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Marlon Phoenix – Ch-Ch-Changes

Es ist nicht leicht, „real“ zu sein. Aber man kann es versuchen. Binnen weniger Jahre verwandelte sich eine Linzerin namens Marlene via Zwischenstop Mavi in Marlon Phoenix. Konsequenz: simply sagenhafte Musik.

Foto: Kyra Sophie

Es ist schon über ein Jahr her, dass er sich zu einem radikalen Haarschnitt entschloss. Ein Haircut, für Millennials immer eine dramatische Sache, für Marlon Phoenix etwas mehr. Schluss mit weiblicher Signatur, was gerade noch über die Ohren Geratendes mit Mittelscheitel musste her, in etwa „Der Mann, der vom Himmel fiel“, selbstverständlich auf Instagram gepostet. Was Fans seiner Lieder schon lange wussten – dass sich da ein bewusst werdender Mann in einem Frauenkörper Luft verschafft –, hat andere Leute offenbar schwer verunsichert. Binnen Kurzem hatten sich 500 Follower von seinem Instagram-Konto verabschiedet. Letzter etwaiger Zweifel sollte mit Veröffentlichung des Albums „Boys Toys“ beseitigt sein. Was da mit dem Titelsong noch bubenhaft verspielt beginnt, fährt dir bei der Folgenummer „12 Inch“ quasi mit dem Arsch ins Gesicht, da hat er schon einen Riesenschwanz und fickt seine Mutter. Ein feiner Song, so geht Outing.

Phoenix nennt keine Vorbilder, aber David Bowie, der Mann, der als Ziggy Stardust in den 1970er-­Jahren Androgynität zum Thema machte und als Jerome Newton filmisch vom Himmel fiel und auf Erden zu einer neuen Sexualität finden musste, um mit seiner am Heimatplaneten zurückgelassenen Frau connected zu sein, ist immer dabei. Auch musikalisch. Der Beat von „12 Inch“ ist mit jenem von „Soul Love“ (zweite Nummer auf „Ziggy Stardust“) praktisch ident, Bowies Message nützlich: „It is okay to be different.“

Müßig zu erwähnen, dass das Album ein fantastisches Werk ist, es sprüht vor Energie. Er verbalisiert oft den Wunsch, endlich „real“ zu sein, also öffentlich ehrlich, und das Ding hört sich so an. Das Thema ist hochaktuell, die Grünen boxten im BMI-Erlass sechs Optionen beim Geschlechtseintrag durch, angesehene Popkritiker werfen mit Phrasen wie „neue Subjektivitäten, weder von Natur noch Herkunft determiniert“ und „Raum für Uneinigkeit mit sich selbst“ herum. Aber Marlon Phoenix kann das egal sein. Er ist busy. Transgender ist kompliziert, Transmänner haben wenig History. Marlon hat das soziale Geschlecht gewechselt, das biologische Geschlecht wirft noch etliche Fragen auf, Ängste inklusive. Good luck & no worries: Boys always work it out.

Info: Die für November geplante Deutschland-Tournee von Marlon Phoenix wurde abgesagt, detto die Termine in Wien (14. 11.) und Graz (26. 11.); sein Song „Identical“ ist in Sofia Coppolas neuem Film „On the Rocks“ im Einsatz, Release Date: 23. 10. 2020