AKUT

CHRISTIAN WEHRSCHÜTZ – Vom Kriege

Christian Jandrisits

ORF-Starkorrespondent Christian Wehrschütz, gerade mit der Fernseh-ROMY ausgezeichnet, befindet sich in Laibach, wo er für seinen Sender über die dortigen Wahlen berichtet hat. Vor einer abermaligen Abreise in die Ukraine trifft er sich mit seiner Frau und findet nebenher Zeit, über Telefon mit dem WIENER zu sprechen.

Interview: MANFRED REBHANDL
Ort: Laibach
Zeit: 26. April 2022, 10h


Die vielen Gesichter des Christian Ferdinand Wehrschütz

WIENER: Wenn ich Sie im Morgen- oder Mittagsjournal „Grüß Gott nach Wien und nach Österreich“ sagen höre, geht es mir schon besser, alleine ihre unaufgeregte Stimme beruhigt mich, und der Gruß hat schon fast was Heinz-Conrads-mäßiges. Warum immer der extra Gruß an die Wiener?

WEHRSCHÜTZ: Naja, weil die Redaktion in Wien sitzt und ich mich aber an alle Österreicher richte. 

WIENER: Kein spezieller Gruß also an die Gattin zuhause?

WEHRSCHÜTZ: Na, weil da müsst ich ja sagen „Spezielle Grüße nach Salzburg.“ 

WIENER: Gestern erklärten Sie mir im Mittagsjournal live aus Laibach den Slowenien-Wahlsieger Golob. Ist das dort gerade so etwas wie ein „gemütliches Zwischenspiel“ mit Kaffeehaus, Zeitung und Kuchen auf der Terrasse?

WEHRSCHÜTZ: Also, natürlich ist eine Berichterstattung über die Wahl in Slowenien was anderes als die Berichterstattung aus Charkiv mit Splitterschutzweste und Helm, wo die Stadt mit Artillerie beschossen wird. Aber wenn Sie auf meine Homepage gehen, dann sehen Sie dort, dass wir für die verschiedenen Radioprogramme sieben oder acht Beiträge in zwei Tagen über die Slowenien-Wahl gestaltet haben, und dann kommt noch dazu, dass wir ja viel in der Nacht arbeiten müssen, weil: Bis man ein seriöses Wahlergebnis hat, ist es dann so elf. Damit macht man das Morgenjournal, den Radiokurzbeitrag, den 9 Uhr Beitrag, und bis man damit fertig ist, ist es dann eh schon in der Früh. Also es ist nicht gefährlich, in Slowenien zu drehen, aber es ist natürlich trotzdem eine Anstrengung.

Christian Wehrschütz – Nur ER weiß wovon ER spricht, weil ER ist vor Ort …. Foto: ORF/Hans Leitner/Copyright: ORF, Wuerzburggasse 30,
A-1136 Wien, Tel. +43-(0)1-87878-13606

WIENER: Am Flughafen in Laibach starb vor 31 Jahren während des 10-Tage-Krieges der Kriegs­fotograf Nick Vogel, er wurde nur 24 Jahre alt. Sie haben danach als Kriegsreporter so etwas wie eine Karriere hingelegt. Sagt das schon alles über Ihren Beruf? Über das Glück, oft nicht am falschen Ort zu sein, und das Pech, es manchmal eben doch zu sein?

WEHRSCHÜTZ: Schauen Sie, das sage ich immer wieder. Wenn Sie in einer Gegend oder einem Ort sind, der mit Artillerie beschossen wird, dann ist man immer in Gottes Hand, weil Sie nie wissen, ob der Artilleriekommandant nicht zufällig genau dorthin schießt, wo man sich aufhält. Wenn ich mir aber anschaue Beispiele von amerikanischen Journalisten oder Fotografen, die jetzt in der Ukraine gestorben sind, dann muss ich sagen: Die haben das eigentlich schon fast provoziert. Weil wenn ich mit einem gekennzeichneten Auto auf einen russischen Checkpoint, an dem es keine Regeln gibt, wie ich von einer Seite auf die andere komme, zufahre, in, sagen wir, Irpin, wo ich weiß, dass für die Russen Journalisten eher noch eine zusätzliche Motivation zum Schießen sind. Wir, meine Mitarbeiter und ich, halten es mit dem Prinzip der Extrembergsteiger: Es ist leichter, ein guter Extrembergsteiger zu werden als ein alter. 

WIENER: Oft müssen Sie sich auf sogenannte „Fixer“ verlassen. Wie viele Telefonnummern von solchen haben Sie da, und wo speichern Sie diese, damit sie nicht verloren ­gehen?

WEHRSCHÜTZ: Wir haben eigentlich keine Fixer, wir haben Produzenten, die liefern mir zu, bzw. habe ich ein dezentrales Netz an Kameraleuten sowohl am Balkan als auch in der Ukraine, dieses Netzwerk ist stabil und verlässlich. Mittlerweile hab ich ein Handy für den Balkan, eines für die Ukraine, eines für die sozialen Netzwerke, und dann noch eines, von dem niemand die Nummer kennt, mit dem ich die Liveeinstiege mache und wo niemand die Skype-Verbindung durch einen zufälligen Anruf ­stören kann. 

WIENER: Bilden sich da Freundschaften zu Produzenten und ­Kameraleuten? Fühlt man sich manchmal schlecht, weil man selbst, wenn alles gut gegangen ist, wieder ins sichere Heimatland fährt, diese Kollegen aber im Kriegsgebiet bleiben?

WEHRSCHÜTZ: Also, wir kümmern uns um unsere Leute. Wir halten so gut es geht immer Kontakt, und ich nehme meine soziale Verantwortung in jedem Fall wahr, weil schauen Sie: Wenn Sie mit jemandem seit 16. Februar 22.000 Kilometer im Auto zurückgelegt haben, oder mit meinem Fahrer am Balkan, der mir gestern gesagt hat, dass wir in 22 Jahren schon zwischen 500.000 und 1 Million Kilometer gemeinsam unterwegs waren, dann entwickeln sich persönliche Bindungen, das ist ganz klar. Wenn ich aus einem Gebiet zurück fahre, dann steige ich ins Auto und vertraue dem Fahrer, während ich daneben arbeite oder schlafe. Wir sind inkl. der Reinigungsfrauen in den Büros eine Familie. 

Bilder, die man derzeit gut aus dem ORF-Fernsehen kennt: Christian Wehrschütz beim eher friedlichen Dreh im Fernsehstudio …

WIENER: Putin hat anlässlich des orthodoxen Oster­festes ein Kerzerl angezündet. Wie geht es Ihnen da, wenn jemand ­seine diesseitigen Gräueltaten in Einklang mit einer höheren Macht sieht?

WEHRSCHÜTZ: An dieser Geschichte kann ich nichts Außergewöhnliches entdecken, das Segnen der Waffen kennen wir von allen möglichen Kriegsparteien in allen möglichen Zeiten und Ländern. 

WIENER: Halten Sie selbst sich ein Schlupfloch in Richtung Religion offen, durch das Sie flüchten, wenn Ihnen alles zu viel wird?

WEHRSCHÜTZ: Was heißt Schlupfloch? Ich achte jeden, der gläubig ist, und wenn ich in eine Stadt komme und es gibt eine Kirche, in der ich noch nie war, dann gehe ich da immer hinein und zünde ein paar Kerzerln an und wünsche mir was, alte Tradition.

WIENER: Man hat allzuoft den Eindruck, dass nicht einmal mehr Beten hilft?

WEHRSCHÜTZ: Das ist das wirklich Erschütternde. Da kommt man zur alten theologischen Frage, warum Gott „das alles“ zulässt, und das ist etwas, das sehr schmerzt. 

… bei einem Einsatz im Kampfgebiet mit Helm und Splitterschutzweste

WIENER: Tragen Sie so etwas wie einen Talisman mit sich, den Sie fest drücken, wenn es gefährlich wird?

WEHRSCHÜTZ: Nein. Mein Talisman ist immer im Hotelzimmer und heißt Gagei. Das war einer dieser „Angry Birds“, ein blauer ­Vogel mit orangener Nase, den hab ich einmal aus Kramatorsk mitgenommen meiner Enkelin, die hat damals gedacht, es wäre ein Papagei, konnte aber noch nicht Papagei sagen, also heißt er Gagei. Den hat sie mir dann mitgegeben, der ist die ganze Zeit bei uns im Gepäck.

WIENER: Der Kriegsreporter hat früher gerne seine Angst mit harten Getränken hinuntergespült, richtig? Kommt das heute noch vor?

WEHRSCHÜTZ: Schauen Sie, wenn wir einen harten Drehtag hinter uns haben, dann trinke ich am Abend vielleicht einmal einen kleinen Whiskey und stoße darauf an, dass wieder einmal alles gut gegangen ist. Aber bei der Arbeit bist du natürlich vollkommen abstinent.

WIENER: Die Soldaten aber ­saufen schon? Oder sind das alles nüchterne Kampfmaschinen?

WEHRSCHÜTZ: Also, meinem Eindruck nach können sich das die, die wirklich im Einsatz sind, nicht leisten, weil das wäre der sichere Schritt ins Grab.

WIENER: Was macht mehr Angst: Die Geräusche oder die Bilder? Das Tageslicht, bei dem man alles sieht, oder die Nacht, während der man nur erahnt, was passiert?

WEHRSCHÜTZ: Schauen S’, wenn Sie in der Nacht auf einen Checkpoint zufahren, dann ist das immer mit einem mulmigen Gefühl verbunden, weil eigentlich gibt es ­klare Regeln, aber Sie wissen natürlich nicht, ob der, auf den Sie zufahren, nicht die Nerven verliert, bevor  Sie dort sind. Hingegen, wenn Sie am Tag in einer Stadt sind und Sie hören Artilleriefeuer, dann ist das das „outgoing“-­Geräusch, und dann wissen Sie nie, wie rasch die Antwort zurück kommt. Das sind Situationen, wo wir dann nicht zu lange bleiben.

WIENER: Gibt es ausweglose Situa­tionen, wo man jemandem „Erlösung“ wünscht, sprich: den Tod?

WEHRSCHÜTZ: Das ist sehr schwer zu sagen, weil der Lebenswillen der Menschen unglaublich stark ist. Von 2014 her habe ich mir immer gedacht, beim Zustand der ukrainischen Spitäler wäre es mir lieber, es träfe mich voll, als dass ich dann dort wo liegen müsste. Wir waren jetzt in Dnipro und haben dort in einer Klinik gedreht, die wirklich fast hoffnungslose Fälle an Verletzungen bei Soldaten behandelt hat und diese wieder ins Leben bringt, der Lebenswille ist enorm. Also Erlösung? Nein. Wünschen tu ich denen bessere Bedingungen auch für Rehabilitation, Prothesen usw. 

… bei der ROMY-Verleihung in der Hofburg

WIENER: Oft sieht man weinende Frauen durch Trümmer gehen, oft in Ihrem Alter, oft haben sie buchstäblich „alles verloren“. Empfinden Sie Wut?

WEHRSCHÜTZ: Nein. Noch einmal. Man versucht immer wieder auch zu helfen, hält zu manchen immer noch Kontakt. Aber man darf nicht parteiisch werden. Diese Frau gibt es auf beiden Seiten. ­Natürlich sind die Ukrainer die Schwächeren, und was die Russen derzeit aufführen ist nicht vergleichbar mit dem, was die Ukrainer 2014 aufgeführt haben, auch in Donezk gab es Tote durch Artil­lerie­beschuss, der völlig sinnlos war. Das dürfen Sie nicht an sich heran lassen in dem Sinne, dass Sie parteiisch werden. Ich habe so zu berichten, dass Herr und Frau ­Österreicher sich selbst ein Bild machen können.

WIENER: Warten zuhause auch auf Sie Freunde, die „alternative Medien“ schauen und Ihnen vom Staatsfernsehen dann erklären, wie es in der Ukraine wirklich läuft, Stichwort: Fake News?

WEHRSCHÜTZ: Also bei all den unzähligen Kontakten, die ich habe, vielleicht einer oder zwei.

Ich habe so zu berichten, dass Herr und Frau ­Österreicher sich selbst ein Bild machen können.

WIENER: Die Tschetschenen schauen furchteinflößend aus, und das wollen sie auch. Wie cool ­bleiben Sie, wenn Sie selbst welche ­sehen, bzw. möchte man denen ­lieber nicht begegnen?

WEHRSCHÜTZ: Also ich bin den Tschetschenen bisher nicht begegnet, weil dieser Krieg jetzt ein anderer ist als 2014. Damals hatte man die Möglichkeiten, unter gewissen Regeln die Frontlinie zu queren, heute ist das praktisch unmöglich. Aber schauen Sie: Sowohl die Tschetschenen als auch die ­Georgische Legion auf ukrainischer Seite sind übel beleumundete Verbände. 

WIENER: Gibt es auch für Sie als erfahrenem Reporter so etwas wie eine Skala der Angst von 1 bis 10: 10 ganz arg, 1 hält sich noch halbwegs ans Kriegsvölkerrecht?

WEHRSCHÜTZ: Also in die Nähe der Tschetschenen und Georgischen Legion sollte man am besten überhaupt nie kommen. Aber 10 ist am ehesten in einer Stadt oder in einem Bezirk, wo Sie wissen, da wird jetzt gekämpft. 

WIENER: Mariupol war dann auf dieser Skala 50?

WEHRSCHÜTZ: Schaun Sie, wir waren am 24. Febuar zum Kriegsbeginn dort, sind dann aber Richtung Kiew, weil wenn Sie in einer Stadt sind, die eingeschlossen wird und nix mehr funktioniert – was tun Sie dort als Journalist? 

WIENER: Wie sehr nervt der Satz „Das lässt sich nicht verifizieren“, wenn doch – wie in Butcha – klar ist, was passiert ist.

WEHRSCHÜTZ: Wir haben bei Karadžic´ und Ratko Mladic´ bis zu deren Verurteilung von „mutmaßlichen Kriegsverbrechern“ gesprochen, weil es unsere journalistische Verpflichtung ist, nicht Partei zu ergreifen. Daher gilt auch für Butcha und ähnliche Orte der Begriff „mutmaßliche Kriegsverbrechen“. Dann gibt es noch so Regeln, dass man natürlich zivile Gebiete nicht mit Artillerie beschießen darf, andererseits dürfen aber aus zivilen Gebieten heraus eigentlich auch keine Truppen auf die andere Seite schießen. Natürlich, wenn jetzt Personen exhumiert werden, die mit Handschellen gefesselt sind und denen in den Kopf oder Rücken geschossen wurde …. Oder wenn wir eine Großmutter interviewt haben in Butcha, die gesagt hat, ihre Tochter ist mit den zwei Enkeln auf einen russischen Kontrollposten zugefahren und wollte nur bitten um eine humanitäre Passage, und die Russen haben sie einfach erschossen … dann ist das keine Frage, dass das Kriegsverbrechen sind. Aber noch einmal: Wir haben Distanz zu halten.

Summer, Sun, Fun and something to think about – mit deinem WIENER ABO !!! PRINT ON THE BEACH !!!

WIENER: Ein Kriegsreporter für den NEW YORKER beschrieb die Ukrainer als furchtloses Volk, das ihn nie um Geld oder sonstige Gefälligkeiten angegangen hat, wo man ihn immer nur bat: Schreib über uns! Ist das Verklärung, oder haben Sie solche Erfahrungen auch?

WEHRSCHÜTZ: Ich meine, das sind so Generalisierungen, die einfach dumm sind. Die Ukraine hat 44 Mio. Einwohner, wie viele kann der Reporter getroffen habe? Aber ja, auch uns hat nie jemand um Geld angegangen, wir wurden nie gebeten, jemanden zu schmieren. Aber „der Ukrainer“ ist genauso ein Mensch wie jeder andere. Was dort viele jetzt auszeichnet ist natürlich die Bereitschaft zu sagen, wir kämpfen um unsere Existenz, und notfalls auch bis zum Tod. 

WIENER: Bei uns wird man diese Bereitschaft nicht finden.

WEHRSCHÜTZ: (seufzt) Sie haben es gesagt.

WIENER: Sie sind oft mit anderen Reportern unterwegs. Gibt es da welche, wo sie sich denken: Na geh, der schon wieder! Oder „Der kann es nicht!“ Oder: „Der bringt uns in Gefahr!“

WEHRSCHÜTZ: Nein, weil wir sehr selten mit anderen Reportern unterwegs sind, aus dem einfachen Grund, dass ich beide Sprachen spreche. So kann ich meine Interviews mit den Menschen alleine machen und muss mich da nicht ­irgendwo anhängen.

WIENER: Gibt es Kriegsbericht­reporterdarsteller, die sich dort wichtig machen und den Kick ­suchen?

WEHRSCHÜTZ: Kann ich nicht sagen. Ich jedenfalls trage Helm und Weste dann, wenn ich der Meinung bin, jetzt ist es wirklich gefährlich.

WIENER: Die NY-Times-Fotografin Addario, die die Toten in Irpin ­fotografiert hat, war gerade in London und brennt nun darauf, wieder zurück zu gehen. Klingt fast nach Sucht.

WEHRSCHÜTZ: Sucht kenne ich nicht, aber Verantwortung. Darum fahren wir auch morgen wieder nach Ushgorod und dann weiter, so weit es möglich ist, um diese Berichterstattung wieder aufzunehmen, weil wir glauben, dass in den nächsten Wochen wirklich Entscheidendes passieren wird. Aber ganz klar ist auch: Wenn Sie aus solchen Gebieten zurück kommen, erleben Sie einen Kulturschock.

WIENER: Wie viele lernwillige Nachwuchsjournalisten melden sich bei Ihnen mit dem Wunsch, mit Ihnen zu fahren und in die ­Materie eingeführt zu werden?

WEHRSCHÜTZ: Bisher niemand, jedenfalls nicht mit dem Wunsch, mit nach Charkiv zu fahren. Aber es gibt viele, die mich anrufen und fragen.

WIENER: Besteht die Gefahr, dass sich so eine Art Überlegenheits­gefühl entwickelt: Ich weiß etwas, was ihr nicht wisst. Ich bin Teil von etwas, das für Euch zu groß ist?

WEHRSCHÜTZ: Dieses Überlegenheitsgefühl ist mir fremd, aus einem einfachen Grund: Wenn die gesamte Informationsmasse eines Krieges 100 Prozent ist, dann müssen wir, so glaube ich, froh sein, wenn wir 10 bis 15 Prozent erfassen. Wir wissen nicht, was Zelenskyj mit Blinken bespricht; Wir sind nicht in den Kabinetten dabei; Wir sind nicht dabei, wenn Biden mit Putin telefoniert. Aber ich glaube, gute Journalisten müssen demütig sein gegenüber dem, was sie nicht wissen. Das in Verbindung mit dem Geschenk der deutschen Sprache samt indirekter Rede und Konjunktiv soll in die Berichterstattung einfließen.

WIENER: Ein paar Fragen zum Alltag: Schauen Sie, dass Sie abends immer irgendwo in einem Bett schlafen, oder kommt es auch vor, dass Sie draußen „im Feld“ übernachten müssen, und haben Sie dafür immer einen Schlafsack mit?

WEHRSCHÜTZ: Wir versuchen, immer irgendwo geplant zu übernachten, aber wir haben natürlich auch immer die Möglichkeit, im Auto zu schlafen. Mein Fahrer aber soll ausgeschlafen sein, wenn wir Hunderttausende Kilometer fahren.

WIENER: Man liest manchmal von stinkenden Soldaten, die wochenlang keine Dusche und kein Klo
sahen. Kennen Sie als Reporter auch solche Extremsituationen, wo man – Verzeihen Sie – nicht weiß, wo man aufs Klo gehen soll?

WEHRSCHÜTZ: Dazu kann ich Ihnen nur sagen, dass ich dankbar bin, ein Mann zu sein.

WIENER: Haben Sie immer so etwas wie ein „Gutes Buch“ mit, um am Abend vielleicht mal zwei, drei Seiten zu lesen?

WEHRSCHÜTZ: Ein Buch nicht, aber wie man vielleicht seit der ROMY-Verleihung weiß, bin ich Perry Rhodan Fan, und meine Familie versorgt mich mit den Hefterln, die ich noch nicht gelesen habe, und darin les ich vor dem  Einschlafen immer ein paar Seiten, damit ich auch über die galaktopolitische Lage Bescheid weiß.

WIENER: Über die Galaxien wissen Sie mehr als 15 Prozent?

WEHRSCHÜTZ: Es gibt kein ­Thema, für das ich so lange recherchiert habe wie Perry Rhodan, nämlich seit 50 Jahren.

Ich lese jeden Abend vor dem Einschlagen ein paar Seiten Perry Rhodan, damit ich auch über die galaktopolitische Lage informiert bin.

WIENER: Von Kubrick über Coppola und Cimino bis Katherine ­Bigelow haben sich unzählige
Starregisseure an die Darstellung des Krieges gewagt. Ihrer Erfahrung nach: Wer kommt der Wirklichkeit am nächsten?

WEHRSCHÜTZ: Also ich glaube, dass es bestenfalls einen Kriegsfilm gibt, der in vielen Punkten halbwegs realistisch war, und das ist „Steiner – Das Eiserne Kreuz“. Wenn Sie sehen die Waffenwirkung – und ich war in vielen Leichenschauhäusern –, und wenn man sich die Telegram-Kanäle anschaut mit den Leichen, dann ist die Hollywoodisierung des Krieges von der Wirklichkeit denkbar weit entfernt. Wenn Sie in das Höllenfeuer moderner Artillerie geraten, dann bleibt von Ihnen bestenfalls das übrig, was man – Verzeihen Sie das drastische Bild – beim Grillen am Griller vergisst. Da sind Sie völlig verkohlt.

WIENER: Gibt es in der Literatur „wirklichkeitsgetreue“ Darstellungen?

WEHRSCHÜTZ: Das entscheidende Buch über den Krieg ist nach wie vor Carl von Clausewitz – Vom Kriege, das gilt bis heute. Der Begiff des „Kulminationspunktes des Angriffs“, wo einen die Offensivkraft desto mehr kostet, je weiter man voranschreitet, und dadurch der Verteidiger irgendwann in eine Vorteilsposition gerät, der gilt bis heute. Dann erst könnten beide Seiten zu ernsthaften Verhandlungen bereit sein.

WIENER: Sehen Sie diesen Punkt in der Ukraine kommen?

WEHRSCHÜTZ: Ich sehe derzeit nicht, dass eine Seite ein Interesse an Verhandlungen hat. Das ist ein Abnützungskrieg, und es ist die Frage, wie beide Seiten bei einem Verhandlungsergebnis ohne Gesichtsverlust heraus kämen.

WIENER: Es ist zu früh für einen Rückblick, aber sind Sie zufrieden, dass Sie den slawischen Raum für sich gewählt haben? Oder kann man sich Christian Wehrschütz auch vorstellen, wie er aus dem ebenfalls sehr unruhigen, feuchtheißen Kongo nach Österreich und Wien grüßt?

WEHRSCHÜTZ: Die slawischen Völker sind die größte Völkergruppe in Europa, das hat mich immer interessiert. Die ehemalige Sowjetunion, das ehemalige Jugoslawien, Albanien, das wir nicht vergessen dürfen. Das Land der Skipetaren ist für jeden, der mit Karl May aufgewachsen ist, von Bedeutung. Das liebe ich. Aus dem Kongo zu berichten kann ich mir also nicht vorstellen, da fehlen mir Sprach- und andere Basisvoraussetzungen, um in eine Kultur einzutauchen. 

WIENER: Was bedeutet der Tod für einen selbst, wenn man ihn so oft bei anderen gesehen hat?

WEHRSCHÜTZ: Sehr einfach: „Sterben möchte ich nicht, aber tot sein macht mir nichts aus“, um mit einem griechischen Philosophen
zu sprechen.

WIENER: In Wiens besseren Bezirken geht die Angst um, seinen geliebten Parkplatz zu verlieren, weil angeblich so viele Ukrainer mit ihren SUVs kommen. Haben Sie dazu ein kurzes Statement?

WEHRSCHÜTZ: Auch wieder sehr einfach: Eure Sorgen möchte ich haben.

WIENER: „Letzte Frage mit der Bitte um eine kurze Antwort“ – wie sehr nervt Sie diese Frage?

WEHRSCHÜTZ: (lacht)
Gar nicht!