GENUSS

Prep oder Depp?

Für Gerne-Köche, die nur nie dazu kommen, hatte der verordnete Hausarrest nichts Schreckliches. Endlich war zwei Tage Zeit für die perfekte Consommé! Und allein das im November fermentierte Gemüse würde sämtliche Verstopfungs­patienten Ostösterreichs kurieren. Nur ­Ihrem armen Kolumnisten gönnte Corona und Company wieder mal keine wohlverdiente Pause. Unsereins hat ja eine ähnliche Superkraft wie Peter Parker. Der mit dem „Spinnen-Sinn“, Sie wissen schon. Kaum, dass man einmal unbedarft nach Online-Rezepten sucht, überfällt einen der Aufreger quasi hinterrücks:

Der dritte Oolong-Aufguss war perfekt gelungen, der Haferkeks knirschte zwischen den Backzähnen, und es sah nach einem Tag für eine Kalbspastete aus. Wo doch tags davor endlich der Riesling mit dem kecken Restzucker eingetroffen war. Also surfte ich hin, googelte her – und dann DAS: „Meal Prep“-Tipps. Einen ausgehusteten Keks und eine nachgetrunkene Teeschale später verstand ich allmählich, was Mademoiselle Bloggerin dem verkutzten Leser da sagen wollte: Das gute alte Vorkochen ist ­Instagram-würdig geworden.

Wenn das der Großvater noch erlebt hätte! Jeden Werktag ging er mit seiner gelben Jausenbox zum Bus, der ihn eine gute Stunde später bei der „Bude“ ausspuckte. Ob „Zwa-Zehner“-Schicht oder „Sechs-Zwarer“, das Highlight war immer das Öffnen der Box. Bohnenstrudel, Faschierte Laibchen oder auch nur Wurzelspeck – das Vorbereitete wurde ratzeputz am Firmengelände verzehrt. Das war so. Und es war notwendig. Schmeckte auch. Nur „hip“ war es nie.

Als „Meal Prep“ – ohnehin ein fragliches Frauenbild aus dem Jahr 1870 propagierend – wird nun also auch noch die gute alte Jause zur digitalen Verklärung des Restl­essens. „Die Reste des Couscous kann man am nächsten Tag in einen Salat mischen“. Spannend. Und dafür braucht es also ein Kochblog? Was hätte der Opa gesagt zu Ratschlägen wie diesen? Vielleicht: „Koch halt weniger“. Denn die wahren Feiertage für ihn waren jene, wenn nicht aus der gelben Box gegessen wurde. Sondern am Tisch frisch Gekochtes stand.

Aber wer weiß, was 2021 noch für Rezeptsammlungen angelegt werden. „Cool Putting“ – Feines aus dem Kühlschrank nehmen? „Tin Opening“ – aus der Dose aufs Brot? Ich werde jedenfalls im neuen Jahr radikal verzichten. Auf Online-Rezepte.


Roland Graf
Der bekennende (und in der heimischen Gastroszene Bunthund-bekannte) Genussmensch ist unermüdlich auf der Suche nach dem guten ­Geschmack.