AKUT
RINDSZUNGENTAG
Wir bogen nach links ab zu einer Riesengrotte, die richtig was her machte. Da lag Herschels Hildchen, und zwar auf seiner Mutter. … NACHRICHTEN IN UNKORREKTER SPRACHE! – RINDSZUNGENTAG
Manfred Rebhandl Autor in Wien. Kürzlich erschien von ihm „Erster Mai: Rockenschaub löst auf alle Fälle alle Fälle“ (Haymon Verlag 2022)
Ich hatte Willy dem Schwein versprochen, ihn wie jedes Jahr zu Allerheiligen an Jack Schlecks Grab am Zentralfriedhof zu kutschieren. Früher mieden wir den Friedhof, aber je älter wir wurden und je schwieriger es wurde, die Bude zu heizen, desto mehr freundeten wir uns mit der Kälte der Gräber an. Wenn wir früher die Haltung vertraten, möglichst lange nicht da draußen liegen zu wollen, so dachten wir mittlerweile, dass es eigentlich auch schon egal wäre. Denn obwohl Mutter Erde nicht annähernd so geil war wie Big Mama Mia in den Big Mama Mia Filmen, die bei Dirty Willy im Pornhouse liefen, so konnte ein Grab in ihr auch nicht viel kälter sein als das Pornhouse, für das Willy die Heizung nicht mehr bezahlen konnte.
Ich fuhr mit dem Datsun hinauf zum Pornhouse, dort hielt ich in zweiter Spur und drückte auf die Hupe. Ich schaute zum Schaukasten, in dem noch das JACK SCHLECKT IM EIS-Plakat hing, vergilbt schon, aber es hing noch. Von Jack würden die Filme bleiben, dachte ich, aber was von mir? Nicht einmal mein Rapid Trainingsanzug Meistermannschaft 1983, den ich bei herbstlichem Wetter immer trug. In dem würde ich mich dereinst begraben lassen, aber weil er noch aus Baumwolle war, würde er noch schneller verrotten als ich selbst.
Willy kam im pinken Sakko und in blauer Hose heraus, dazu trug er eine rote Krawatte und grüne Socken. Er war angezogen wie ein farbenblinder Elton John, genau richtig für den Friedhof. Sein Inneres aber hielt mit den Farben nicht stand, denn die Herbstdepression schimmerte grau in seinen Augen, und die Altersdepression gesellte sich munter dazu. Ihn interessierten seine Filme gar nicht mehr, nicht einmal die von Jack. Und jedes Mal zu Allerheiligen kriegte er dann überhaupt die Krise und fragte sich, ob er nicht sein ganzes Leben damit verschwendet hatte.
„Aber im Gegenteil, Willy!“, sagte ich. „Du hast damit vielen Menschen viel Freude geschenkt!“
Ich konnte selbst nicht glauben, dass ich Sprüche wie ein Kalender raus ließ.
Wir fuhren schweigend dahin, bis ich in Gumpendorf nach rechts abbog hinaus Richtung Hietzing. Willy schrie: „Wo fährst du denn hin?“ „Wir holen Herschel ab!“
Herschel lebte seit ein paar Monaten im Pensionistenheim „Zur Goldenen Eichel“ inmitten eines schönen Gartens, der voll mit alten Eichen war. Daß es so alte Bäume überhaupt gab! Sie waren deutlich älter als Herschel, der auch schon über 90 war. Die Bäume standen im Park der Residenz, in dem die Verrückten aus der Residenz im Kreis gingen oder auf einer der Parkbänke saßen, wo man ihnen Sabberschüsseln hingestellt hatte. Im Sommer saßen sie ganztags dort, im Winter solange die Sonne schien. Sie hatten aber auch schon einmal einen da draußen vergessen, hatte Herschel mir erzählt, und als sie ihn in der Früh fanden, war er kälter als Putin während einer heißen Dusche.
Beim Bahnhof stieg dann auch noch Kubelka, der Seelenschuster zu. Er hatte keine Toten zu beklagen, ihm war nur langweilig, weil er am Feiertag nicht arbeitet. Beim 2. Tor des Zentralfriedhofs parkte ich den Datsun dort ein, wo man nicht parken durfte. Ich warf meinen Behindertenausweis, den mir Richie Rich besorgt hatte, auf die Armaturen, und dann stiegen wir aus. Ich hatte eine kleine Schaufel und eine Egge mit dabei, für die mich Willy letztes Jahr extra in den Baumarkt geschickte hatte, weil er seine jedes Jahr wieder verlegte. Wie immer zu Allerheiligen waren wir nicht die einzigen am Friedhof, und wie immer zog der Nebel um die Gräber. Es war daher an diesem Tag in diesem ganzen Trubel vor allem wichtig, sich nicht zu verirren!
„Ku!“ sagte ich. „Such zwei Scheibtruhen, in die wir die beiden hier setzen können!“ Er kam mit zweien zurück, die eine auf der anderen, und dann setzten wir Willy in die eine und Herschel in die andere. Die Witwen, die man hier normalerweise abstauben konnte, wenn man es richtig anlegte, schauten uns heuer deutlich weniger geil an als letztes Jahr.
Wohin zuerst? Wir ließen die beiden knobeln, und Herschel gewann. Wir bogen nach links ab zu einer Riesengrotte, die richtig was her machte. Da lag Herschels Hildchen, und zwar auf seiner Mutter. Wegen seiner Mutter wollte er dann nicht zu lange bleiben, also setzten wir ihn wieder in die Truhe, und dann schoben wir beide weiter zu Jack Schlecks Grab. Jack war gestorben, als man versuchte, ihm während einer Zungenkrebsoperation einen Teil seines Schniedels zu verpflanzen. Die Operation misslang.
Wir legten jeder ein Stück Rindszunge auf sein Grab, und dann schoben wir die beiden wieder zurück zum Ausgang. Als wir zum Datsun kamen, standen die Bullen darum herum und begutachteten meinen Behindertenausweis am Armaturenbrett. Als sie uns aber sahen, mit Willy und Herschel in der Scheibtruhe, steckten sie ihren bereits geschrieben Strafzettel wieder ein und fragte nicht einmal, wer von uns nun behindert war. Im Gegenteil halfen sie uns sogar noch, die beiden in den Wagen zu heben, und wünschten uns einen Guten Tag.