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Mann mit Maske mit Demisexuell-Flagge darauf

Die Demisexuellen – Sex in der Grauzone

Manfred Sax

Sie sind jung und attraktiv und gefühlt in der grauen Zone zwischen sexuell und asexuell ­heimisch, dortselbst allerdings recht fluid. Es ist so einiges möglich, wenn du demisexuell bist.

Text: Manfred Sax

Es ist vergleichsweise einfach, wenn du alt bist und weißt, wie du sexuell tickst. Dann hast du mal ein wenig experimentiert, dein Kreuz hinter einer der gängigen Alternativen (Hetero, Homo, Bi) gemacht, und das Leben ging hoffentlich nicht reibungslos weiter. Der Rest war asexuell, also nicht der Rede wert. Was aber, wenn im Lauf der Zeit eine Denke reift, die in der Grauzone zwischen Sexualität und Asexualität eine Sexualität ortet, die so halb das Eine und halb das Andere ist – oder „demi“, wie der Franzose sagt –, also schon generell asexuell, aber unter bestimmten Bedingungen auch sexuell? Dann wär man am besten Weg zur Demisexualität, heißt es hier.

Hier, das sind Foren, die dir nicht zuerst einfallen, wenn du sozialmedial aktiv wirst. Facebook ist zu alt, Instagram zu millennial. TikTok wär die richtige Altersklasse, nur ist die Szene dort massiv oversexed, der Hashtag #kinktok hat fünf Milliarden Zugriffe, GenZ-Girls geben sogar mit ihren blauen Flecken vom letzten BDSM-Abenteuer an oder damit, wieviel sie auf OnlyFans verdienen. Nein, wenn Nullbock deine auffälligste sexuelle Orientierung ist, gerätst du irgendwann auf garantiert pornofreie Nester in Gaming-Foren und Subreddits und Tumblrs, oder auf AVEN (Asexual Visibility and Education Network), das offenbare Zentralorgan der Asexuellen, vor zwanzig Jahren etabliert von einem Studenten namens David Jay, der demnächst seinen Vierziger feiert, das dürfte ein ziemliches Ding werden, seiner Meinung nach haben Asexuelle die besseren Partys. Auf diesen Foren also geht es darum, dass auch Nullbock auf Sex eine sexuelle Orientierung ist, weiters aber ist die oben erwähnte Grauzone nicht zu übersehen, wo auch die Bedingungen für allfälligen Sex debattiert werden, also die Trigger, die dich zum/zur Demisexuellen stempeln. Demnach widerfahren keiner demisexuellen Person sexuelle Gefühle, bis sie oder er (oder dazwischen) eine derart starke emotionale Verbindung zu einer anderen Person entwickeln, dass ein sexueller Akt praktisch nicht zu verhindern ist. Meinte eine Demisexuelle: „Nachdem mein Herz entschied, dass er mein Seelenkumpel ist, entschied sich auch mein Körper dazu.“ Sie war also eine Sie, die Sex mit einem Er hatte, und es ist vermutlich nicht auszuschließen, dass dies eine Verbindung für die Ewigkeit ist (wie oft gerät man schon an einen Seelenkumpel), aber jedenfalls ist sie keine Heterosexuelle sondern eine Demisexuelle, der Seelenkumpel hätte ja auch eine Kumpelin sein können (oder was dazwischen), das ist das Nette in politisch korrekten Foren. Die andere Sache ist das mit den Outings. Ein Coming out als Heterosexueller ist irgendwie bescheuert, nicht wahr, aber als Demisexuelle(r) macht es Sinn, du hast sogar eine Flagge mit schwarz-weiß-grau-lila Streifen.

Die Sache ist, dass du nicht wirklich öffentliche Identität hast, wenn es nicht auch eine (ikonische) Vorzeigeperson gibt, anhand welcher sich der Mainstream mal Gedanken zur Sexualität dieser Person machen kann. Was wäre aus den Metrosexuellen geworden, hätte es da nicht David Beckham gegeben, also einen Hetero als Ikone der Schwulen, einen Mann, der zunächst mal sich selbst verwöhnt, weil er erkannt hat, dass Shopping auch sexuell stimulieren kann, ein Blick in den Spiegel reicht, um etwaige Zweifel zu beseitigen.

Alle Pride Flaggen

Bei den Demisexuellen gibt es bis dato erst eine Person, die nach ihrem Outing im Mainstream als Demisexuelle herumgereicht wurde. Sie heißt Michaela Kennedy-Cuomo (24), das ist einerseits Pech, ihr Vater ist Michael Cuomo, der ehemalige Gouverneur von New York, der seinen Job an den Nagel hängen musste, weil er einer dieser alten weißen Männer ist, an denen die Vorwürfe sexueller Belästigungen kleben wie die Fruchtfliege an fauligem Obst, eine ehemalige Angestellte behauptete, dass er ihr mal auf den Arsch klopfte, das führte dann zu etlichen ehemaligen Angestellten, die Ähnliches behaupteten und so weiter. Und das ist nun mal trottelhaft altmännlich; wenn dich der Anblick einer Frau stimuliert, wird sie automatisch zur Göttin, und einer Göttin klopfst du nicht auf den Arsch, du kannst sie bestenfalls anbeten, so einfach ist das.

Andererseits hast du Glück auch keins, wenn du mal Pech hast, Ms Kennedy-Cuomo ist nicht das, was du dir als Galionsfigur wünscht, wenn es um deine sexuelle Orientierung geht. In einem Live-Talk auf Instagram gab sie zu, sich auch schon mal als Lesbe geoutet zu haben, „in meinem Freundeskreis ist es cool, nicht hetero zu sein“, aber nach diversen Experimenten mit Bisex und Pansex (prinzipiell alles bumsen, was sich bewegt, Anm.) habe sie sich entschlossen, die demisexuelle Flagge zu hissen (schwarzgrauweißlila, wie gesagt).

Jedenfalls: Das Geschlecht der Person, die dich aus der asexuellen Grauzone heraus sexuell aktiv macht, ist für Demisexuelle nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass es die starke emotionale Verbindung zu einer anderen Person ist, die dich quasi sexuell entflammt. Potenzielle Lust auf den ersten Blick (Tinder) fällt da schon mal weg, auch ist die Bedenkzeit, das „Warten Wollen“ bis zum ersten Mal, etwas anderes, das impliziert schon eine sexuelle Erregung, der man halt nicht nachgibt. Der Punkt ist also ein Herumhängen mit Leuten, etwaige Umarmungen und Kisses inklusive, aber von sexueller Erregung lange Zeit keine Spur. Da wird dann halt auch viel geredet, und im Wesentlichen führt der Trend Richtung Individualität, jeder Mensch hat eine andere Macke, bei Demisexuellen gibt es etwa „aromantisch Asexuelle“ oder „heteroromantisch Demisexuelle“ oder „panromantisch graue Asexuelle“, um nur ein paar zu nennen.

Der eigentliche Punkt ist wohl, dass die Generation Z mit einem noch nie dagewesenen Informationsfluss konfrontiert ist, den gibt es mal zerebral zu verdauen, es muss gehirnt werden wie nie zuvor, und wichtig ist vor allem, dass etwaige Alte, die meinen, mit guten Ratschlägen hilfreich sein zu können, sich jedenfalls brausen sollen. Das mag gewisse Alte kränken, zumal Boomers, die glauben, einst anno Sexuelle Revolution das ihrige zur Freiheit der Sexualität als fundamentales Menschenrecht investiert zu haben. Aber die Idee einer „Freiheit von Sex“ ist auch nicht unrevolutionär. Und dass Sex umso besser funktioniert, je weniger gehirnt wird, na ja, das ist etwas, das sich nicht rational mitteilen lässt. Es kann, aber muss nicht erlebt werden, nenne es den „next Level“.

Info Demisexualität: https://thedemisexual.com; Podcast: https://www.soundsfakepod.com