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Die Realität ist das, was uns täuscht – Dirk Stermanns Kolumne im WIENER W431

Was schenkt man einem Politiker zum Geburtstag? Fragt sich unser Kolumnist Dirk Stermann – und hätte da einige Vorschläge parat für Herbert Kickl, der vor kurzem seinen 50er feierte.

Wundern Sie sich nicht, wenn Sie demnächst einmal in Bayern Zug fahren, eine junge Frau in ­Ihrem Abteil ihr Handy zückt und plötzlich der Satz „Halt bitte die Schnauze, das interessiert doch keine Sau!“ erschallt, von mir ­gesprochen. Wenn Sie diesen Satz hören, dann hat gerade irgendjemand oder haben vielleicht Sie selbst einen rassistischen Satz ­gesagt. Ich habe vor wenigen Tagen einen Brief von dieser Bayerin ­bekommen. Sie schrieb mir, dass sie via Facebook diesen Satz zugeschickt bekommen hat. Einen Satz, der schon sehr alt ist. Um das Jahr 2002 haben wir in unserer Radiosendung „Salon Helga“ eine Rubrik gehabt, in der dieser Satz als Jingle immer wieder mal in Gesprächen eingespielt wurde. „Halt bitte die Schnauze, das interessiert doch ­keine Sau!“ Es gab damals auch T-Shirts mit diesem Satz, als ­kleines Merchandising-Goodie unserer kleinen Radiosendung.

Der Satz ist jetzt 16 Jahre alt und ich frage mich, wie oft man ihn in dieser Zeit hätte verwenden müssen. Allein in den letzten Wochen hätte der Satz eine Dauerrotation bekommen können. Die junge Bayerin hätte diesen Satz gerne abgespielt, als im Zug ein Mann so wie der aus Bayern stammende deutsche Innenminister Seehofer sprach, der sich im Sommer während ­einer Pressekonferenz herzlich darüber amüsierte, dass an seinem 69. Geburtstag 69 Asylbewerber abgeschoben wurden. Laut hat er gelacht, weil das ja ein köstlicher Zufall war. Vielleicht wars auch ein gut überlegtes Geschenk seiner Behörde. Das muss man sich ja immer gut überlegen: Was schenkt man seinem Minister zum Geburtstag? Der Mann hat ja mit 69 alles? Da ist so ein Geschenk natürlich eine tolle Idee.

Was schenkt man zum Beispiel Herbert Kickl, der wurde am 19. Oktober fünfzig. Ein großes Jubiläum eines kleinen Mannes. Worüber hätte er sich wohl wirklich gefreut? Über das alte Salon-Helga-T-Shirt? Das könnte er ­anziehen, wann immer ihm ein ­kritischer Journalist gegenübersitzt. Oder man schenkt ihm gleichgeschaltete Medien. Alle Zeitungen werden dichtgemacht, bis auf Österreich und Krone, und alle Sender bis auf Servus TV und ATV, die aber nur mehr Polizeisendungen produzieren, in denen Kickl als oberster Herr über Recht und Sicherheit in jeder Folge einen Heldenauftritt hat. Natürlich im Riefenstahl-Style, von unten ­gefilmt, was ihn heldenhafter ­erscheinen lässt. Von oben gefilmt verschwindet er ja im Erdreich, unser Geburtstagskind.

„50 ist ein ­Alter, in dem man klassisch sein Leben noch einmal durcheinanderwürfelt. Das würde ich Herbert Kickl wünschen. Denn dass das, was er als Realität sieht, nicht die Realität ist, wird er wissen.“

Auf der anderen Seite ist ­fünfzig ja ein Alter, in dem man klassisch sein Leben noch einmal durcheinanderwirbelt. Das würde ich ihm wünschen. Das bisherige Leben hinterfragen und vielleicht noch einmal etwas Sinnvolles ­machen? Vielleicht doch noch das Studium abschließen? Er hat ja begonnen, Philosophie und ­Geschichte zu studieren. Wahrscheinlich ist er in der Philosophie nur bis Macchiavelli und Heidegger gekommen, und in der Geschichte nur bis 1938. Es könnte sich für ihn lohnen, in beiden Fächern tiefer in die Materie einzutauchen.

Oder er haut auf die Politik den Hut drauf und eröffnet eine Pferdezucht. „Pony-Kickl“. Irgendwo bei Villach Koppeln eröffnen und im Zusammenleben mit den Pferden sich selbst therapieren. Die Welt ist so groß, gerade für jemanden, der selbst kein Goliath ist. So mannigfaltig. Vielleicht einmal ins Ausland ziehen? Eine Zeitlang fremd sein? Und hoffen, dass man von den Einheimischen gut behandelt wird? Dass man sich in Wahlkämpfen auf Plakaten nicht herabgesetzt fühlt? Das könnte eine gute Erfahrung sein. Ach, der Herbert Kickl könnte noch so viel vor sich haben, würde er nicht immer nur in seinen ewiggestrigen Gedankenwelten verhaftet bleiben. Das würde ich ihm wirklich wünschen: sich neu erfinden zu dürfen. Denn glücklich wirkt er nicht. Ausgemergelt und verschwitzt, verbraucht von zu vielen Jahren des Reimens und des Sich-­dennoch-keinen-Reim darauf-­machen-Könnens, wie gut alles sein könnte, wenn man es anders versuchen würde. Ich mag Menschen, die sich Neues zutrauen. Sich selbst überraschen. Einen Schnitt machen. Neue Ufer suchen. Andere Realitäten. Denn dass das, was er als Realität sieht, nicht die Realität ist, wird er wissen. Die ­Realität ist das, was uns täuscht. Das wird er in der Einführungs­veranstaltung am Institut für ­Philosophie gelernt haben.

Lieber Herbert Kickl: Kopf hoch. Und nachträglich alles Gute zum fünfzigsten Geburtstag. Das Leben ist zu kurz, um es nicht in allen Facetten zu genießen.

Foto: © Udo Leitner