AKUT

Schlammgigolos

Nach Auftritten muss ich am ­jeweiligen Parkplatz des Theaters Zuschauerinnen für sexuelle Dienste zur Verfügung stehen. Das ist Teil meines ORF-Vertrages. ­Jedes zweite #MeToo-Posting stammt von mir. Das sag ich bei ­jedem meiner Auftritte. Manchmal wird gelacht, manchmal geklatscht. Ich habe mich immer ­gefragt, ob es irgendjemanden gibt, der dann nach Auftritten tatsächlich auf dem Parkplatz auf mich wartet und sich dann denkt: Typisch ORF-­Arschloch, da steh ich jetzt gamsig, und der Trottel kommt nicht.

Ich nehme einmal an, dass das relativ selten bis gar nicht geschieht. Ich weiß es nicht, weil ich nach dem Auftritt noch nie auf dem Parkplatz nachgesehen habe. Wer weiß, vielleicht stehen dort lange Schlangen. Die Männer sitzen in ihren Autos, und die Frauen warten auf mich. So wie es Dean Martin gemacht hat. In seiner ­Autobiografie steht, dass es nach seinen hochbezahlten Auftritten immer so gewesen sei: Die Männer unterschrieben die Schecks für ihn, während er selbst mit den Frauen dieser Männer aufs Zimmer ging. Ziemlich wortlos hat er das gemacht. Ein Kopfnicken reichte, und die Damen der reichen Herren kamen aufgeregt mit.

„Wanna talk-see a priest“, war sein Motto. Natürlich blieb wenig Zeit für Konversation, weil das Ausstellen eines Schecks ja selbst bei des Schreibens Unsicheren nicht allzu lange dauert.

Dean Martin ist wie mein ­Onkel. Beziehungsweise ist mein Onkel wie er. Onkel Stermann ist 80 und steckt noch immer in einer Deanmartinhaftigkeit. „Man kann nicht alle Frauen auf der Welt kennenlernen, aber man kann es versuchen“, ist sein Motto.

Während mein Parkplatzsatz als Witz gedacht ist, würden Dean Martin und mein Onkel den Satz ganz ernst meinen.

„Erst im Grab wird das auf­hören“, sagte mein Onkel, als ich ihn fragte, wann dieses sexuelle Interesse an Frauen bei ihm wohl enden würde. Dean Martin pfeift wahrscheinlich auch noch aus dem Grab Frauen hinterher. So, wie es ein italienischer Bauar­beiter aus der Grube machte, die Schaufel in der Hand, zwei Meter unter dem Gehsteig. Ich war 15 und verdiente mir am Bau Geld für eine Vespa. Der Italiener stand neben mir im Loch, schaute aber nie so wie ich verbissen ins Erdreich, sondern immer hinauf. Auf Röcke und Beine. Gefiel ihm, was er sah, pfiff er. Er war dumm wie Brot, aber fit im Schritt.

Dean Martin, mein Onkel und der italienische Bauarbeiter. Ein toter weißer Mann, ein alter weißer Mann und ein Schlammgigolo. Männer, bei denen ich mich schwer tue, sie im Diskurs zu ­verteidigen. Zu einseitig und zielgerichtet sind und waren die drei. Aus der Zeit gefallen. Ein Männer­bild, als käme es aus der Schwarz-Weiß-Ära. Die haben sich niemals auch nur im Ent­ferntesten Gedanken darüber gemacht, wie Geschlechter miteinander in gegenseitigem Respekt leben sollten. Aus ihnen sprach nur der Schwanz, der im Alter immer grotesker aussah, aber tat, als wäre er fünfzehn und schön. Die Umgebung des Schwanzes zugemüllt mit Prostatabrocken, aber trotzdem jeder Frau zuwinken. Ich bin froh, dass ich da gefühlte drei Generationen weiter bin in der Evolution. Der Schwanz ist dressiert, vor allem aber der Kopf. Das geht. Sehr gut sogar. Und ist für alle Beteiligten besser.

In einem mittelgroßen Ort am Land bin ich gestern aufgetreten. Auf der Bühne erzählte ich wieder vom Parkplatz und dass ich später dort benutzbar sei. Man lachte und klatschte vereinzelt.

Nach dem Auftritt fuhr ich gleich ins Hotel, den Parkplatz habe ich gar nicht gesehen. Heute Morgen kaufte ich in dem mittelgroßen Ort in einer Trafik etwas ein. Die Trafikantin schaute mich fassungslos an.

„Ich war gestern bei Ihrem Auftritt, und jetzt stehen sie hier in meiner Trafik“, sagte sie. Ihre Wangen waren rot, ich sah, wie ihre Hände zitterten. Vielleicht war ich der erste Mensch aus dem Fernsehen, den sie jemals in ihrer Trafik gesehen hatte.

„Ja“, sagte ich. „Jetzt steh ich hier in Ihrer Trafik.“

„Ich war gestern noch lange am Parkplatz. Aber sie kamen nicht“, sagte sie.

Ich lächelte irritiert. „Guter Witz“, sagte ich.

„Kein Witz“, sagte sie. „Ich habe hinten in der Trafik ein Kammerl.“


Dirk Stermann
kolumniert seit Jahren im WIENER, heißt wöchentlich Österreich ­willkommen und ist erfolgreicher Autor.

Foto: Udo Leitner