AKUT

Der Vorhang fällt

Christian Jandrisits

Die Proteste im Iran sind keine nationale ­Bewegung. Es geht um ­Frauen und ihre Menschenrechte.
Ein globales Thema. Trigger war der Hijab – einst ein Vorhang im Haus des Propheten Mohammed, seit 1979 ein modisches Mittel zur Repression der Frauen. Damit hat es sich jetzt.
Der Vorhang fällt.

FOTOS: Getty Images, Sorayadjahanbani | Creative Commons, Instagram 

Man braucht keine Infos, es reicht ein Blick auf die Fotos ihrer Gesichter, mehr siehst du ohnehin nie. Die Gesichter sind jung, die Augen voll mit Lebenserwartung. Das ist ihr gutes Recht; ihr Menschenrecht. Sie sind viele.

Asra Panahi, 15. 

Eine war Asra Panahi, 15 Jahre alt, Studentin aus Ardabil, Nord-Iran. Du kannst dir beim Anblick ihres Gesichts viel vorstellen, aber nicht, dass sie zu Tode geprügelt wurde. Von Ord­nungshütern der Islamischen Republik. Weil sie sich weigerte, ein Propaganda-Lied zu singen.

Oder: Mahsa Amini, 22, jene iranische Kurdin, mit der alles begann. Am 16. September 2022 war sie nur eine unbekannte Touristin, die ­Teheran besuchte. Heute kennt die ganze Welt ihr Gesicht.

Mahsa Amini, 22

Amini wollte nur die Hauptstadt sehen. Sie trug einen Hijab, jenes Tuch, mit dem muslimische Frauen ihre Haare bedecken, weil der theo­kratische Staat es so will. Allerdings waren da trotz Hijab noch Haare zu sehen. Hieß es seitens der „Moralpolizei“. Die sie deswegen verhaf­tete. Amini starb wenig später im Spital. Und plötzlich war auf den Straßen des Landes die Hölle los. Die Ordnungshüter hatten sich offenbar ver­kalkuliert. Die junge Frau war ja „nur“ eine Kurdin. Nicht die populärste Volksgruppe im Iran. Ein Irrtum. Amini war eine Tochter, eine Schwester, eine Iranerin, eine Frau. Es wurde Revolution. Nicht eine kurdische oder iranische ­Revolution, sondern eine Revolution der Frauen. Getriggert von einem Hijab.

Photo by Kim Jae-Hwan/SOPA Images/LightRocket via Getty Images

Der Begriff Hijab bezeichnete ursprünglich eine Teilung. Im Koran referiert er einen Vorhang im Haus Mohammeds, der Besuchern einen Blick auf die Quartiere seiner Frauen verwehrte. Mit Ruhollah Khomeinis Iranischer Revolution wurde das Kopftuch für Frauen Pflicht. Um sie zu schützen, wie es im Muslim-Speak heißt. Das wurde der Trigger zum Aufstand. Man bringt Frauen, die man angeblich schützt, nicht um. Der Hijab war bei Frauen von Anfang an unbeliebt, ein Accessoire des Zwanges, das persönliche Identität verunmöglichte. Modeschöpferinnen wie Naghmeh Kiumarsi traten gegen dieses Bild der Frau an, entwarfen körperbetonen­de Mode mit Kopftüchern, die immer winziger wurden.

Naghmeh Kiumarsi, iranische Modeschöpferin, trägt ihren Hijab eher lässig. 

Kurioserweise war es das Instagram-Konto „Rich Kids of Tehran“ (RKOT), das seit 2014 mit Bildern von jungen Frauen ohne Hijab, aber mit sichtlicher Lebenslust, für öffentliche Erregung sorgte. Trotz etlicher Verhaftungen blieb der Account lange aktiv, ist nun gesperrt. Aktiv nur noch das RKOT-Twitterkonto – das akribisch über die Proteste berich­tet und den Opfern ein Gesicht gibt. So ein Gesicht sagt alles. Das ist wesentlich, auch hierzulande, wo der Hijab für Schulkinder vor­übergehend (2019) verboten war. Wo dieses Kopftuch die Trägerin stigmatisiert, nicht die verantwortlichen Theokraten. Es reicht, sagt man im Iran, die Frauen machen gerade Revolution. Jetzt stell dir vor, du gehst nicht hin. 

RICH KIDS OF THERAN Lebenslust, für die Regierung zu offensichtlich. Der Account ist gelöscht, berichtet derzeit nur über Twitter.

Info: RKOT Twitter: twitter.com/rkotofficial , Instagram Naghmeh Kiumarsi: bit.ly/3AZfEUL , Hijab History: en.wikipedia.org/wiki/Hijab