AKUT

No Sex, please, du bist Hetero.

Manfred Sax

Gönne deiner Maskulinität eine Pause, Buddy. Du hast den „männlichen Blick“.

Text: Manfred Sax / Foto: Focus Features

Mein Freund, der Schriftsteller, ist derzeit nicht wirsch. Er schreibt gerade an einem Thriller und steckt im entsprechenden Dilemma. Es regnet von allen Seiten Interventionen, klagt er, der Markt gibt sich über die Maßen nervös. Auf keinen Fall dürfe Sex ins Buch, das geht nun mal gar nicht, und bitte keine Alkoholiker oder Raucher. Aber sonst sei einiges möglich: Der Held zum Krimi könnte Veganer sein und dem Täter per Fahrrad auf der Spur, oder wie wär’s mit einem buddhistischen Mönch im Designeranzug, der gerade ein Burn-out hinter sich hat? Aber jedenfalls kein Sex. Kurz: Es habe schon mal mehr Spaß gemacht, einen Krimi zu verfassen.

Ethan Hawke, der Filmstar, ist einen Schritt weiter. Sein Buch (1) ist bereits am Markt, kein Wunder, er hatte Zeit, im Filmgeschäft ist nicht wirklich die Hölle los. Aber einfach war es nicht, gestand er in einem Interview: „Es ist schwierig, wenn du über die Eigenheiten menschlicher Sexualität offen sein willst. Wir sind gerade in einer Phase, wo du nicht mal über schlechtes Benehmen schreiben kannst, man könnte ja annehmen, dass du dieses Benehmen billigst. Es ist eine schreckliche Zeit, über männliche Sexualität zu reden. Und wenn du kein Licht in die dunklen Ecken werfen kannst, werden die Dämonen, die dort hausen, nie verschwinden.“ (2) Also sprach Mister Hawke, ein Mann, der mit seiner „femininen“ Seite auf Du und Du ist wie kein zweiter, man denke an die „Before“-­Trilogie(3), wo er mit der großartigen Julie Delpy stundenlang nur redete; so was musst du mal drauf haben als Mann.

Aber hey, so ein oberflächliches Bild vom männlichen Hetero mit den Dämonen in der dunklen Ecke kann unter anderem auch praktisch sein. Es erleichtert Entscheidungen. Keira Knightley, die englische Aktrice, veräußerte ­unlängst (4), dass sie keine Sexszenen mehr drehen werde, wenn ein Mann Regie führt. Weil da eben dieser „Male Gaze“ am Werk sei, sagte sie, der „männliche Blick“. Dieser Blick sei nicht ihr Ding, er führe nur zu „schrecklichen Sexszenen, wo du von oben bis unten eingefettet bist und alle Beteiligten grunzen“. Wie Ms. Knightley es sieht, hat der Mann zu diesem Blick tatsächlich eine ziemlich beschränkte Sichtweise: „Er sagt mir, was es bedeutet, eine Frau zu sein. Sei nett und hübsch, aber nicht zu hübsch; sei dünn, aber nicht zu dünn; sei sexy, aber nicht zu sexy. Mit so einem Mann will ich nicht flirten, weil ich ihn nicht ficken will. Und ich will ihn nicht bemuttern, weil ich nicht seine Mutter bin. Das männliche Ego. Geh mir aus dem Weg!“ Tja. Als Bild vom Mann nichts wirklich Neues; aber wer sagt denn, dass nur Männer Klischees bemühen dürfen?

Im Übrigen sind demnächst (5) die Oscars 2021, und um den düster-komischen Streifen „Promising Young Woman“ herrscht ein ziemliches Gsturl. Man möchte meinen, dass die #Metoo-Sache als Thema nicht mehr viel hergibt, nur ist sie eben auch ein Politikum, so was braucht Zeit, um Fuß zu fassen. Soll heißen, dass sich auch ein relativ marodes Skript zum Oscar-Favoriten mausern kann, wenn die Eckdaten stimmen. Als da wären: weiblicher Regisseur (hier: Emerald Fennell, in „The Crown“ auch als Camilla Parker Bowles im Einsatz), starke Hauptdarstellerin, Mann in Sachen sexueller Missbrauch unterwegs. Der Plot: Frau begibt sich mutmaßlich besoffen quasi als Köder in eine Bar und checkt, ob sie da ein potenzieller Missbraucher abschleppt, um sich dann an ihm zu rächen. Und tatsächlich: Solche Männer gibt es. Wer hätte das gedacht? Also abgesehen davon, dass es spätnachts in einer Bar immer irgendeinen entsprechend underfuckten Trottel geben wird, sonst wär er nicht spätnachts in einer Bar. In der Hauptrolle die famose Carey Mulligan, die dem Film zusätzliche Publicity bescherte, nachdem Filmkritiker Dennis Harvey („Variety Magazine“) meinte, dass sie, „eine großartige Schauspielerin“, aber eine „seltsame Wahl“ für die Rolle dieser Femme fatale sei. Darauf Mulligan: „Meint er, ich sei nicht heiß genug?“ (6) Nun, das meinte der Filmkritiker natürlich nicht, wie auch? Eine hoffnungslos besoffene Frau muss nicht „hot“ sein, um spätnachts abgeschleppt zu werden. Aber ihr Einwand („Sexismus!“) war für die „Variety“-Macher genug, um sich öffentlich zu entschuldigen und Harvey vor den Zug zu werfen.

Also: Es gab schon mal bessere Zeiten, ein Mann zu sein. Es ist keine nette Zeit für Heterosex, das Klischee vom „männlichen Blick“ ist immer und überall und gemein auch, dass man im Jahr der Maske praktisch nur noch deine Augen sieht. Aber eigentlich hast du dich daran gewöhnt. Du hast dich daran gewöhnt, im Auto zu sitzen, und im Autoradio auf FM4 plaudern Girls über Mavi Phoenix und neue Geschlechter, und Männer mit Bubenstimmen präsentieren kongeniale Musik, so als wäre Stimmbruch eine Sache von gestern. Und sollte zur vollen Stunde einmal ein Nachrichtensprecher auf Bariton zu Wort kommen, reißt es dich fast vom Ledersitz.

Dumm nur, dass demnächst auch Frühling ist und die Gefühle unweigerlich in den Unterleib geraten, dazu braucht es nur einen guten Arsch am Gehsteig. Ein Wohlgefühl, nicht weniger. Aber alles, was du bestenfalls hast, ist Nostalgie. Die Siebzigerjahre, zum Beispiel. Als Sex das große Ding war, aber niemand wusste, wie es geht. Liebemachen war Learning by Doing und der Punkt dazu immer zweigleisig: die Zuneigung zu „The Other“ und die Zuneigung zu Sex. Nenne es positive Objektivierung. Die Frau ist ja nicht nur die Person, mit der du das Kissen teilst, sie ist auch Göttin. Potenziell ein Konzept der Kultur, das als Idee den folgenden Generationen nachgereicht werden konnte, also: theoretisch. Nur hat das nie funktioniert. Es hat anno Babylon nicht funktioniert, als man der Göttin Ishtar im Oberstock des Turmes einen Tempel errichtete, weil es da also gleich auch Priester gab, die Frauen zur Prostitution zwangen. Es funktionierte in der Moderne nie, weil Erektion mehr ist als nur ein Gedanke und der Mann über seine eigene Unzulänglichkeit nicht lachen kann. Es ist alles sehr kompliziert. Aber hast du doch mal die Chance, denk daran: Vergiss den Blowjob, mach Cunnilingus. Dort wohnt die Göttin.

(1) Ethan Hawke: A Bright Ray of Darkness, Penguin Books, ISBN: 9781785152597.
(2) www.theguardian.com/books/2021/jan/30/ethan-hawke-its-just-a-petrifying-time-to-speak-about-male-sexuality
(3) Before Sunrise (1995), Before Sunset (2004), Before Midnight (2013)
(4) www.theguardian.com/film/2021/jan/25/keira-knightley-wont-shoot-sex-scenes-directed-by-men
(5) The Oscars, geplant für Sonntag, 25. April 202
(6) www.theguardian.com/film/2021/jan/28/carey-mulligan-review-variety-promising-young-woman