AKUT

Im Gemeindebau ganz oben

Manfred Rebhandl

Der Impressario, als den man ihn nach beinahe zwanzig Jahren Direktorszeit im Wiener Rabenhoftheater getrost bezeichnen darf, kommt entspannt vor sein Haus und spricht beim Starkwind im Hof des Gemeindebaues auf einem Bankerl davor mit dem WIENER. Die harte Coronazeit liegt, so hofft er, hinter ihm. Ein schöner Urlaub, so hofft er, liegt vor ihm.

Interview: Manfred Rebhandl
Foto: Maximilian Lottmann
Ort: Vorm Rabenhoftheater
Zeit: 1. Juli um 12.30 Uhr

WIENER: Herr Direktor, alles leiwand?
Im Rahmen. Was soll ich sagen? Lustig ist anders, aber ich sudere auch nicht. Es gibt Bevölkerungsgruppen, die haben wirklich Grund zum Sudern, aber ganz ehrlich, die Hilfen kommen an bei der Kultur. Vereinzelt könnte man nachschärfen, aber sie bemühen sich, wir haben in Österreich keinen Grund zur Beschwerde. Wenn du redest mit Leuten in London oder New York – Oida! Danke Österreich, uns geht’s gut.

Das meiste Geld geht aber eh wieder zu den Reichen.
Hört man! Hört man immer wieder! Und daran wird sich vermutlich auch nicht viel ändern.

Sie tragen ein kleines Umhängetascherl, das man früher wohl Toilettascherl genannt hat, und weiße Sneakers. Sind also modetechnisch auf Höhe Marco Arnautovic.
Das wirklich sehr modische Umhängetascherl trage ich, weil ich mein Klumpert halt irgendwo reintun muss, aber das geht mir eh schon am Oarsch, so ein altes aus Leder mit Trageschlaufe, wie es mein Opa noch hatte, gibt es halt nicht mehr. Und in der Sneakers Welt bewege ich mich seit zwei, drei Jahren. Eigentlich bin ich ganz oldschool der Freund des gepflegten Herrenschuhs, des handgefertigten, im Idealfall maßgeschneiderten Herrenschuhs der Größe 43, immer schon gewesen. Aber man muss ganz einfach zur Kenntnis nehmen, dass es bequemer ist in den Sneakers. Der gepflegte Herrenschuh in all seinen Facetten wird Mitte Oktober wieder ausgepackt. Mittlerweile habe ich sogar Adiletten. Konnte ich mir nie vorstellen, aber mittlerweile habe ich sogar den Plan, mir weiße Socken mit roten und blauen Streifen dazu zu kaufen, wir erinnern uns. Gibt’s die noch?

Die Jugend trägt sie wieder.
Recht haben’s! Wie wir damals!

Haben wir nicht überhaupt alles richtig gemacht damals? Gewiss haben Sie Ihre Wiener Jugend sehr genossen?
Das habe ich fürwahr, und es muss sich jeder herrichten, wie er es braucht! Aber ich möchte heute nicht mehr jung sein, auch nicht zwischen 20 und 30. Lustig ist halt, dass wir am T-shirt drauf gehabt haben NO FUTURE, aber in Wahrheit die Generation waren, die in einem unglaublich leiwanden Sozialsystem groß geworden ist, zu unserer Zeit hat es keinen Grund gegeben, NO FUTURE zu proklamieren. Heute hingegen, angesichts der Umweltkatastrophe, angesichts der Pandemie, angesichts des Zusammenschneidens jeder Art sozialer Errungenschaften – und ja nicht nur in Österreich wird versucht, den Zeiger zurückzudrehen! – wäre NO FUTURE angesagt. Aber die Leute gehen lieber demonstrieren gegen das Impfen und lassen sich dabei steuern von irgendwelchen rechten Arschlöchern, so deutlich muss man das einfach sagen, Faschisten sind das schon. Und wenn man sich die heimische Regierung, türkisener Teil, anschaut, dann schreitet der Versuch der Orabanisierung munter voran.

In „schönen“ Anzügen und mit „schönen“ Frisuren.
Und vielen Dickpics.

Werden wir es ohne Mistgabel schaffen?
Ich weiß es nicht! Wennst dir anschaust, was diese Türkisen liefern – wo sind die Demos? Ich war 2000 bei der Angelobung von Schwarzblau I, „Kein Schlüssel für Schüssel!“. Zehntausende, ach, Hunderttausende am Heldenplatz. Das war massiv! Und wo sind sie heute alle? Wo ist die Generation, die aufsteht?

Obwohl Thomas Gratzer im Sommer nie raucht, macht er für uns eine Ausnahme. Es wird dem Höhenluft Kur-Ort Erdberger Alpen kaum schaden.

Der Sommer liegt vor uns. Sie haben jetzt praktisch ein Jahr lang nichts getan. Sind sie trotzdem erholungsbedürftig?
Ich bin total erholungsbedürftig, aber total! Gefühlsmäßig komme ich daher, als hätte ich 300 Vorstellungen persönlich gespielt, ich bin ausgelutscht bis zum Gehtnichtmehr! Aber wie gesagt: Ich jammere nicht! Ich bin nur
erholungsbedürftig!

Buchen Sie All-Inclusive oder Individual?
Ich hab vor 40 Jahren das erste und letzte Mal All-Inclusive gebucht.

Fernreise mit dickem Fußabdruck oder „Bleib im Sepplland!“ mit der Eisenbahn?
Im Sepplland bleib ich sicher nicht, weil die Basti-Wähler überall im Sepplland will ich nicht ­sehen. Man will ja im Urlaub zumindest im Kleinen den Horizont erweitern, dafür reicht’s ja eh schon, über die Grenze zu fahren, also Italia!

Zahlen Sie mit eigenem Geld, oder rechnen Sie alles übers Theater ab?
Naja, schon mit eigenem Geld, leider! Über weite Strecken der zurückliegenden Periode war ja auch ich auf Kurzarbeit gesetzt. Bei uns ist ja die Kurzarbeit wirklich sinnvoll gewesen, weil es halt so war, dass du nichts hast machen können. Man war ja gezwungen zum Hipsterbrot backen daheim und zum Ottolenghi-Rezepte nachkochen.

Als Theaterdirektor: Ab Fünf Sternen betritt man ein Hotel, oder darfs auch mal ein bisserl ­bescheidener sein?
Mich interessiert das nicht, ich ­suche eher das kleine Ausgefuchste, das Zuckerl, das Juwel. Und da kann die 3-Sterne-Pension oft mehr, wenn man die richtige findet, als der 5-Sterne-Bunker, wobei ich schon eine Schwäche habe für Traditionshäuser wie das Grand Hotel in Rimini, das bei mir natürlich auf der Liste für diesen Sommer steht, vielleicht werde ich mir dort eine Nacht zu meinem Geburtstag leisten.

Wir gratulieren im voraus.
Danke! Wichtig ist, überhaupt die Staatsgrenze zu überschreiten, das alleine ist Luxus. Dieses heimische Seppltum, das Leder­hosen­tum, das einem im Öffentlich-Rechtlichen entgegenkommt, plumpester Nationalismus, unfassbar. Du siehst nur Almen, Mistgabeln, Kühe, glückliche Bauern und wie schön es in Schasklappersdorf am Frostaufbruch ist.

Und türkisene Dressen für die Fußballnationalmannschaft.
Na gut, die muss ich wenigstens nicht sehen, weil mich Fußball nicht interessiert. Wahrscheinlich, weil ich immer der „Zweitbladeste“ in der Klasse war.

Wer war der bladeste?
Na, „der Blade!“

Morgens im Hotel sind Sie der erste mit dem Badetuch auf der Liege oder der letzte, der in der Früh nach Hause kommt?
Grundätzlich Zweiteres, wobei: das verstehe ich bei den ganzen Hotels bis heute nicht, warum sie das nie in den Griff kriegen, das Rennen um die Liegen erlebt man ja wirklich immer wieder. Aber nicht mit mir, ich geb höchstens dem Poolboy einen Schmattes und sag: „Mach du das für mich!“

Streben Sie am Frühstücksbuffet immer gleich zur Wurst, oder probieren Sie auch mal Porridge, weil Sie sich vorgenommen haben, ab jetzt gesund zu leben?
Na, Porridge, pfui Teufel! Also schon grundsätzlich mit Wurst. Mit ausgesuchtesten Wurst- und Fleischwaren, handgestreichelte Tiere sind meine Freunde. Ich kauf auch nur noch Biohühner, obwohl ich das Dreifache zahle…

Und sie auch noch um die Hälfte kleiner sind.
Stimmt! Dann sind sie ja sechs Mal so teuer. Aber ein Henderl ist halt so was Gutes! Unlängst in Graz hab ich wieder ein Steirisches Backhuhn bestellt, die heimischen Seppls heißen nix, aber die österreichische Küche ist formidabel.

Nehmen Sie sich vom Frühstücksbuffet Sachen mit für den Tag? Ein Wurstsemmerl vielleicht, oder einen Apfel?
Na sicher nicht, das ist mir peinlich. Ich bin ja kein Pfrintner!

Wann trinken Sie das erste Bier?
Alkohol im Urlaub immer erst nach Sonnenuntergang. Ich bin ein großer Freund des Aperitivos.

Aperitivos auch nach Sonnenuntergang?
Na gut, im Urlaub fängt der Sonnenuntergang für mich um halber Fünfe an.

Wir stellen uns Sie im knappen Gemeindebau­badehöschen am Strand vor, mit ein bisserl einem Sonnenbrand.
Na, das ist schon eher die weit geschnittene Short, die ich immer nur im Abverkauf kaufe, schon das gute Zeug, aber halt im Abverkauf. Bei anderen Sachen schau ich dafür nicht so aufs Geld.

Lichtschutzfaktor für die Glatze?
Das ist eine gute Frage! Natürlich 50, aber leider vergesse ich oft drauf. Die Gattin sagts mir dann aber eh rechtzeitig oder haut mir den Patz am Schädel drauf.

Gewiss rauchen Sie auch am Strand. Sammeln Sie die Tschickstummel, oder werfen Sie diese einfach in den Sand?
Im Sommer rauch ich nicht, ich versuch da immer ein bisserl Wellness zu machen.

Bleiben Sie auch über Mittag in der Sonne, oder ­halten Sie klassisch Siesta?
Grundsätzlich immer unterm Schirm, und Siesta? Na, ich bin den ganzen Tag am Strand, mir gefällt es dort! Der Italiener geht ja um 12 vom Strand weg und um 4 kommt nur mehr die Hälfe zurück, die Mittagszeit ist die geilste Zeit, da hast du eine Ruhe. Und ich bin auch nicht der Mittagesser, der in zweieinhalb Stunden sechs Gänge verputzt.

Lesen Sie dann Sekundärliteratur zu Shakespeare, wenn Sie am Strand Ihre Ruhe haben?
Dafür gibt es doch Heerscharen an Dramaturgen!

Dann hören Sie vielleicht Austropop im Urlaub und überlegen, wen Sie als nächstes für eine Show verwursten könnten?
Nach dem Ludwig Hirsch, der jetzt kommt, sind meine persönlichen Hausgötter aus meiner Generation mit Heller und Danzer dann durch. Dann wird man sich was Neues überlegen, wobei das im Rabenhof „Zukunft braucht Herkunft“ heißt. So wie wir viele jungen Künstler fördern und aufbauen, müssen auch die Altvorderen geehrt werden. Das ist mir wichtig, dass man die Geisteshaltung dieser Leute für die nächsten Generationen auf die Bühne bringt. Und mit dem Oliver Welter als Mitstreiter ist das eine groß­artige Zusammenarbeit!

Das Wichtigste im Urlaub ist das Abendbuffet. Wie setzen Sie sich dort gegen Russen und Deutsche durch?
Gar nicht, weil ich zu keinem gehe.

Lassen Sie mit leerem Magen in der Stranddisco die Sau raus?
Auch nicht, weil ich in die gepflegte, gediegene Bar zum Bingo spielen gehe, danach sehen Sie mich beim English Waltz mit der Gattin, zu einer gepflegten One-Man-Alleinunterhaltershowband am Strand.

Tanzen, als würde euch niemand zuschauen?
Genau.

Die Pythonleder-Stiefel bleiben im Urlaub zuhause?
Die werden nur noch zu Premieren hochpoliert, die türkisgrünen sind besonderen Ereignissen vorbehalten.

Erkennt man Sie im Ausland? Wer­den Sie oft mit Alexander Göbel verwechselt und um Autogramme gebeten?
Mit dem Göbel nicht, aber einmal hat mich einer in Südostasien angeredet, ob ich nicht der aus dem Rabenhof bin, das ist dann schon lustig. Und einmal bin ich in Penang am Pissoir gestanden, und einer neben mir fragt mich, wo ich herkomme, und nachdem ich Wien gesagt habe, sagt der: Schubert! Mit Wien verbindet man aber weltweit Mozart, hab ich Recht?

Vielleicht war’s ein gebildeter Häuslwart?
Ja, genau. Der mir nachher die Kopfhaut massiert hat. Herrgott, es war ein Tourist!

Das Wamperl wird eher größer oder eher kleiner im Urlaub?
Das kleine Wamperl wird eher größer, und es fällt mir immer schwerer, es nachher im Griff zu behalten. Aber ich arbeite daran.

Mal überlegt, den Urlaub bei den Salzburger Festspielen zu verbringen oder in Bayreuth, um dort Kontakte nach ganz oben zu pflegen?
Ich brauche keine Kontakte nach ganz oben, ganz oben ist für mich der Gemeindebau, also das interessiert mich Null, obwohl ich durchaus immer wieder bei den Salzburger Festspielen bin. Das ist für mich wie ein Zoo, mit wohlriechenden, schwitzenden Damen im Abenddirndl. Das schau ich mir nachher im Triangl schon gern an, während ich dort einen unglaublich köstlichen Schweinsbraten esse und ein gutes Bier dazu trinke, wie gesagt: Die österreichische Küche kann was im Gegensatz zu den Österreichischen Seppln.

Schon mal bei Peymann angefragt, ob er vielleicht mit 90 im Rabenhof noch was inszeniert?
Der ist ein großer Mann, aber beim Föttinger in den Kammerspielen bestens aufgehoben.

Wen hätten Sie wirklich gerne einmal bei Ihnen auf der Bühne, den Sie aber sicher nie kriegen werden?
Den Kevin Spacey, der wär’s für mich … Aber Moment, vielleicht können wir den jetzt sogar
kriegen, nachdem sie ihn überall abgesägt haben.

Mit dem berühmten, stets gleichen levantinischen Rabenhof-Backstage-Buffet könnten Sie ihn eventuell wirklich locken.
Ganz ein wichtiges Argument, der Backstage-Bereich vom Rabenhof mit dem stets gut gefüllten Kühlschrank, Ernst Molden hat darüber sogar schon eine eigene Hymne geschrieben!

Noch läuft ja alles wie am Schnürchen bei Ihnen, seit 2003 sind Sie höchst erfolgreicher Rabenhof-­Impressario. Aber in diesen politisch überkorrekten Zeiten fragen Sie sich vermutlich jeden Tag: Habe ich irgendwann meine Hand auf ein fremdes Köperteil gelegt oder irgendwann offensive Sprache verwendet?
Der internationale Facebook-Twitter-Social-Media-Gerichtshof ist mir eigentlich ziemlich wurscht, ich hab ein reines Gewissen. Grundsätzlich ist es natürlich gut, dass sich da was weiter entwickelt, vieles schießt in meinen Augen über das Ziel hinaus, aber es braucht vielleicht die maßlose Übertreibung, um in ein paar Jahren einen spannenden Mittelweg für die Gesellschaft einzuschlagen.

Wer von denen, die seit Jahren bei Ihnen auftreten, geht Ihnen schon so richtig auf die Nerven?
Ich liebe alle meine Künstler, und ich leiste mir den Luxus, mit keinen Arschlöchern zusammenzuarbeiten. Wenn wer ein Arschloch ist, ist er weg. „Schleich dich!“

Sind Sie gut im Aussprechen klarer Worte, oder müssen das Ihre Assistenten erledigen?
Da bin ich sehr gut, herumgeeiert wird nicht! Aber es kommt auch sehr sehr sehr sehr selten vor, dass ich zu einem „Schleich dich!“ sag. Und jetzt schleich dich.


 Thomas Gratzer
wurde 1962 in Krems geboren und wuchs in Wien auf. Er absolvierte eine Lehre im Imperial Hotel und besuchte dann die Schauspielschule Krauss. Im Theater der Jugend spielte er seine ersten Hauptrollen. Nach einer Zwischenstation im Ensembletheater holte ihn Otto Schenk in die Josefstadt. Mit Harald Posch zusammen gründete er 1989 die Theatergruppe Habsburg-Recycling und zeichnete für zahlreiche Theaterideen und -produktionen verantwortlich. 2003 übernahm er von Karl Welunschek das Rabenhoftheater, wo er seither ungezählten jungen und arrivierten Künstlern eine Bühne bietet.