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Manfred Rebhandl

Der andere Rebhandl – Seine Rock Rockenschaub Kolumne im WIENER #W447

Manfred Rebhandl

Dirty Willys Dirty Chatnachrichten – Eisträume

Jedes Jahr vor Weihnachten, wenn die Gosse meldete, dass sie beim Rathausplatz den Eistraum aufgebaut hatten und das Gestrüpp, das irgendwer Christbaum nannte, war es dasselbe Theater: Dirty Willy saß niedergeschlagen in seinem Büro im Pornhouse und starrte ein Foto an, das eine rothaarige Zigeunerin zeigte mit fleischigem Gesicht, mit zwei gewaltigen Drüsen vorne dran, die in einem viel zu engen Kleid steckten, mit dicken, schwarzen Haaren über einer riesigen, roten Boa, die sie um ihren schlanken Hals gewickelt hatte, und mit einem Mund, für den man sich einen Fuß abschlagen lassen wollte, wenn er sich nur einmal um einen kümmern würde: Milli Festecic.

Dann bildete er sich ein, dass er unbedingt noch einmal beim Rathausplatz antanzen müsste, um dort noch einmal mit ihr am Eis zu tanzen. „Ein letztes Mal!“, wie er seit 20 Jahren sagte. Wenn man alt wurde, dann erinnerte man sich an das Schöne im Leben, und für Willy war, anders als ich dachte, nicht die Hurerei das Schönste im Leben gewesen, sondern der elegante Eistanz, und am elegantesten tanzte er eben mit Milli. Allerdings übertrieb er es ein bisschen mit seinen Erinnerungen, wenn man mich fragte, denn Milli Festecic war seit 20 Jahren tot.

Milli war eine ungarische Revuetänzerin, die drinnen im ersten Bezirk im Golden Boy tanzte und die aufhörte, Revue zu tanzen, als die ersten Stangentänzerinnen die Revuetänzerinnen verdrängten. Als es vorbei war mit „Hoch das Bein!“ verlegte sie sich aufs Eislaufen, und irgendwann vor zwanzig Jahren lief sie beim Wiener Eistraum eben in Dirty Willy hinein, sie drehten dort ihre Runden, und Dirty Willy war glücklich. So glücklich, dass er dieses herausragende Erlebnis jedes Jahr wiederholen wollte.

Er konnte einfach nicht akzeptieren, dass sie längst tot war, und ich konnte es nicht ertragen, ihn jedes Jahr so verzweifelt in seine Erinnerungen versunken zu sehen. Also sagte ich ihm auch heuer, dass er seine Eislaufschuhe zusammen packen sollte, die unten im Keller bei den Plakaten für die Jack Schleck Filme lagen, und den weiten, langen Mantel samt weißem Schal, in dem er so elegant aussah, anziehen sollte. Dazu noch die weißen Handschuhe und den Zylinder, sodass er aussah wie Theo Lingen. Dann rief ich Kubelka drüben im dritten Bezirk an, wo er seine Praxis für Lehrerinnen mit trockener Scheide führte. Ku stammte selbst von einer ungarischen Zigeunerfamilie ab und hieß früher Köbölkö. Weil man mit diesem Namen aber keine Meter als Gehirnschlosser machte, änderte er seinen Namen irgendwann auf Kubelka. Sein fleischiges Gesicht aber konnte er natürlich nicht ändern, darum war er perfekt geeignet.

Kubelka wußte dann immer schon, was zu tun war, sobald ich ihn um diese Zeit des Jahres anrief. Er schlüpfte in ein Revuekleid, das wir extra für ihn gekauft hatten, trug dickes Make up auf, drückte sich eine Perücke mit dicken, schwarzen Haaren auf den Schädel, stopfte das Kleid vorne mit zwei Teddybären aus, die er von einer Lehrerin mit trockener Scheide geschenkt bekommen hatte, und setzte sich mit seinen Eislaufschuhen Größe 47 in ein Taxi, „um 17 Uhr sind wird dort!“

Beim Rathaus angekommen, stellte ich Willy in seine Schuhe und dann auf die Eislaufbahn. Ich schob ihn an, sodass er aufs Eis hinaus fuhr, wo er sich noch einmal fragend umblickte. „Denkst du, sie wird kommen?“
„Aber sicher, Willy! Sie ist doch immer gekommen!“

Da fuhr Kubelka in Gestalt von Milli Festecic schon auf ihn zu. Er nahm ihn sich von hinten, und dann fuhren sie in eleganten Walzerschwüngen in die äußerste Ecke, von wo aus er Willy in kreiselnder Bewegung in meine Richtung schoß, wohl mit der Absicht, dass Willys Eislaufschuhe mich während eines eingesprungenen Rittbergers killen sollten.

Denn am wichtigsten war Willy am Ende nicht das Tanzerlebnis – das auch! –, sondern der lange abschließende Kuss von Milli Festecic zu den Klängen von Johann Strauss, Vater.


Manfred Rebhandl
Autor in Wien. Zuletzt erschien von ihm „Sommer ohne Horst: Rockenschaub löst auf alle Fälle alle Fälle“ (Haymon Verlag 2020)