KULTUR

Abrissparty zum Nachdenken

Jakob Stantejsky

In letzter Zeit war es ein wenig still geworden um Macklemore, der in den 2010ern ein beispielloses Hitfeuerwerk abgefackelt hatte. Corona war für niemanden leiwand, der 39-jährige macht aus seinem persönlichen Kampf in dieser Zeit auf seinem neuen Album „Ben“ auch kein Geheimnis. Doch gestern hat er die Wiener Stadthalle mit neuem, alten Elan zum Beben gebracht.

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Der Großmeister der Verschmelzung von Hip-Hop mit massentauglichem Pop hat sich dabei Unterstützung von zwei aufstrebenden Artists geholt: charlieonnafriday ist mit seinen zarten 20 Jahren gerade dabei, seine ersten Schritte im Business zu gehen und das höchst erfolgreich. Der Rapper ist wie der Main Act aus Seattle – typisch für Macklemore, Künstler aus seiner Stadt zu pushen. Rund eine halbe Stunde macht charlieonnafriday brav Stimmung, unter anderem mit seinen Spotify-Megahits „After Hours“ und „Enough“. Der melodische Emo-Rap-Sound mit zeitgemäßen Trap-Beats taugt vor allem dem jüngeren Teil des Publikums. Der junge Mann wirkt regelrecht ehrfürchtig, vielleicht gar ein wenig schüchtern. Aber gut, schließlich steht er hier vor 8.000 Leuten, während sein großes Idol hinter der Bühne wartet.

Danach stürmt das Energiebündel Tones and I samt acht Mann und Frau starkem Chor die Bühne. Den Track „Dance Monkey“ hat wohl jeder im Kopf, der die letzten paar Jahre nicht ausschließlich unter einem Stein verbracht hat. Diesen Knaller hebt sich die Australierin allerdings lieber fürs Finale auf. Davor verabschiedet sie sich kurz komplett von der Stage und lässt ihren Chor Ben E. Kings „Stand By Me“ intonieren. Sympathisch, den Kollegen und Freunden, wie sie betont, das Rampenlicht ganz zu überlassen. Rihannas „Diamonds“ als covert sie dann selbst – dank ihrer markanten Stimme klingt der Megahit gleich ganz anders und das Publikum feiert den Sound mit großem Enthusiasmus ab. Generell flext die Australierin gekonnt und hörbar euphorisiert mit ihrer Stimmgewalt. Im Vergleich zu den Studioversionen walzt sie deutlich rabiater durch ihre Songs, was das Publikum ordentlich mitreißt. Nach einer knappen Stunde räumt Tones and I die Stage und Spannung legt sich über die Stadthalle.

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Tones and I darf allerdings gleich wieder mitmachen, schließlich eröffnet Macklemore seine Show mit „Chant“, bei dem die Sängerin schon in der Studioversion den Refrain beigesteuert hat. Und wenn sie schon mal da ist, gell? Außerdem arbeiten zwei Blechbläser, ein DJ, ein Gitarren-Schlagzeug-Tausendsassa, zwei Backgroundsänger und zwei Tänzerinnen tatkräftig mit. The Mack selbst betritt nicht im Gangsta-Outfit die Bühne, sondern kommt mit Hemd, Jacke und Halstuch – bald stellt sich aber heraus, dass die Ärmel des Hemdes längst abgerissen sind. In den folgenden gut 90 Minuten hält Macklemore die Betriebstemperatur der Crowd stets auf Siedepunkt-Niveau, wobei die ganz großen Banger immer wieder für überschäumende Energie sorgen. Egal ob der selbstironische Swag von „Thrift Shop“ (natürlich im ikonischen Pelzmantel vorgetragen), die Nächstenliebe-Botschaft samt hymnischem Refrain von „Same Love“ oder die Abrissparty-Stimmung von „And We Danced“ (da darf die Vokuhila-Perücke samt Glittercape nicht fehlen) – Macklemore bespielt alle Facetten und das Publikum geht euphorisch bei jedem Schritt mit. Besonders lässig: Zu „Dance Off“ lädt der Seattler zwei Leute „that can really fucking dance“ auf die Bühne ein, um sich ein Dance Battle zu liefern. Die Crowd eskaliert und der junge Bursche und das junge Mädel legen den Tanz ihres Lebens aufs Parkett. Macklemore zeigt sich beeindruckt und lässt sie doppelt und dreifach hochleben. Nach „Glorious“ scheint Schluss zu sein, doch das lässt die Wiener Stadthalle nicht auf sich sitzen.

Nach energischen Zugabe-Rufen kehrt Macklemore mit einem breiten Grinsen zurück und stimmt mit „Tail Lights“ den vergleichsweise ruhigen, dafür aber umso emotionaleren Abschluss des aktuellen Albums an. Darauf folgt mit „Good Old Days“ nostalgische Euphorie samt grölbarem Refrain – das Publikum dankt es mit schmetternder Gesangseinlage. Entlassen wird es von Macklemore noch einmal mit Power vom Feinsten, nachdem er beweist, dass er seine Wien-Hausaufgaben gemacht hat. Schnitzel wird mit Preiselbeeren gegessen, da weiß er Bescheid. „Can’t Hold Us“ gehört sicherlich zu seinen größten Hits und sorgt als Grande Finale noch einmal für Eskalation der Extraklasse. Dann ist es, nach insgesamt etwa drei Stunden, vorbei. Die Halle leert sich, die Gesichter durch die Bank happy. Party machen kann er wie kaum ein zweiter, dieser Macklemore. Doch gerade mit seinem neuen Album besinnt er sich zunehmend auf emotionale Themen, was der Show noch mehr Abwechslung und Kraft verleiht. Und man merkt diesem Mann wirklich an, dass das Miteinander für ihn wie ein Lebenselixier ist. So dankbar hat sich selten ein Sänger seinem Publikum gegenüber gezeigt. Gerne wieder … hoffentlich lässt er sich mit dem nächsten Album nicht wieder sechs Jahre Zeit!