GENUSS

Zurück nach Westerland

Markus Höller

Die Insel Sylt ist als besonders idyllisches, aber auch recht nobles Urlaubsparadies in der Nordsee bekannt. Wenn nicht gerade eine Invasion von Punks stattfindet – aber das passiert ja zum Glück nur alle 34 Jahre.

Text: Markus Höller / Foto Header: Sylt Marketing/Dominik Täuber

Mit der Ankündigung des bundesweiten 9-Euro-Tickets im Frühjahr 2022 machte sich im nördlichsten Teil Deutschlands eine gewisse Unruhe breit. Die alteingesessenen, äußerst gutbürgerlichen Bewohner fürchteten, dass es auf der nur durch den Hindenburgdamm mit dem Festland verbundenen Insel zu einer Invasion von Krawalltouristen und – Gott behüte – Punks kommen könnte. War dann im kleinen Rahmen auch so, aber die neugierigen Buntköpfe aus allen Teilen Deutschlands verhielten sich großteils friedlich und brachten etwas Farbe in den sonst so ruhigen, von Strandkörben und gepflegten Häuschen mit Reetdächern geprägten Alltag von Sylt. Und den einen oder anderen Lacher – so bestellten ein paar findige Schluckspechte ihr Bier vorab online zu einer Packstation, um es nicht im Zug schleppen zu müssen. Schon einmal, im Jahr 1988, kam es hier zu einer ungewöhnlichen Häufung an Nietengürteln und bunten Haaren. Damals spielte die legendäre Punkband Die Ärzte ihr Abschiedskonzert im Neuen Kurhaus der Insel-Hauptstadt Westerland, um sich fortan Solokarrieren zu widmen. Mit im Gepäck einer ihrer frühesten und bekanntesten Hits: „Westerland“.

Ungeachtet der alle dreieinhalb Dekaden stattfindenden vorübergehenden Ruhestörung ist Sylt aber tatsächlich ein wunderschöner Flecken Erde, äh Sand, der auch für normale Geldbörsen durchaus eine Reise wert ist. Denn sowohl offizielle Stellen als auch die Bevölkerung wehren sich gegen eine Brandmarkung als Reichenghetto. Wiewohl leider vieles darauf hindeutet: Hotels mit Sterneküche, ein gerade im Aufsperren begriffenes Luxus-Wellnessretreat und eine besondere Vorliebe für Austern zum Beispiel. Dazu später mehr. Tatsächlich, und das ist nicht von der Hand zu weisen, haben die Kombination aus Platzknappheit, strengen Bauvorschriften und eben der Zuzug von wohlhabenden Menschen die Immobilien- und Mietpreise stark ansteigen lassen, was für auf der Insel aufgewachsene junge Menschen beim Auszug von daheim nicht unproblematisch ist.

Sylt ist jedoch in erster Linie kein Wohngebiet, sondern ein Tourismusziel. Ähnlich wie in Tiroler Skiregionen gibt es ein markant gegensätzliches Verhältnis von Ansässigen und Besuchern; den rund 18.000 Einwohnern stehen an Spitzentagen 150.000 Touristen gegenüber. Diese reisen per Flugzeug (der Flughafen ist drollig, aber tauglich für Linienjets), Bahn oder mit dem Autozug an. Autos versucht man aber seit Jahren möglichst von der Insel fernzuhalten – aus Naturschutzgründen und Platzmangel, für die hohe Dichte an SUVs und Oberklasseschlitten stehen inselweit ohnehin nur ganze drei (!) Tankstellen zur Verfügung. Flächendeckende Elektromobilität ist das langfristige Ziel, dem kommt man mit an jeder Ecke anzutreffenden E-Bikes zumindest auf Individualbasis schon recht nahe. Ist man also umweltschonend mit der Bahn angereist, lohnt es sich, die ganze Insel eben mit dem E-Bike zu erkunden. Von der wildromantischen Südspitze bei Hörnum bis zum belebten Kulinarik-Hotspot List im Norden gibt es jede Menge zu entdecken, vor allem Naturfreunde kommen hier voll auf ihre Kosten.

Zum Beispiel entlang der weitläufigen Dünenlandschaften, die vom empfindlichen Strandhafer zusammengehalten werden und daher auf gar keinen Fall betreten werden dürfen. Weniger empfindlich ist die eingeschleppte Sylter Rose, deren rosa Blüten für die Herstellung von feinen Marmeladen und Sirupen eingesammelt werden. Überhaupt ist so manches, was auf und rund um die Insel wächst, nicht nur für die Unmengen an Zugvögeln, die hier jedes Jahr rasten, schmackhaft. Austernbänke versorgen die Gastronomie europaweit mit den delikaten Schalentieren, ansässige Spitzenköche wie Alexandro Pape loben das feine Aroma der hier gezüchteten Auster. Tausendsassa Pape bringt aber nicht nur Meeresfrüchte auf die Teller seines Kochstudios in List; es wird mittels patentiertem Verfahren Meersalz gewonnen, das „Abfallprodukt“ Süßwasser wird gleich nebenan zum Bierbrauen verwendet. Ein schöner, nachhaltiger Kreislauf, der hier am nördlichsten Zipfel Deutschlands stattfindet. Hier hat auch Insel-Legende Jürgen Gosch vor vielen Jahrzehnten mit einem kleinen Bauchladen sein Fisch-Imperium begründet, der rüstige 81-Jährige kümmert sich vor Ort immer noch persönlich um Geschäft und Kunden. Ebenfalls in Sylt ansässig ist der wie Alexandro Pape einst mit zwei Michelin-Sternen geadelte Aromapapst Johannes King, der sich statt der Chi-Chi-Gastronomie von damals nun völlig seinem kleinen Bistro und dem angeschlossenen Kräutergarten samt Shop verschrieben hat. Wenn es also an einem nicht mangelt, dann sind das lokale lukullische Genüsse auf höchstem Niveau!

Auf höchstem Niveau bewegen sich wie schon eingangs erwähnt leider auch die Preise auf Sylt. Seit Playboy Gunter Sachs in den 60er Jahren die wildromantische Insel als Rückzugsort für sich und seine Entourage entdeckte, folgten immer mehr Geld- und Medienadel und verliehen der Insel bald den Ruf eines Monte Carlo der Nordsee. Axel Springer und Günther Jauch sind nur ein paar der klingenden Namen, die sich hier Nebenwohnsitze gönnen. Wer sich hier ansiedeln möchte, muss nicht nur tief in die Tasche greifen, sondern sich auch mit einer weiteren Eigenheit von Sylt anfreunden: Zum Schutz eines einheitlichen Ortsbildes müssen praktisch alle Häuser mit Reet, dem traditionellen Schilfrohr, gedeckt werden. Das gilt auch für den eben fertiggestellten Lanserhof Sylt, einem Gesundheitsresort der absoluten Spitzenklasse. Suiten, Spas und jede Menge Behandlungsbereiche sind hier unter dem größten zusammenhängenden Reetdach Europas vereint. Hier sollen, wie in den schon existierenden Retreats in Lans und am Tegernsee, A-Promis wie den Beckhams künftig um wohlfeiles Geld mittels weitgehendem Verzicht auf Nahrung Giftstoffe und überschüssige Kilos entzogen werden. Zynisch? Vielleicht, aber nichtsdestotrotz atemberaubend luxuriös.

Für den Normalverbraucher gibt es abseits solcher Jet-Set-Eskapaden dennoch vieles an leistbaren Vergnügen zu erleben. So finden aufgrund der ständigen steifen Brise auf Sylt zahlreiche Regatten, Kitesurf-Trophies und der deutsche Windsurf-Weltcup statt. Wer es gerne ruhiger angeht, kann auf ausgedehnten Wattwanderungen Ruhe und Weite genießen – übrigens auch seit Jahrzehnten aufgrund der jodhaltigen Meeresluft speziell für Menschen mit Atemwegserkrankungen empfohlen! Oder man lässt einfach am Strand die Seele baumeln. Die Hartgesottenen baden in der frischen Nordsee, je nach Lust und Laune auch an einem der zahlreichen FKK-Strände. Bekennende Warmduscher wie der Autor diese Zeilen wiederum schätzen die Privacy in einem der geschätzt 12.000 Strandkörbe, dem inoffiziellen Wahrzeichen von Sylt. Egal, ob am pittoresken Strand entlang des roten Kliffs in der Nähe vom mondänen Kampen oder vor der Inselmetropole Westerland, hier kann man herrlich abschalten und mit ein wenig Glück sogar Schweinswale oder Seehunde beobachten. Alle, die schon mal dieses Inselflair genießen konnten, sehnen sich immer wieder zurück und müssen Farin und Bela beipflichten: Sie wollen zurück nach Westerland!

Wer was wo wann auf Sylt

Die Anreise nach Sylt ist für Autos nur mit dem Autozug oder per Fähre möglich. Wer ohne eigenes Kfz anreist, kann dies per Flugzeug oder Bahn tun, besonders komfortabel mit dem neuen Alpen-Sylt-Nachtexpress, nachtexpress.de

Die Highlights 2022:

  • Sylt Open Air: 29.–31. Juli
  • German Polo Masters: 3.–7. August
  • Mercedes-Benz Windsurf World Cup: 23. September–3. Oktober
  • Strandkorb-Versteigerung: Oktober 2022

Hoteltipp:

Das I Love Sylt Hotel Terminus ist ein ruhig, zentral in West­er­land gelegenes Boutique-Hotel mit ausgezeichneter Gastronomie und eigenem Spa & Gym. ilovesylt.de

Gourmet-Tipp:

  • Für Fischspezialitäten aller Art ist ein Besuch bei Jürgen Gosch in List unausweichlich: gosch.de
  • Meersalz und Bier aus eigener Produktion sowie ein Kochstudio für Hands-On-Cooking gibt es auch in List bei Alexandro Pape: kochinselalexandropape.de
  • Der Genussladen von Johannes King in Keitum ist einen Besuch wert: johannesking.de

Allgemeine Infos rund um Sylt gibt es auf sylt.de