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Grausliche Lebewesen

Christian Jandrisits

Hyänen sind richtig feige Arschgesichter, die greifen fast immer nur im Rudel an. Eins von diesen Arschgesichtern verbeißt sich in der linken Flanke des Zebras und reißt ihm einen großen Fetzen Haut vom Leib… Grausliche Lebewesen, die Kolumne in unkorrekter Sprache …

Text und Selfie: Kurt Molzer Foto/Bearbeitung: BPBricklayer/Christian Jandrisits

Liebe Leser, ich muss Sie leider dringend warnen: Der folgende Text ist nichts für ein schwaches Gemüt und schon gar nichts für einen sensiblen Magen. Er ist voll von entsetzlichen Grausamkeiten.  Ich will das nur gesagt haben. Nicht, dass nachher wer kommt und sich beschwert: „Das ist ja unzumutbar! Der Molzer ist ja nicht mehr ganz richtig im Kopf!“ Darauf steh ich überhaupt nicht, okay. Also, wer mitkommen möchte – welcome. Der Rest legt sich am besten gehackt oder macht weiter mit Stricken und Häkeln.

Auf YouTube gibt es eine Unzahl von Videos, die Jagdszenen in afrikanischen Wildreservaten zeigen, wie der Serengeti oder dem Kruger Nationalpark. Von Safari-Touristen aus dem Land Rover gefilmt. Mit dem Handy. Da kommt zum Beispiel so ein Scheiß Krokodil aus einem Tümpel geschossen und reißt mit seinem ekelhaften Killermaul einem herzigen Antilopenkalb den Kopf ab. Das ganze Kalb hat es nicht zu fassen bekommen, weil die Mutter dazwischengefunkt hat. Jetzt steht sie da und sieht ihr Kind mit offenem Hals daliegen und beschnuppert das Blut, das daraus hervorschießt. Schon klar, die haben keinen „Billa“ dort. Das Scheiß Krokodil in seiner ganzen erbärmlichen und abstoßenden und widerwärtigen Verfressenheit kann sich folglich an keiner Fleischtheke anstellen und sagen: „Bitte 200 Kilo Faschiertes, zum Frühstück.“ Das Scheiß Krokodil ist, will es sich seine grausliche lederne Wampe vollschlagen, auf so ein süßes armes Antilopenkalb angewiesen, dem es in seiner ganzen lieblichen Unschuld nach nichts anderem verlangt als ein paar Schluck Wasser aus diesem Tümpel des Bösen. Ich empfinde unsäglichen Abscheu vor Krokodilen, ich hasse sie geradezu abgrundtief. Es tut mir gut, dass so zu schreiben. Im Jahre 2006 fuhr ich in einem nagelneuen roten Porsche 911 Turbo durch Australien. Wann immer es möglich war, bestellte ich mir zum Essen Krokodilfleisch. Ich steckte mir jedes Mal feierlich die Serviette ins Hemd und sprach: „Ätsch, du Monster, ich fress dich. Und nicht du mich.“    

… der Molzer

Aber so ein abgerissener Kopf von einem Antilopenkalb ist noch die harmlose Variante. Auf einem anderen Video sieht man, wie Hyänen ein erwachsenes Zebra einkreisen. Hyänen sind richtig feige Arschgesichter, die greifen fast immer nur im Rudel an. Eins von diesen Arschgesichtern verbeißt sich in der linken Flanke des Zebras und reißt ihm einen großen Fetzen Haut vom Leib. Aber das Zebra kann das Arschgesicht abschütteln. Nur sind dann gleich zwei andere von denen zur Stelle. Das eine beißt in das rechte Hinterbein des Zebras. Das andere kommt von vorn und packt das Opfer an den Nüstern. Das Zebra stößt Laute der Todesangst aus. Es klingt am ehesten nach einem Esel. Aber während der Esel zwei verschiedene Vokale wiederholt –  „Ia, ia!“ – macht das Zebra nur „Aa-aa-aa-aa!“ Aus den zerfetzten Nüstern tropft das Blut. Die dicke Zunge hängt schon aus dem Maul. „Aa-aa-aa-aa!“ Der Rest des feigen Rudels schaut sich die grimmige Vorstellung erst einmal in Ruhe an – erste Reihe fußfrei, kost ja nix. Nach ungefähr einer Minute – das Zebra ist kurz davor, in die Knie zu gehen – hechtet eine dritte Hyäne dem Zebra auf die Schulter und schlägt seine Zähne blutgierig ins Fleisch. Und schon kommt die vierte feige Sau, macht sich triumphierend jaulend am Hals zu schaffen und zerrt es endgültig zu Boden. Das Zebra schlägt, die Augen weit aufgerissen, wild mit den Beinen aus. „Aa-aa-aa-aa!“ Doch jede Gegenwehr ist zwecklos. Eine fünfte Hyäne reißt ihm den Bauch auf. Das Tier zuckt noch gute fünf Minuten, ehe es alle viere von sich streckt. Ich hasse auch Hyänen, aber nicht so sehr wie Krokodile, weil ich Hyänenbutzis nämlich nicht unlieb finde. Krokodilbabys hingegen würde ich am liebsten den Hals umdrehen. Man erkennt in ihren kalten, ausdruckslosen Augen bereits die Ungeheuer von morgen. 

Wer jetzt glaubt, dass es ärger schon gar nicht mehr geht, der irrt. Denn jetzt kommen die Löwen, mein lieber Mann! Hier muss ich was vorausschicken: Ich mag Löwen wirklich sehr. Und ich kenne in der Tierwelt keine goldigeren Geschöpfe als Löwenbutzis mit ihren runden und flauschigen Ohrschwaschln. Mein Vater fotografierte in den 1970er Jahren für den „Kurier“ ein Löwenbutzi in Schönbrunn. Ich durfte mit. Ich hab den Kopf von diesem Löwenbutzi, es war ein Bub, zwischen meine Hände genommen und hab es abgeschmust im Gesicht, und dabei hat es die herzallerliebsten Löwenbutzigeräusche gemacht, die man sich nur vorstellen kann. Aber was die großen Löwen in der freien Wildbahn mit ihrer Beute aufführen, puh. Sie sind in der Regel zwar stark genug, um eine Antilope, ein Gnu oder ein Zebra allein zu erlegen (wiewohl sie sich im Rudel formieren), und zwar relativ rasch mit dem „Todeskuss“ in die Kehle. Einen ausgewachsenen Büffel packt ein Löwe nicht im Alleingang. Es braucht Verstärkung, und dabei geht’s anders zur Sache. 

Hyänenbutzis finde ich nicht unlieb. Krokodilbabys hingegen  würde ich am liebsten den Hals umdrehen. Man erkennt in ihren kalten, ausdruckslosen Augen bereits die Ungeheuer von morgen

Kurt Molzer

Einer der Löwen, genauer gesagt: eine der Löwinnen krallt sich am Hinterteil des Büffels fest und fängt an, ihm nach und nach den Arsch aufzureißen. Weil der Büffel aber eine sehr dicke Haut hat, dauert das. Er geht währenddessen weiter. Hin und wieder brüllt er. Irgendwann rinnt ihm dann doch das Blut runter. Weil er aber immer noch dasteht wie eine Eins, geht ihm jetzt ein zweiter Löwe, genauer gesagt: eine Löwin an die Kehle. Sie beißt sich dort fest und umklammert mit ihren Pranken seinen Nacken. Der Büffel geht weiter und sie baumelt rücklings hin und her. Es ist ein deutscher Tourist, der diese Aufnahmen macht. Man hört eine kindliche Stimme, wahrscheinlich seine Tochter: „Musst du das filmen? Kannst du nicht stoppen? Das ist ja furchtbar.“ – „Ne, das stopp ich nicht. Das seht ihr nur ein einziges Mal im Leben. Das stopp ich nicht. Ne, ne, das stopp ich doch nicht!“ Unerbittlich hält er weiter drauf. Der Büffel brüllt immer wieder. Aber nichts deutet darauf hin, dass er bald k. o. gehen könnte. Die Löwin kann noch so fest zubeißen an der Kehle – die Haut ist auch dort viel zu dick. Ein Löwenmännchen – zwar ausgewachsen, aber die Mähne noch nicht in voller Pracht – springt auf den Rücken und traktiert den Büffel dort mit Bissen. Am Hinterteil klafft bereits eine große Wunde. So geht das 20 Minuten lang. Schließlich knickt er vorn ein. Gleich darauf kippt er zur Seite. Sein Schicksal ist besiegelt. Und das wahre Martyrium beginnt erst. Denn tot ist er noch lange nicht. Vorn, an der Kehle, lässt die Löwin nicht locker. Der Büffel würde sich sonst wieder erheben. Sie drückt ihn nieder mit ihrer ganzen Kraft – während ihre Artgenossin hinten aus dem After schon große Fleischstücke herausreißt und verschlingt. Dem Büffel hängt der ganze Darm raus. Der Löwe, der vorhin auf dem Rücken war, reißt die Bauchdecke auf. Der Büffel windet sich und zuckt mit den Beinen. Gütiger Himmel, sie fressen ihn bei lebendigem Leib! Immer mehr Löwen kommen ins Bild, auch Jungtiere. Alle gehen sie ans Bauchfleisch. Dort ist der Büffel weicher als an seinen anderen Körperpartien. In einer Reihe liegen die Löwen da und reißen der lebenden Kreatur die Gedärme raus. Das arme Tier liegt da und hat die Augen offen und atmet schwer. Warum ist es nicht längst tot? Das ist so ziemlich das Härteste, was ich mir je reingezogen habe. Der deutsche Tourist hält immer noch drauf. Nach weiteren zehn Minuten hört man eine männliche Stimme. Wahrscheinlich der einheimische Fahrer des Land Rovers: „It still takes some time. We have to move now.“          

… die Hyäne und das Zebra!

Sie fragen sich jetzt, während Sie vielleicht gerade beim Friseur sitzen oder im Warteraum des Urologen oder gemütlich im Kaffeehaus bei einer Melange und einem Topfenstrudel oder in der Badewanne oder wo auch immer: „Warum erzählt der mir das?“ Ich will es Ihnen verraten: Ich habe Angst vor der Wiedergeburt. Schreckliche Angst, um ehrlich zu sein. Wir wissen ja alle nicht, ob wir überhaupt wiedergeboren werden. Aber wenn ja: als was? Wenn ich’s mir aussuchen dürfte, würde ich gern als zukünftiger Formel-1-Weltmeister wiedergeboren werden. Aber ich befürchte, man kann sich das dann nicht aussuchen. Und deshalb hab ich eben so einen Heidenschiss davor, möglicherweise als Antilope, Zebra oder Büffel in einem afrikanischen Wildreservat  wiedergeboren zu werden. Schönbrunn wär ja eine super Alternative, eine Überlebensgarantie, aber das darf man sich vermutlich auch nicht aussuchen. Leute, ich will mir in meinem nächsten Leben einfach nicht von irgendeinem Raubtier meinen Arsch aufreißen lassen und bei lebendigem Leib gefressen werden! Kann man das vielleicht verstehen? Dann schon lieber als hässliches Entlein wieder auf die Welt kommen. Auch wenn mich dann keiner vögeln will. Egal. 

Mahlzeit!

Kurt Molzer ist eine der heißesten Aktien unter den deutschsprachigen Journalisten. Er war Chefreporter bei „Bild“ und „Bunte“, Chefredakteur von „Pent­house“ und ist auch den Lesern von „RAMP“ kein Unbekannter. Für den WIENER lässt der gebürtige und nun auch wieder hier lebende und arbeitende Buchautor seine Hochzeiten als „GQ“-­Kolumnist wieder aufleben.
Allerdings in leicht veränderter Form.