der Holzbank für heilsam. Es gibt also so etwas wie eine geglückte Beziehung, auch nach vielen Jahren. Xavier hat sich von den Söhnen Mannheims getrennt, oder vielmehr sie sich von ihm. So wie manche siamesischen Zwillinge sich trennen müssen, weil der andere dämlich ist oder furchtbaren Mundgeruch hat. Na ja.

Die andere Geschichte hat mir ein Freund erzählt, der glaubt, dass man die Krise am besten durch Abstand und Mund-Nasen-Schutz bewältigt. Also auch ein Systemirrer. Aber sehr nett. Ich schätze ihn als Freund sehr. Er besuchte seine im Sterben liegende Schwiegermutter. Sie ist eine tolle Frau, 85, und lebt seit Jahrzehnten in wilder Ehe mit ihrem 84-jährigen Liebhaber. Mein Freund kam in die Wohnung und fand beide im Bett, Hand in Hand, lächelnd. Still und glücklich. Mein Freund strahlte verträumt, als er mir ein Foto zeigte, das er von diesem wunderbaren Liebespaar gemacht hatte. Dass es so etwas gibt. Still und glücklich. Einfach froh sein, dass es den anderen gibt.

Und weil ich gerade so im Thema bin, fällt mir noch eine dritte Geschichte ein. Sie wurde mir von einer Frau erzählt, deren ­Vater im Koma lag und an einen Herzmonitor angeschlossen war. Das Gerät zeigte eine gleichmäßige Herzbewegung. Nur wenn seine Ehefrau kam und seine Hand streichelte, schlug es aus. Da tanzte das Herz des Manns im Koma. Verrückt.

Leider habe ich keine Erklärung für die drei Liebesgeschichten. Das muss man wohl selber herausfinden, wie das geht. Xavier und der vegane Koch werden da nicht helfen können. In Wirklichkeit können die bei gar nichts helfen. Love ist the answer, and the answer is love.


Dirk Stermann
kolumniert seit Jahren im WIENER, heißt wöchentlich Österreich ­willkommen und ist erfolgreicher Autor.