Motor
Kulturelle Aneignung
Kulturelle Aneignung – Harley-Davidson hat im Vorjahr mit der brandneuen Reiseenduro Pan America 1250 für gehöriges Aufsehen gesorgt. 2022 gibt’s ein erstes Update und die bislang coolste Farb-Kombi für die große US-Amerikanerin.
Text: Gregor Josel
Darf ein Motorradhersteller wie Harley-Davidson, der ja bislang nahezu ausnahmslos für schweres Eisen in Form von Cruisern und Chopper bekannt war, eine große Reiseenduro entwickeln und auf den Markt bringen? In Zeiten der sogenannten „kulturellen Aneignung“ vielleicht eine berechtigte Frage, vielleicht dürfen das ja nur mehr die altbekannten Marken wie BMW oder KTM, die dieses Metier seit Jahrzehnten erfolgreich besetzen. Nun, lassen wir die Theorie beiseite und widmen wir uns den Fakten, denn schon mit der ersten Version der Pan America und der Pan America Special, die im Frühjahr 2021 auf den Markt kam, haben die Damen und Herren aus Milwaukee gezeigt, dass sie auch Reiseenduro können.
Denn der Erstwurf in diesem wohl wichtigsten Motorradsegment ist mehr als gelungen und Harley hat mit der Pan America auf den ersten Schlag eine große Reiseenduro vorgestellt, die die Competition mit den üblichen Verdächtigen in diesem Bereich, nämlich KTM Adventure und BMW GS in keinem Fall scheuen muss, ganz im Gegenteil: Manch Feature der Pan America, wie zum Beispiel das optionale „adaptive height system“, welches das Fahrwerk beim Stehenbleiben um 50mm absenkt, damit auch kleinere Fahrer sicheren Stand am Boden erreichen, hätte man eigentlich von den Platzhirschen am Markt längst erwarten können.
Klar, wer in diesem Teich mitschwimmen will, der muss abliefern und auch ein wenig Kritik auf hohem Niveau vertragen. So hat Harley seinem neuen Game Changer für die Saison 2022 auch einen Quickshifter verpasst, die Schrift im LED-Display etwas vergrößert und zum Drüberstreuen auch noch eine brandneue Farbkombi angedeihen lassen, nämlich „Fastback Blue/White Sand“, mit der die Pan America nochmals agiler aussieht und die vor allem der Front, die bisweilen klobig wirkte, optisch deutlich die Masse nimmt.
Mir persönlich gefällt die Special am besten mit den optionalen Kreuzspeichenrädern, ansonsten sind die Modelle standardmäßig mit Leichtmetallfelgen ausgestattet. Optisch auffällig und Harley typisch gut inszeniert ist jedenfalls auch der komplett neu entwickelte Revolution Max 1250-Motor, der schon optisch gleich mal klar macht, worum es hier gehen soll.
Beim Launchevent 2021 hatte ich das Vergnügen, die neue Pan America ausgiebig im Gelände zu testen, wo sie eine ebenfalls überraschend gute Figur abgibt. Dank schlankem Tank ist der Knieschluss perfekt und man kann dadurch auch komfortabel stehen. Sie gibt sich Offroad überaus wendig und leicht zu handeln. Was damals wetterbedingt dank leichtem Schneefall, sprichwörtlich auf der Strecke blieb, war ein ausgiebiges Fahren auf der Straße. Nun durften wir aber die aktuelle 2022er Pan America Special für die nächsten Monate im Dauertestfuhrpark begrüßen und konnten den noch ausstehenden Onroad-Trip nachholen und auch hier macht die Pan Am keine Gefangenen. Befeuert wird sie vom komplett neu entwickelten Revolution-Max-1250-Motor, einem flüssigkeitsgekühlten V2, der aus 1.259ccm Hubraum saftige 152PS und 128Nm Drehmoment holt und der bereits ab unterer Drehzahl feist an der Kette zerrt.
Auch auf der Straße überrascht die große Harley durch unerwartete Wendigkeit. Die Sitzposition ist für alle Vorlieben bestens geeignet. Gemütliches Cruisen macht ebenso viel Laune, wie eine ambitioniert sportliche Sitzposition mit Hang Off in der Kurve, bei der man die Pan America überaus stabil und spurtreu auch bei ambitioniertem Kurventempo souverän durch die Kurve ziehen kann. Wenn man dann am Kurvenausgang am Gas dreht, entfaltet sich die Power des Revolution Max-Motors geradlinig, ohne große Überraschungen und der nun neue Schaltautomat macht einen guten Job, wenn auch er sich beim Runterschalten etwas leichter tut, als beim Raufschalten bei vollem Durchzug. Ein gelungenes Feature ist jedenfalls das mit nur einer Hand zu verstellende Windschild, das man je nach Situation bequem mit der linken Hand komplett verstellen kann.
Für größere Fahrer, ab 185 könnte jedenfalls die als Zubehör erhältliche erhöhte Sitzbank eine Option sein, denn auf längerer Strecke ist der Kniewinkel für große Menschen einen Deut zu spitz. Die Pan America 1250 ist mit Cornering Rider Safety Enhancements ausgestattet, einem Paket von elektronischen Assistenzsystemen, die sich bei schwierigen Straßenverhältnissen und in Gefahrensituationen als hilfreich erweisen. Sie werden elektronisch gesteuert und basieren auf der modernsten Fahrwerks-, Brems- und Antriebsregeltechnik. In der Mitte des Cockpits thront ein schwenkbares 6.8 Zoll Touchdisplay, das im Stehen eben auch mit den Fingern bedient werden kann und das ein Universum an Einstellungsmöglichkeiten eröffnet, das ebenfalls den Vergleich mit der Konkurrenz nicht scheuen muss. Highlight hier ist jedenfalls die gratis und weltweite(!!) Navigation, die mittels H-D App auf dem Screen angezeigt wird. Wir freuen uns auf die nächsten Monate mit der Harley-Davidson Pan America 1250 Special und auf die weiteren Insights und Stories mit der großen US-Amerikanerin.
Harley-Davidson Pan America 1250 Special
Motor: R2-Zylinder-Motor, flüssig gekühlt
Hubraum: 1.252 ccm
Leistung: 152 PS/128 Nm Drehmoment
Antrieb: 6 Gang, Kette
Fahrwerk: USD-Gabel vorne / Zentralfederbein hinten / elektronisch verstellbar
Bremsen: 320mm Doppelscheibe- / 280mm Einzelscheibe
Sitzhöhe: 850 mm
Gewicht (fahrbereit): 258 kg
Tankinhalt: 21,2 Liter Preis: ab 24.295 EUR (Special)