AKUT

Friedlich sein.

Heidi List

Ich musste wetten. Mir wurde von den Kindern gesagt, ich sollte flexibler sein und nicht wegen jedem Schmarrn schimpfen. Sie sagten nicht Schmarrn sondern Scheissdreck und daran war ich auch schuld, weil ich eben, wie ich meine eh’ sehr zart, manchmal herumfluche. Und sie glaubten mir nicht, dass ich einen Tag ohne Schimpfen schaffte. Ich sagte doch, die Wette galt. Es war Samstag, ein Ausflug stand an. Am Plan war ein Tag voller Freude, der Vater der Kinder hatte Geburtstag, wir wollten eine Gusto – Guerilla Gourmet – Tour machen. Mit dem Fahrrad sollte es durch Wien gehen und in verschiedenen Lokalen oder Start-Ups bekommt man die schmackhaftesten Kostproben. Von 11 bis 18 Uhr. So lernt man Wien kennen und ist dabei die ganze Zeit versorgt. Super Plan. Klang nach Zufriedenheit, gar nicht nach Fluchen.

Frühstück gabs keines, weil wir ja eh’ den ganzen Tag zu essen gedachten. Ich rief dazu auf, die Fahrräder aufzupumpen. Kam drauf, dass jemand an mein Fahrrad ein Schloss angebracht hatte, das nicht mir gehörte. Schaute YouTube – Videos, wie man das knacken konnte. Habe nicht geflucht. Konnte es nicht knacken. Versuchte mir ein Fahrrad auszuleihen. Niemanden erreicht. Nicht geflucht. Vater der Kinder kam und erklärte, er hätte mit dem kürzlich gebrochenen Arm ohnehin noch nicht radfahren können. Das ist schlecht für eine Radtour. Hab nicht gebrüllt, dass er das vorher hätte sagen können. Es war 11 Uhr, eigentlich sollten wir schon wo sitzen und uns verwöhnen lassen. Beschlossen, das Auto zu nehmen und dann immer wieder zu Fuß ein paar Lokale abzuklappern. Die Kinder erklärten, sie hätten ihre Testbescheinigungen in der Schule vergessen. Habe nicht geflucht. Wir fuhren mit dem Auto in die Stadthalle. Diskutierten lange – und ganz ohne fluchen – mit den Herrschaften dort, dass die Kinder wirklich nüchtern waren, man konnte ruhig einen Rachenabstrich machen. Die freundliche Rachenabstrichnehmerin warf mir einen Schlechte-Mutter-Blick zu, weil die Kinder um 11.30 noch nichts zu essen bekommen hatten. Habe innerlich einmal nur was nicht gar so richtig Nettes gedacht.

Negativ getesteten neuen Mutes fuhren wir dann mit dem Auto zu der ersten Station der Radtour. Es war ein Tortilla Lokal in Wien Margareten, dort wo man keinen Parkplatz bekommt. Ich ließ alle aussteigen und schrie dann alleine im Auto alle Schimpfwörter, die mir einfielen. Dann fand ich einen Parkplatz. Die Kinder haben derweil schon begonnen, sich gegenseitig anzunagen vor Hunger. Ich war vom ersten Schluck Bier sofort betrunken. Um nicht aufzufallen, sagte ich so lange nichts mehr, bis man mir was zu essen vorgesetzt hat. Ich muss dort noch einmal hingehen, das Lokal heisst MAIZ – ich weiß nicht, ob wir so hungrig waren oder ob es wirklich so unglaublich gut geschmeckt hat. Die mahlen dort das Maismehl mit einer Riesenmühle vor Ort. Wir waren im Glück. Dann ging’s leichter. Wir wanderten herum, um andere Lokale zu finden. Hier Antipasti, dort Weine, woanders Risottobällchen – oder Fisch. Mein Hund war auf Gras geprägt, wovon er in der Stadt nichts finden konnte und begann irgendwann zu fiepen. Ich fluchte wieder nicht, die Kinder merkten das auch positiv an. Dann führten wir den Hund mit dem Auto in eine Hundezone pinkeln. Weiter ging die Tour – ins Sonnwendviertel hinter dem Hauptbahnhof. Eine neue Stadt in der Stadt quasi. Wir verdampften in der Hitze. Ich fluchte nicht. Wir suchten die hippen Start-Ups, verliefen uns dauernd, dazwischen wurde gestritten, aber ganz ohne Schimpfwörter, ob mehr grün gehört hätte oder aber es ein bisschen so anmutet wie italienische Piazzas zwischen den Häusern. Die Kinder entdeckten Sprühbrunnen und verschwanden. Leider haben sie nichts gesagt, und wir suchten sie eine Stunde lang. Wir fanden sie, ich umarmte sie, ohne zu schimpfen. Dann aßen wir Selleriesteak. War gut. Der Hund fluchte aber, bildete ich mir ein. Plötzlich war es 18 Uhr und wir hatten nicht einmal die Hälfte geschafft. Ich schaffte es, niemandem die Schuld dafür zu geben, mir auch nicht und bekam ein Lob von den Kindern, dass ich so friedlich war. Ich erwähnte, dass man mir nur zu essen geben müsse, dann bin ich immer friedlich. Sie beschlossen, meine Lebenswege so zu gestalten, dass ich überall immer etwas zu essen kriege. Egal wo ich hinkomme, schiebt man mir Häppchen hin. Also auch bei der Post oder in der Autowaschstraße. So lange, bis ich halt platze. Hauptsache, die Mutter schweigt. Ich bin einverstanden mit dem neuen Alltagsentwurf.

Dennoch, das war der anstrengendste Tag meines Lebens, bei aller Liebe. Haben die Kinder am Abend eingesehen, sie meinten, ich wäre ohnehin so gruselig gewesen, in dieser friedlichen Art. Ich darf jetzt wieder, wie ich will. Danach habe ich ihnen noch gebeichtet, was ich im Auto alleine gebrüllt habe, und sie waren sehr froh über je zwei Ausdrücke, die sie so noch nicht gekannt haben. Sind ja doch meine Buben.


Heidi List
Wenn sie nicht liest oder Musik hört, arbeitet die zweifache ­Mutter selbstständig als Kommunikationsmanagerin und freie Autorin.